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Evolution: Faszinierende Riesenviren

Noch vor 15 Jahren waren sie unbekannt, jetzt stehen sie im Zentrum des Interesses: Riesenviren. Manches an ihnen erinnert an komplexe Zellen, so etwa das gut ­ausgestattete Genom. Und vielleicht reicht ihr Ursprung bis in die Frühzeit des Lebens vor 3,7 Milliarden Jahren zurück.
Das Pithovirus ist das größte bisher bekannte Riesenvirus: Es misst in der Länge 1,5 Mikrometer und ist sogar noch im Lichtmikroskop zu erkennen. Allerdings besitzt es nur Gene für knapp 500 Proteine, weniger als ein Viertel einiger anderer Virengiganten.

Als britische Forscher 1992 nach der Ursache eines Ausbruchs von Lungenentzündungen durch den Erreger Legionella pneumophila fahndeten, stießen sie in einem Kühlturm der Stadt Bradford auf einen bis dahin unbekannten Mikroorganismus. Dieser befiel Amöben, die in dem Kühlsystem lebten. Wegen seiner Größe hielt man ihn für ein parasitisches Bakterium und nannte ihn daher Bradfordcoccus. Dass es sich in Wahrheit um ein Virus handelte, entdeckten erst 2003 zwei Forscherteams: das von Didier Raoult vom Hôpital de la Timone in Marseille und unseres. Der Erreger wurde nun umgetauft in Mimivirus, nach englisch "microbe mimicking virus": ein Virus, das Mikoben nachahmt, so dass sich die Amöben täuschen lassen und es als vermeintliche Nahrung auf­nehmen. Und wir schlugen vor, es als bisher ersten bekannten Vertreter von "Riesenviren" zu verstehen, einer mutmaßlichen "Gruppe großer DNA-Viren".

Nähere Untersuchungen ergaben bald, dass die Komplexität dieses Mimivirus, beispielsweise die seines Genoms, an die von einigen parasitischen Bakterien heranreicht. Aus den bis dahin bekannten Viren mit ihrer meist sehr bescheidenen genetischen Ausstattung sticht es in der Hinsicht völlig heraus. Viele von ihnen weisen nur die genetische Information für eine Hand voll Proteine auf. Dagegen kodiert die DNA des Mimivirus zirka 1000 verschiedene Enzyme und andere Moleküle. Die kleinsten Viren beschränken sich auf die allernotwendigsten Gene für ihre Verbreitungsprodukte, die Virionen, und überlassen deren Herstellung komplett der von ihnen infizierten Zelle. Größere klassische Viren – etwa Phagen, die Bakterien infizieren – können die Kodes für immerhin bis zu einige hundert Proteine besitzen.

Seit der Entdeckung des Mimivirus haben Forscher rund zwei Dutzend weitere Riesenviren aufgespürt. Noch geben diese biologischen Objekte uns viele Rätsel auf, besonders bezüglich ihrer Einordnung in den Stammbaum des Lebens. Wie könnten die Giganten unter den Viren entstanden sein? Auf welche Weise sind sie mit anderen Viren und den verschiedenen zellulären Organismen verwandt? Bilden sie womöglich einen eigenen Ast im Stammbaum? Und weswegen sind sie überhaupt so groß? Auch wüssten wir gern, ob Riesenviren existieren, die Menschen infizieren ...

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  • Quellen

Abergel, C. et al.: The Rapidly Expanding Universe of Giant Viruses: Mimivirus, Pandoravirus, Pithovirus and Mollivirus. In: FEMS Microbiology Reviews 39, S. 779–796, 2015 (Federation of European Microbiological Societies)

Claverie, J.-M., Abergel, C.: Giant Viruses: The Difficult Breaking of Multiple Epistemological Barriers. In: Studies in History and Philosophy of Biological and Biomedical Sciences 59, S. 89–99, 2016

Claverie, J.-M., Abergel, C.: Les virus géants: État des connaissances, énigmes, controverses et perspectives. In: Médecine/Sciences 32, S. 1087–1096, 2016

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