Direkt zum Inhalt

Vorhersage der Festigkeit von Verbundwerkstoffen

Mit Hilfe einer neuen Simulationsmethode ist es gelungen, auch für zufällig angeordnete Fasern oder Teilchen vorauszuberechnen, welchen Widerstand ein Verbundwerkstoff einer deformierenden Kraft entgegensetzt.

In vielen Bereichen, insbesondere in der Luft- und Raumfahrt sowie im Automobilbau, werden gegenwärtig verstärkt Verbundwerkstoffe eingesetzt. Man bettet beispielsweise Partikel oder hochfeste, parallel ausgerichtete Fasern in metallische Werkstoffe ein, um durch Kombination der besonderen Vorzüge beider Komponenten die mechanischen Eigenschaften des Bauteils zu verbessern.

Beispielsweise bestehen die röhrenförmigen Streben, die den Frachtraum des Space Shuttle tragen, aus Aluminium, das durch Millionen von Fasern aus dem extrem harten Bor verstärkt ist. Mit einem Durchmesser von zehn Mikrometern ist jede einzelne Faser deutlich dünner als ein Haar; dank ihrer chemischen Eigenschaften haftet sie sehr gut am umgebenden Aluminium. Dadurch ist der Verbundwerkstoff – insbesondere bei hohen Temperaturen – stärker belastbar als jede seiner Komponenten in Reinform.

Von besonderem Interesse ist es, die Eigenschaften eines solchen Materials zu berechnen, bevor es hergestellt wird, und – in einem weiteren Schritt – Werkstoffe mit vorgegebenen Eigenschaften gezielt zu entwerfen. Uns ist kürzlich bei zwei großen Klassen von Verbundwerkstoffen eine solche Vorhersage der Festigkeit für alle Materialkombinationen gelungen.

Ein Werkstück mit parallel angeordneten Fasern ist einleuchtenderweise am widerstandsfähigsten in Faserrichtung. Deswegen konzentrieren sich die Berechnungen auf Belastungen, bezüglich deren das Material am schwächsten ist, nämlich quer zur Faserrichtung. Die ersten derartigen Kalkulationen hat Anfang der siebziger Jahre Donald Adams von der RAND Corporation in Santa Monica (Kalifornien) durchgeführt.

Wenn die Fasern regelmäßig – beispielsweise an den Ecken eines quadratischen Gitters – angeordnet sind, muß man nicht das Verhalten einer ganzen Querschnittsfläche berechnen. Es genügt ein rechteckiger Ausschnitt, der so gewählt ist, daß durch Spiegelung an seinen Seiten die komplette Struktur rekonstruiert wird (Bild 1). Dann gehorcht nämlich auch der Zustand des Systems unter Belastung derselben Spiegelsymmetrie – vorausgesetzt, die angreifenden Kräfte sind ebenfalls symmetrisch. Man berechnet diesen Zustand als Lösung einer Differentialgleichung, in welche die Symmetrien als Randbedingungen eingehen. Das zu berechnende Gebiet, die sogenannte Rechenzelle, ist also von annähernd derselben Größenordnung wie der Faserquerschnitt selbst; man spricht deshalb von einer mikromechanischen Modellierung.


Finite Elemente

Das Berechnungsverfahren der Wahl ist die Finite-Elemente-Methode (FEM). Dabei wird die Rechenzelle in mehrere hundert Einzelteile zerlegt, die man finite Elemente nennt. Für zweidimensionale Probleme sind sie in der Regel drei- oder viereckig, in drei Dimensionen tetraeder-, würfel- oder prismenförmig. Der Zustand des Systems wird durch eine Überlagerung von Funktionen beschrieben, deren jede in ihrer Wirksamkeit auf ein finites Element oder dessen direkte Umgebung beschränkt ist.

Unmittelbare Wirkung einer von außen angreifenden Kraft ist eine Verschiebung am Rande des Rechengebietes. Zu deren Darstellung verwendet man in der Regel stückweis quadratische Funktionen. Die Dehnung im Material ist der räumlichen Ableitung der Verschiebung proportional und wird dementsprechend durch stückweis lineare Funktionen approximiert. Die Spannung – der Widerstand, den das Material der Verformung entgegensetzt – hängt im allgemeinen nichtlinear von der Dehnung ab.

Sowohl quadratische als auch lineare finite Elemente sind durch jeweils wenige Zahlenwerte eindeutig festgelegt. Aus der Differentialgleichung wird so ein gewöhnliches Gleichungssystem mit immerhin noch mehreren hundert bis tausend Unbekannten in einer Rechenzelle.

