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Kunststoff oder Holz?

Erstmals kommen Holzwerkstoffe auf den Markt, die sich mit herkömmlichen Maschinen der kunststoffverarbeitenden Industrie in Form bringen lassen.


Wer einen Baumarkt aufsucht, um für Möbel oder Innenraumausbau einen geeigneten Holzwerkstoff zu finden, kann aus einer breiten Palette wählen: Sperrholz, Tischler-, Span- und Faserplatten gibt es in verschiedenen Stärken; für höhere Belastungen eignen sich Platten mit ausgerichteten Spänen (OSB, oriented structural board) oder MDF (mitteldichte Faserplatten). Nur eines fehlt im Sortiment: Holzwerkstoffe in räumlich komplexerer Gestalt.

Dabei gäbe es genügend Bedarf. Alljährlich verlegen Hand- und Heimwerker in Europa etwa 50 Millionen Meter Fußbodenleisten, doch kostengünstige Profile bestehen aus Kunststoff: In Extrudern genannten Maschinen der Massenfertigung wird ein Granulat mittels einer Schnecke verdichtet, homogenisiert, erwärmt und fließfähig gemacht; in endlosen Strängen verläßt es die Maschine dann durch eine formgebende Düse. Es gibt auch mit Faserstoffen oder Holzmehl gefüllte Kunststoffe, die wieder mit Standardverfahren der kunststoffverarbeitenden Industrie zu formen sind, doch solche wood-like-plastics kann man nicht wie Holz durch ein Furnier oder harzgetränktes Papier veredeln. Wer kein Imitat möchte, der muß tief in die Tasche greifen: Fußbodenleisten aus Holz werden aus massiven Stangen herausgefräst; dabei fällt viel Abfall an.

Dem Interuniversitären Forschungsinstitut für Agrarbiotechnologie in Tulln bei Wien gelang es erstmals, Holzwerkstoffe zu entwickeln, die wie thermoplastische Kunststoffe durch Extrusion, aber auch durch Spritzguß in Form zu bringen sind. Bei diesem zweiten Verfahren der Massenherstellung wird ein Kunststoffgranulat wieder zunächst durch Wärme und Scherkräfte plastisch gemacht, dann aber unter hohem Druck in eine geschlossene Hohlform gespritzt. Dieser Vorgang, mit dem beispielsweise Eimer oder Telephongehäuse fabriziert werden, erfolgt im Takt weniger Sekunden; Trennmittel sorgen deshalb dafür, daß die Teile nicht in der Form kleben, sondern sich rasch entfernen lassen.

Als Basis der patentierten Werkstoffe Fasal und Fasalex dienen Holzspäne oder -mehl, eventuell zusätzlich oder alternativ andere cellulosereiche Materialien wie beispielsweise Kokos, Flachs, Hanf, Reisschalen oder Stroh. Stärkehaltige Pflanzen bringen das nötige biologische Bindemittel ein, das die Holzteilchen verklebt.

Diese Materialien geben wir in einen Extruder, wo sie durch Wärme, Druck und Scherkräfte aufgeschlossen und miteinander verschmolzen werden; Wasser und mehrwertige Alkohole müssen dabei als Hilfsstoffe zugegen sein. Das Ergebnis ist ein Granulat, ein Zwischenprodukt aus drei bis fünf Millimeter großen Körnchen.

Bei neuerlicher Erwärmung werden diese dank des Bindemittels formbar. Das besteht vor allem aus Stärke, einem Glucosepolymer. Statt sie zunächst rein gewinnen zu müssen, ermöglicht unser Verfahren, einfach stärkehaltige Rohstoffe, sogenannte Zerealien, in den Extruder zu geben; das ist hierzulande meist Mais in Form von Grieß oder Mehl, aber Reis oder Cassava aus tropischen Kulturpflanzen sind ebenso geeignet. In der Maschine wird die molekulare Struktur der Biopolymere angegriffen, und die Molekülketten ordnen sich um. Diesen Umstand hat man sich schon früher zu Nutze gemacht, um sogenannte "destrukturierte" oder "thermoplastische Stärken" herzustellen (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1995, S. 81). Außer Stärke sind auch Dextrine, Pektine und einige Eiweiße als Bindemittel geeignet.

