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Metallurgie: Karosserie aus dem Computer

Wie sich ein Blech optimal in Form bringen lässt, simuliert ein neues Verfahren genauer und schneller, als bisherige es vermochten.


Metalle zeigen unter Last ein sehr komplexes Fließverhalten, wie die Umformung eines Aluminiumblechs zum Napf zeigt: Sein Rand stülpt sich zu unerwünschten Zipfeln aus. Beim Pressen von kompliziert geformten Metallteilen, etwa Kotflügeln, kann das gravierende Fehler zur Folge haben: Das Metall wird in manchen Bereichen zu dick oder zu dünn oder quillt an Stellen, die kaum nachbearbeitet werden können; unter Umständen bildet seine Oberfläche eine "Rinde" anstatt glatt zu glänzen.

Das zwingt die Autoindustrie bei jedem neuen Fahrzeugtyp zu einer aufwendigen Entwicklung neuer Presswerkzeuge, mit der die Fahrzeugteile produziert werden. "Pro Werkzeug kostet das zwischen 7,5 und 25 Millionen Euro", so Dierk Raabe, geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung in Düsseldorf. "Und dennoch gibt es in der monatelangen Anlaufphase einer neuen Produktion durchaus 30 bis 40 Prozent Ausschuss!" Dabei setzen die Autohersteller in der Entwicklung bereits aufwendige Simulationssoftware ein, um die hohen Kosten zu reduzieren. Die Düsseldorfer Forscher haben nun ein neues, für die Industrie geeignetes Verfahren entwickelt, welches das Fließverhalten realistisch simulieren kann.

Kristalle unter Druck

Metalle bestehen aus vielen winzigen Kristallen, die sich beim Erstarren aus der Schmelze bilden. Jeder davon ist wie ein Sandwich aus parallelen Atomlagen aufgebaut. Sein Atomgitter ist deshalb in eine Richtung orientiert. Beim Umformen geraten diese Kristalle unter Druck: Sie rotieren und verformen sich, wegen der Sandwichstruktur aber nur in Vorzugsrichtungen. Deshalb fließt das Metall nicht gleichmäßig wie ein zäher Sirup, sondern dehnt sich bevorzugt in bestimmte Richtungen aus. Im Halbzeug – das sind Bleche, wie sie die Automobilindustrie weiterverarbeitet – hat das Auswalzen einen Teil der Kristalle bereits parallel ausgerichtet. Solche Bleche fließen noch ungleichmäßiger, wenn sie in eine Form gepresst werden.

Herkömmliche Simulationsprogramme der Autoindustrie berücksichtigen diese Mikrostruktur nicht. Deshalb können sie nur realistische Ergebnisse erzielen, wenn sie mit empirischen Daten gefüttert werden. Die wiederum stammen aus zahlreichen, kostspieligen Testreihen mit Prototypen des neuen Presswerkzeugs. Das resultierende Rechenmodell gilt dann auch nur für von diesem Werkzeug hergestellte Bauteile.

Metallforscher verwenden hingegen schon länger Programme, die das Verhalten jedes individuellen Kristalls im Metall nachbilden. So können sie beliebige Umformungen realistisch simulieren. Allerdings beanspruchen diese Verfahren Wochen an Rechenzeit – ein Werkstück besteht immerhin aus mehreren Millionen Kristallen. Für die Industriepraxis ist das viel zu lang.

Die Düsseldorfer Metallforscher haben ein neues Verfahren entwickelt, das diese Rechenzeiten um das Hundert- bis Fünfhundertfache reduziert, ohne an Genauigkeit zu verlieren. Die neue "Texturkomponenten-Kristallplastizitäts-Finite-Elemente-Methode" nutzt dazu ein ausgeklügeltes mathematisches Verfahren. Es fasst jeweils gleich orientierte Kristalle in Gruppen, so genannten Texturkomponenten zusammen und modelliert deren Verhalten. Weil sie damit die Mikrostruktur berücksichtigt, kann diese Modellierung sogar entsprechende Da-ten der Blechhersteller verarbeiten, die durch Röntgenbeugung routinemäßig gewonnen werden.

Führende Auto- und Halbzeughersteller zeigen starkes Interesse an dem Softwarepaket aus Düsseldorf. Es könnte die Kosten für die Entwicklung neuer Fahrzeuge im Bereich der Werkstoffbearbeitung drastisch reduzieren. Derzeit testen einige Unternehmen nun die Integration des Pakets in ihre Fahrzeugentwicklung, dazu gehört auch die Simu-lation von Verformungsprozessen in Crash-Tests.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2002, Seite 88
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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