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Forschen auf Deutsch. Der Machiavelli für Forscher - und solche die es noch werden wollen.


Neulich sagten die Wetterfrösche vom Fernsehen schönes Wetter voraus, doch tags darauf wurde ich auf einer Wanderung vom Regen überrascht. Also beschloß ich, einen amüsanten Ratgeber über das System der Wettervorhersagen in Deutschland zu schreiben. Gerade kam ich bei dem markigen Satz an: „Meteorologen wissen zwar morgens, welche Socken sie mittags tragen; doch ihr Wetterbericht basiert nie und nimmer auf gemessenen Daten“, da ereilte mich die Bitte, einen amüsanten Ratgeber für angehende Forscher zu rezensieren.

Dem Autor war anscheinend Enttäuschendes widerfahren, und er mußte sich seine Erfahrungen von der Verliererseite des wissenschaftlichen Hamsterrennens vom Leibe schreiben. So teilt Siegfried Bär – über dessen Identität wir nicht allzuviel erfahren – die Forscher gleich zu Anfang ein in Lehrstuhlinhaber und „solche, die die Arbeit machen“. Aus diesem Feindbild speist sich eine bissige, ja bisweilen boshafte Abrechnung mit dem vermeintlichen Forschungsalltag wissenschaftlicher Mitarbeiter. Gnadenlos deckt Bär die ungeschriebenen Spielregeln im Alltag der deutschen Biochemiker und Biologen auf. Wie sieht die Hackordnung im Labor wirklich aus? Wie muß der junge Forscher sich verhalten, wen muß er treten und wen hofieren, um möglichst schnell Karriere zu machen? Dies wird in pseudowissenschaftlicher Sprache ausgeführt und mit vielen durchaus geistreichen Diagrammen und Illustrationen versehen.

Als Beispiel diene die schon wegen ihrer Orthographie und Zeichensetzung interessante Definition: „Habilitant: Ein reifer, im langjährigen Dienste des Herrn ergrauter Laborveteran, dem, durch langes Dienen, der Ehrgeiz und andere bunte Vögel gründlich ausgetrieben wurden. Viele Habilitanten sind sogar überreif und werden daher nach der H faul –spätestens aber nach der Berufung. Der H ist die Person mit dem geringsten Einfluß auf den H-prozeß.“

Nichts dagegen, daß das Buch – wie jede Karikatur – die Wirklichkeit überzeichnet. Doch die pauschalen Verurteilungen und Überzeichnungen wirken schnell fad. Ein mehrgängiges Menü, in dem jeder Gang mit demselben scharfen Gewürz gepfeffert ist, wirkt nun einmal eintönig. Mich hat denn auch die päpstliche Arroganz, mit der hier Erkenntnisse und Spielregeln verkündet werden, eher geärgert als amüsiert.

Als Betroffener durfte ich nämlich am eigenen Leibe erfahren, daß es im Forschungsalltag keine festen Spielregeln gibt. Wenn es beim Verteilungskampf um die Wurst geht, werden zur Not neue Spielregeln erfunden. Das Aufstellen neuer Gesetzmäßigkeiten liegt uns Forschern nun mal ebenso im Blut wie das Verwerfen oder die Weiterverwendung kritisch hinterfragter Modelle.

Und auch Bär hat forsches Forscherblut in seinen Adern, denn er schlägt vor, die von ihm diagnostizierten Spielregeln grundlegend zu ändern: Abschaffung der Ordinarien, ausschließlich Zeitverträge für Forscher, Studiendauer von drei Jahren (wie angeblich in den USA) und ähnlich tolle Ideen sollen dem deutschen Forscher aus Lethargie und aus dem Mangel an finanzieller Sicherheit helfen. So mancher Alt-68er wird es mit klammheimlicher Freude lesen.

Das meiste von dem, was Forscher so produzieren, wandert in den Papierkorb und erblickt nicht das Licht der Öffentlichkeit. So erging es auch meinem Bericht über die Wetterfrösche. Das Buch von Bär flog hinterher. Ich denke, da liegen sie beide richtig.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1993, Seite 134
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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