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Wissenschaft im Alltag: Die Acetylsalicylsäure


Dem Schmerz einen Riegel vorschieben

Ende des 19. Jahrhunderts suchte der deutsche Chemiker Felix Hoffmann, Mitarbeiter der späteren Bayer AG, einen Wirkstoff, der die Schmerzen seines rheumakranken Vaters zu lindern vermochte. Er synthetisierte die Acetylsalicylsäure (ASS), die sich in den folgenden hundert Jahren zu dem weltweit am häufigsten verwendeten Pharmakon mauserte. Am bekanntesten ist sie unter ihrem ersten Handelsnamen: Aspirin. Auf welche Weise ASS seine schmerzlindernde Wirkung entfaltet, blieb allerdings bis vor gut 20 Jahren im Dunkeln.

In den siebziger Jahren entdeckten Wissenschaftler, daß bei Gewebeverletzungen hormonähnliche Substanzen freigesetzt werden: die zunächst nur aus der Samenflüssigkeit bekannten Prostaglandine. Manche davon haben durchaus angenehme Funktionen, schützen etwa die Magenschleimhaut vor Selbstverdauung, andere sind an der Entstehung von Fieber, Schmerzen und entzündlichen Prozessen beteiligt. ASS vermag die Prostaglandin-Synthese zu hemmen, wie der britische Nobelpreisträger John R. Vane bewiesen hat. Doch wie geschieht das im Einzelnen?

Ein Forscherteam, dem auch ich angehörte, begann vor mehreren Jahren ein bestimmtes Enzym zu untersuchen, das in den Syntheseprozeß involviert ist. Es katalysiert die Umwandlung der Arachidonsäure, einer essentiellen Fettsäure, in Prostaglandine. Der Name des Enzyms ist Cyclo-Oxygenase, kurz COX. Die Röntgenstrukturanalyse offenbarte uns zwei Varianten, COX-1 und COX-2, die aber beide eine lange, tunnelartige Struktur aufwiesen. Dort muß die Arachidonsäure hindurch, um zu dem katalytisch aktiven Zentrum des Enzyms zu gelangen.

Acetylsalicylsäure blockiert den Tunnel, indem sich seine Acetyl-Gruppe am Tunnelende fest an eine Aminosäure bindet und somit den Durchlaß verengt. Andere entzündungshemmende Arzneistoffe wie Ibuprofen und Naproxen wirken ähnlich, bilden aber keine festen chemischen Bindungen zum Tunnel aus. Das Erfolgspharmakon verschließt somit die Durchfahrt zum katalytischen Zentrum wie ein eisern verriegeltes Tor, die anderen Mittel hingegen wirken wie ein Wagen in der Einfahrt – dieser läßt sich wieder entfernen.

Doch wo Licht ist, ist auch Schatten: Weil die Acetylsalicylsäure auf beide COX-Varianten wirkt, hemmt sie auch die Synthese der „guten“ Prostaglandine. Pharmaunternehmen bemühen sich deshalb, eine neue Klasse von Schmerzmitteln auf den Markt zu bringen, die selektiv COX-1 ansprechen und somit nur in entzündliche und Schmerz-Prozesse eingreifen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1999, Seite 124
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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