Die dritte wichtige Komponente des Granulats sind natürliche oder synthetische Harze. Sie verhalten sich wasserabweisend und schützen somit den ansonsten hydrophilen Werkstoff gegen Feuchtigkeit und Mikroorganismen; außerdem verkleben sie die Fasern und unterstützen damit das Bindemittel. Allerdings dürfen die Unterschiede zwischen Faserstoff, Biopolymer und Harz nicht zu groß sein, sonst können sie keinen innigen Verbund eingehen. Wasserbindende Seitenketten des ansonsten wasserabstoßenden Harzes sind dazu beispielsweise hilfreich. Auch die Schmelzpunkte dürfen nicht zu weit auseinander liegen, sonst kann sich die Farbe beim Erwärmen auf höhere Temperaturen verändern.

Es gibt noch zahlreiche weitere Zusätze, die bei der Herstellung des Granulats untergemischt werden, um die Eigenschaften von Fasal und Fasalex auch bei der Weiterverarbeitung zu beeinflussen. Lösliche Gleitmittel machen beispielsweise die Masse in der Maschine fließfähiger und verringern so die Scher-Energie. Salze und mehrwertige Alkohole erhöhen den Siedepunkt des in der Maschine unter hohem Druck stehenden Wassers. So verhindern sie, daß es beim Austritt aus der Düse schlagartig verdampft und die Schmelze unkontrolliert aufbläht.

Tests zur mechanischen Belastbarkeit haben gezeigt, daß es für die Qualität nicht entscheidend ist, ob man Weich- oder Hartholz verwendet, sondern daß eine bestimmte Größenverteilung von Spänen und Pulver sowie ein konstanter Wassergehalt gewährleistet ist.

Eine erste vielversprechende Anwendung ist die Extrusion von Fußbodenleisten und anderen Hohlprofilen. Das Granulat wird dazu wieder in einen Extruder gegeben, das gewünschte Profil dann mit einer entsprechend geformten Düse in einem Endlosstrang ausgedrückt. Auch der Spritzguß ist bereits erprobt (das dafür konzipierte Fasal hält dem hohen Druck stand und läßt sich aufgrund bestimmter Additive leichter aus der Gußform lösen). Die Produkte sind in ihren physikalischen Eigenschaften solchen aus herkömmlichen Holzwerkstoffen vergleichbar und lassen sich auch wie solche lackieren, lasieren, folieren, pulverbeschichten oder mit Echtholz furnieren. Durch Trocknen verlieren die Holzteile ihre thermoplastischen Eigenschaften, erweichen also bei nochmaligem Erhitzen nicht.

Werden ausschließlich biologisch abbaubare Materialien verwendet, kann man die Produkte nach der Gebrauchsdauer auf herkömmlichen Kompostieranlagen entsorgen (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1995, S. 87). Dienen obendrein preisgünstige agrarische Massenprodukte als Rohstoffe, konkurriert zumindest das Extrusionsgranulat bereits mit Massenkunststoffen. Bei steigender Produktionsmenge wird sich das Verhältnis weiter verbessern. Wir haben Fasal und Fasalex patentieren lassen und Lizenzen an österreichische Firmen vergeben, die auch eine Weiterentwicklung finanzieren. Erste Spritzgußprodukte aus Fasal wie Spielzeuge oder Christbaumschmuck kamen bereits 1996 in Europa und 1998 auch in den USA auf den Markt. Die Granulate sind allerdings noch nicht so schnell verarbeitbar wie solche aus Kunststoff. Die Herstellung von hohlen Boden-, Wand- und Deckenprofilen aus Fasalex hat bereits im industriellen Maßstab begonnen.

Für diesen Bereich haben wir uns ein anspruchsvolles Ziel gesetzt: die Herstellung von Fensterprofilen. Die größten Probleme sind dabei die Beständigkeit gegen die Witterung und die Maßhaltigkeit.

Ein erhöhter Kunststoffanteil von Fasalex beispielsweise macht das Material weniger anfällig gegen Feuchtigkeit, doch wäre es dann auch nicht so einfach zu entsorgen. Wir hoffen, in den nächsten drei Jahren die richtigen Antworten auf dieses Problem gefunden zu haben.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1999, Seite 90
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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