Das Ergebnis der Berechnungen entspricht den Erwartungen: Ein Material, dessen Fasern in einem quadratischen Gitter angeordnet sind, ist unter Belastung parallel zum Gitter wesentlich härter, als wenn die Kraft in einem Winkel von 45 Grad angreift (Bild 2). Denn im zweiten Fall hat das Füllmaterial (die sogenannte Matrix) mehr Raum, der Belastung nachzugeben, indem es unter Ausbildung von Scherbändern zwischen den Fasern fließt. (Ein Scherband ist ein ebener Bereich innerhalb des Kristallverbundes, zu dessen beiden Seiten die Atome, der äußeren Kraft nachgebend, aneinander entlanggleiten; typischerweise bilden sich Scherbänder in einem Winkel von 45 Grad zur angreifenden Kraft.)

Die Festigkeit von Faserverbunden mit hexagonalem Gitter liegt in der Regel zwischen diesen beiden Werten. Auch hier gibt es eine Abhängigkeit von der Belastungsrichtung; das Material ist am stärksten bei der in Bild 1 c gezeigten Orientierung und am schwächsten bei 15 Grad Abweichung davon. (Aus Symmetriegründen ist bei 60 Grad die Anordnung dieselbe wie bei 0 Grad; für klei-ne Verformungen gibt es näherungsweise eine weitere Symmetrie bei 30 Grad.) Bei den in der Praxis üblichen Verformungen von weniger als 5 Prozent sind die Unterschiede jedoch so gering, daß solche Verbunde als transversal isotrop (richtungsunabhängig belastbar) gelten.

Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Subra Suresh am MassachusettsInstitute of Technology (MIT) in Cambridge hat kürzlich auch den Fall mit zufällig verteilten Fasern (Bild 1 d) durchgerechnet. Die Forscher verwendeten ein Rechengebiet mit ungefähr 30 Fasern – ausreichend für eine gute Näherung an die Isotropie, die sich bei sehr vielen zufällig verteilten Fasern einstellt. Die errechnete Festigkeit war besser als beim hexagonalen Verbund, blieb jedoch hinter der des quadratischen Verbundes in dessen Vorzugsrichtung zurück (Bild 2). Ohne Computersimulation hätte diese Erkenntnis nicht gewonnen werden können; denn es ist in der Regel nicht möglich, Verbundwerkstoff-Testproben mit derart präzise ausgerichteten Fasern experimentell herzustellen.


Selbstkonsistente Rechenzellen

Auf den ersten Blick erscheint der erhöhte Aufwand für die zufällige Faseranordnung als unvermeidlich; schließlich fehlt die Symmetrie, dank der man im anderen Falle das Rechengebiet auf eine einzige Simulationszelle reduzieren konnte. Andererseits hat gerade die zufällige Anordnung eine Symmetrie. Sie gilt nicht im Kleinen, denn in der unmittelbaren Umgebung einer Faser ist das Material verschieden hart, je nachdem, ob in Richtung der angreifenden Kraft eine weitere Faser eng benachbart liegt oder nicht; über alle Fasern gemittelt ist jedoch das Material insgesamt isotrop.

Also verwendet man einen Trick und modelliert den Werkstoff durch eine einzige Faser, die von einem Stück Matrix und weiter draußen von einem homogenen, isotropen Material mit zunächst unbestimmten Eigenschaften umgeben ist. Festgelegt ist nur, daß dieses Material auf seine Umgebung im Mittel genau so wirken soll wie die Faser samt Matrixumgebung selbst (Bild 3 links).

Während im Falle der symmetrischen Rechenzelle – vereinfacht ausgedrückt – die Verhältnisse außen bekannt und die Verhältnisse innen zu berechnen sind, steht man jetzt vor der Situation, daß man die inneren Verhältnisse aus den äußeren berechnen könnte und umgekehrt; nur sind beide unbekannt.

Die Lösung des Problems besteht darin, daß man zunächst irgendwelche Werte für das äußere Material vorgibt, daraus die des inneren, bestehend aus Faser und Matrix, berechnet, das Ergebnis auf das äußere überträgt – denn beide Materialien sollen ja in Wirklichkeit dasselbe sein – und diesen Prozeß so lange fortsetzt, bis das Ergebnis selbstkonsistent, das heißt in sich stimmig ist.

