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Enteisungstechnik - ein Anwendungsbeispiel für Fuzzy Control

Durch eine Vielzahl japanischer Anwendungen angeregt, setzen sich auch deutsche Ingenieure immer häufiger mit Fuzzy Logic auseinander. Mit Hilfe der neuen Technologie wurde bei der Firma Schröder airporttechnik in Oberschleißheim ein Mischungsregler für Enteisungsflüssigkeiten entwickelt.

Wenn sich auf den Tragflächen oder dem Leitwerk eines Flugzeugs nach Eisregen, Schneefall oder durch Reifbildung eine Eisschicht bildet, verschlechtern sich die aerodynamischen Eigenschaften möglicherweise so dramatisch, daß ein Absturz droht. Daher stehen an jedem Flughafen spezielle Enteisungsfahrzeuge bereit (Bild 1): Ein Techniker wäscht kurz vor dem Start Eis und Schnee mit einem heißen Gemisch aus Wasser und einem Enteisungsmittel unter hohem Druck vom Flugzeugrumpf. Das Mischungsverhältnis richtet sich nach den Witterungsverhältnissen, zum Beispiel der Außentemperatur, und dem Grad der Vereisung. Um eine erneute Vereisung bis zum Start zu vermeiden, sprüht man anschließend eine Schutzschicht aus unverdünntem Enteisungsmittel auf. Das heute gebräuchliche Mittel ADF 2 (Anti-/deicing fluid) bietet Schutz für etwa 20 Minuten.

Das Mischungsverhältnis muß, da unter Zeitdruck gearbeitet wird, schnell erreicht und äußerst präzise eingehalten werden. Eine Unterdosierung würde wegen mangelnder Enteisungswirkung die Sicherheit des Flugzeugs gefährden; andererseits ist ADF 2 teuer und seine Entsorgung problematisch.

Die besonderen Eigenschaften des Enteisungsmittels machen das Dosierungsproblem außergewöhnlich schwierig. Druck, Hitze und mechanische Beanspruchung etwa durch enge, stark gekrümmte Rohre oder nur teilweise geöffnete Ventile können die langen Molekülketten des ADF aufbrechen und damit seine Wirkung zunichte machen. Darum werden Wasser und ADF durch Exzenterschneckenpumpen aus den Vorratsbehältern angesaugt und erst dann miteinander gemischt.

Der Techniker will das gewünschte Mischungsverhältnis voreinstellen und dann den Durchfluß durch Verstellen der Spritzdüse bestimmen können. Ein Reglersystem sollte die Leistung der Pumpen so beeinflussen, daß das Mischungsverhältnis eingehalten wird. Zu diesem Zweck erfassen zwei Meßgeräte den momentanen Wasser- beziehungsweise ADF-Durchfluß vor der Mischung; zusätzlich wird der Druck in der Spritzleitung gemessen (Bild 2 links). Aufgrund von Nichtlinearitäten stößt die Regelung jedoch auf Schwierigkeiten:

Die Pumpen werden vom Fahrzeugmotor über einen Hydraulikkreislauf angetrieben; Stellventile in diesem Kreislauf regeln die Pumpleistung, die allerdings nicht der Ventilstellung proportional ist. Die Viskosität des Enteisungsmittels und damit der Widerstand, den dieses der Pumpe entgegensetzt, hängt nichtlinear von der Temperatur ab. Die induktiven Durchflußmesser arbeiten mit hoher Zeitverzögerung.

Das PI-Regel-Konzept

In unseren Enteisern haben wir bisher ein Proportional-Integral(PI)-Regelkonzept eingesetzt, bei dem je nach der Abweichung vom Soll-Durchfluß verschiedene Regler wirksam sind. Eine Feinregelung ermöglicht, die gewünschte Menge auf einen Liter pro Minute genau einzuhalten. Weicht nun der Meßwert vom Soll-Durchfluß zu stark (um mehr als drei Liter pro Minute) ab, wird auf eine Grobregelung umgeschaltet, welche die Pumpe schnell nachführt. Dieser zweiteiligen Durchflußregelung ist noch eine PI-Druckregelung überlagert, die nach Erreichen eines Spritzdrucks von sieben bar aktiviert wird und den Druck während des Spritzens auf zehn bar begrenzt. Damit nicht allzu häufig von einem auf den anderen Regler umgeschaltet wird, haben wir diese Umschaltung mit Verzögerung (Hysterese) realisiert.

Wir haben dieses Konzept heuristisch entwickelt, da ein mathematisches Modell nicht mit vertretbarem Aufwand aufzustellen war. Die Regelung ist schon dadurch beeinträchtigt, daß die Meßgrößen nicht alle inneren Zustände des Systems erfassen können. Im Ergebnis zeigt sich, daß der Ansatz, die Nichtlinearität des Systems durch scharfes Umschalten zwischen verschiedenen linearen PI-Reglern zu kompensieren, nicht ausreicht.

Der Fuzzy Controller

Gerade diese Nichtlinearität legte die Verwendung der Fuzzy-Technologie nahe. Eine Reihe von zustandsabhängigen Regeln in Form von WENN-DANN-Formulierungen lagen aufgrund der Erfahrungen mit dem PI-Regel-Konzept bereits vor; die verbale Beschreibung einer geeigneten Strategie war also vorhanden.

Wir entwickelten den Fuzzy-Regler auf einem Personal Computer. Dieser war über eine serielle Schnittstelle mit der Steuerung des Enteisers zum Austausch der Meß- und Stellgrößen verbunden. Nachdem ein zufriedenstellender Regler entwickelt war, wurde dieser in Form einer Tabelle in der speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS) des Enteisers abgelegt.

Der Fuzzy Controller lieferte bessere Ergebnisse als das PI-Regelkonzept (Bild 2 rechts). Wir haben ihn in bedeutend kürzerer Zeit als einen PI-Regler entworfen und eingesetzt. Vor allem erübrigte sich die komplizierte Reglerumschaltung, da der Fuzzy-Regler durch seine konstruktionsbedingte Nichtlinearität ein gutes Einschwing- und Feinregelverhalten zeigt. Gegen Änderungen der Last oder der Spritzmenge und gegen Abnutzung ist er wenig empfindlich. Der Fuzzy-Regler berücksichtigt außerdem – im Gegensatz zum PID-Algorithmus – mehrere Meßgrößen, in diesem Falle Druck- und Durchflußdaten, zugleich.

Man kann geeignete Regeln für ein Fuzzy-System meist ohne Schwierigkeiten aufstellen, da sie nur das Verhalten des Reglers im Groben vorgeben. Für die Güte des Fuzzy-Reglers ist allerdings die richtige Auswahl beziehungsweise Einstellung der Parameter – Lage und Form der Zugehörigkeitsfunktionen, Operatoren, Inferenz- und Defuzzyfizierungsverfahren – von entscheidender Bedeutung, denn diese legen fest, wie zwischen den einzelnen Regeln zu interpolieren ist. Diese Feinabstimmung ist zwar zum Teil sehr mühsam, aber immer noch einfacher als die Einstellung der Größen bei dem PI-Regel-Konzept. Mit den mittlerweile erhältlichen Fuzzy-SPS-Lösungen ist eine komfortable und schnelle On-line-Optimierung möglich.

Die Leistungsfähigkeit des neuen Mischsystems hat sich in zahlreichen Experimenten und in der Praxis gezeigt. Somit ist erwiesen, daß Fuzzy Control auch in dieser sicherheitsrelevanten Anwendung einsetzbar ist.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1993, Seite 97
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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