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Wissenschaft im Internet: Virtuelle Universität im Selbstversuch



Das Thema "Neue Medien" bietet den Universitäten in einer für sie schwierigen Zeit öffentlicher Angriffe und allgemeiner Legitimationsprobleme ein erfreulich unverfängliches Feld für öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. Projekte im Bereich der "Multimedialen Lehre" stellen die bestehenden Strukturen nicht in Frage, erfreuen sich häufig finanzieller Unterstützung des Staats und könnten sich schließlich sogar selbst finanzieren – so jedenfalls die Hoffnung. Die Initiatoren der Projekte unterstellen, eine theoretisch unbegrenzte Zahl von Bildungswilligen könne auf Internetseiten zugreifen, die ihrerseits nur ein einziges Mal entworfen und dann lediglich aktualisiert werden müssten. Marktpotenziale sehen sie nicht nur in der Hochschulbildung selbst, sondern auch in der Weiterbildung, lagern doch derzeit viele Großunternehmen ihre betriebliche Weiterbildung aus und suchen neue Bildungsträger.

So versuchen viele Hochschulen, ihr Image und ihr Angebot durch multimediale Lehre zu verbessern. Zahlreiche Präsenzuniversitäten, aber auch Fernuniversitäten, Fernfachhochschulen sowie private Fernstudienanbieter konkurrieren auf dem neu entstehenden Markt. Hinweise finden Sie unter:

http:/www.studieren-im-netz.de/fmg.htm,
http://www.virtuelle-hochschule.de,
http://winfoline.de,
http://www.fernuni-hagen.de oder
http://www.big-internet.de.

Aus didaktischer Sicht könnte die Nutzung neuer Medien für die Studierenden echte Vorteile bieten: Computersimulationen physikalischer oder biologischer Prozesse bringen den Studierenden einen Sachverhalt näher als das echte Experiment auf dem fernen Hörsaaltisch in der Massenvorlesung; die Lernenden selbst können in den Prozess eingreifen und dadurch Erfahrungen ganz neuer Qualität gewinnen. Tempo und Richtung der Lernwege sind am eigenen PC selbstständiger steuerbar als in festgefügten Lehrveranstaltungen. Nicht zuletzt können die Studierenden Zeit und Ort ihrer Lernaktivitäten selbst bestimmen.

Die Praxis dagegen ist weithin enttäuschend. Sehr häufig beschränkt sich der multimediale Auftritt auf die Darstellung von (Hyper-)Texten oder Powerpoint-Präsentationen, allenfalls ergänzt durch Chatrunden oder weiterführende Links ins Netz. Online-Angebote sind technisch häufig instabil und pädagogisch problematisch. Realistische Erfolgschancen der Produkte auf dem Weiterbildungsmarkt sind nicht in Sicht.

Die Gründe für das offensichtliche Defizit liegen, so glaube ich, in der Struktur universitärer Lehre. Denn:

- Investitionen in Form von Zeit und Geld müssen sich für die "Kunden" auch lohnen. Das heißt: Studienangebote müssen vermarktbare Qualifikationen vermitteln, um selbst vermarktbar zu sein. Multimedial erworbene Studienleistungen sind zur Zeit jedoch nur selten den herkömmlichen gleichgestellt.

- Weder inhaltlich noch methodisch ergibt sich eine Orientierung an der (marktrelevanten) Praxis bruchlos aus dem Lehrangebot der Hochschulen. Eine solche Orientierung wird schon sehr lange gefordert und wäre unter Umständen sogar wünschenswert. Sie scheitert jedoch bislang regelmäßig an den Autonomieansprüchen eines Wissenschaftssystems, das sich (aus guten Gründen) seine inhaltlichen Maßstäbe selbst setzt.

- Die Vorstellung, die Nachfrager würden massenhaft und quasi von alleine auf die Lehrangebote im Netz zugreifen, mit ihrer Hilfe lernen und für sie bezahlen, wird in der Realität nicht eingelöst. Fernlehre muss in aller Regel systematisch beworben und verwaltet, kontinuierlich begleitet und durch Präsenzveranstaltungen ergänzt werden. Dieser Aufwand ist in den meisten Fällen mindestens ebenso hoch wie bei der Präsenzlehre.

- Sowohl die inhaltliche und didaktische Gestaltung der Lehrangebote als auch die kontinuierliche Betreuung der Lernenden sind zeit- und kostenintensive Aufgaben, die keineswegs nebenbei oder als Abfallprodukt akademischer Lehre zu erledigen sind. Bislang wird die Entwicklung multimedialer Lehrangebote nur allzu häufig an Studierende und Angehörige des akademischen Mittelbaus delegiert. Diese können zwar eher als die Hochschullehrer mit der nach wie vor sehr komplexen Software für Autoren umgehen, sind aber methodisch wie didaktisch häufig ziemlich unbeleckt. Die Interessenlage dieser beiden Gruppen verhindert tendenziell eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den praktischen Problemen der jeweils anderen: Der sehr erhebliche Aufwand würde – in Geld, Status oder Berufschancen – nicht honoriert.

Demnach sollten die Hochschulen Lehre und Weiterbildung per Internet in eigenständigen Institutionen mit entsprechend qualifizierten und entlohnten Mitarbeitern durchführen. Damit aber würden sie ihren zentralen Wettbewerbsvorteil aufs Spiel setzen: die privat und staatlich subventioniert nutzbare Arbeitszeit von Studierenden und Angehörigen des Mittelbaus.

Langfristig wird die Vermarktung multimedialer Angebote der Hochschullehre jedoch wohl nur erfolgreich sein, wenn die Produkte marktgängigen Qualitätsstandards entsprechen – und das wird nicht allen Hochschulen gelingen. Heute jedenfalls sind die meisten verfügbaren Angebote davon noch weit entfernt.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 2001, Seite 109
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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