Die Idee, Verbundwerkstoffe im Zusammenhang mit der FEM selbstkonsistent zu modellieren, geht auf Hellmut F. Fischmeister vom Max-Planck-Institut für Metallforschung in Stuttgart zurück. Mit dieser Methode hat 1992 sein damaliger Doktorand Christian Dietrich den Einfluß unterschiedlicher Teilchengrößen auf das mechanische Verhalten untersucht. Die hier vorgestellten Ergebnisse entstanden in der Arbeitsgruppe eines von uns (Schmauder) zwischen 1990 und 1995. Im letzten Jahr hat Martin Sautter die Methodik weiter verbessert.


Ergebnisse

Das Verfahren erweist sich als äußerst gutmütig. In der Regel ergibt sich bereits nach fünf Iterationsschritten eine zufriedenstellende Übereinstimmung (Bild 3). Dabei kommt es nicht darauf an, welche Werte man anfänglich für die Eigenschaften des äußeren Mediums vorgibt.

Wie Derek B. Zahl 1994 gezeigt hat, ist die errechnete Festigkeit eines Verbundwerkstoffs mit zufällig eingebetteten Fasern besser als die eines im übrigen gleichen Stoffes mit hexagonaler Faseranordnung. Sowohl im simulierten als auch im echten Faserverbund sind nämlich Scherbänder bei regelloser Faseranordnung auf kleine Bereiche um die Einschlüsse herum begrenzt. Einer von uns (Dong) fand ebenfalls 1994, daß die Form der Matrixzelle, wenn sie nicht extrem ungeschickt gewählt ist, keinen entscheidenden Einfluß auf das Ergebnis hat. Wir haben mit einer kreisrunden Form gearbeitet, weil sie der globalen Isotropie am angemessensten ist. Ein Vergleich belegt die gute Übereinstimmung zwischen gemessenen und berechneten Werten (Bild 3).

Dong hat eine Vielzahl von Simulationsrechnungen durchgeführt, indem er zwei Parameter systematisch variierte: den Volumenanteil f der Faser und die sogenannte Matrixverfestigung N (ein Maß für die Widerstandsfähigkeit des Matrixmaterials). Die Ergebnisse beschrieb er durch eine komplexe empirische Formel, in die außer f und N vier weitere zahlenmäßige Parameter eingehen; diese hängen nur von den geometrischen Eigenschaften des Verbunds ab. Insbesondere beschreibt die Formel sowohl regelmäßige als auch die praktisch bedeutsamen unregelmäßigen Faseranordnungen. Damit hat man ein Mittel an der Hand, durch geeignete Wahl von f und N sowie der Geometrie Werkstoffe mit vorgegebenen Festigkeitseigenschaften zu erzeugen.

In Fortführung dieser Arbeiten, mittlerweile an der Staatlichen Materialprüfungsanstalt der Universität Stuttgart, gelang es Dong, das Verfahren auch auf dreidimensionale Probleme anzuwenden, insbesondere auf Verbundwerkstoffe mit eingeschlossenen kugelförmigen Partikeln. Interessanterweise ist dieselbe Formel wie im zweidimensionalen Falle geeignet, die Ergebnisse zu beschreiben, allerdings mit anderen Geometrieparametern.

Auch in diesem Falle haben wir eine sehr gute Übereinstimmung mit experimentellen Ergebnissen erzielt. Damit sind jetzt die beiden wichtigsten Klassen von Verbundwerkstoffen mit beliebigen Materialeigenschaften und Einschlußvolumenanteilen erfolgreich modelliert.

Im Rahmen eines Sonderforschungsbereichs, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird, untersuchen wir derzeit die Verallgemeinerung auf Verbunde mit noch komplizierteren geometrischen Verhältnissen. Vor kurzem ist es uns weltweit erstmals gelungen, auch Verbundwerkstoffe mit völlig regellos – also nicht einmal parallel – liegenden Fasern auf einfache Weise im Computer zu modellieren.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1996, Seite 18
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Der Knuddelfaktor

Oh wie süß! In dieser Woche geht es um niedliche Tierbabys und Kinder, dank derer sich nicht nur entspannen, sondern auch manipulieren lässt. Außerdem: ein neuartiges kosmisches Hintergrundrauschen und die Alltagsprobleme von Mars-Helikopter Ingenuity (€).

Spektrum - Die Woche – Der globale Insektenzusammenbruch

In dieser Ausgabe widmen wir uns dem Insektensterben, Depressionen und Supernovae.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.