Direkt zum Inhalt

Kosmologie: Zivilisationen im All.

Sind wir allein im Universum? Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1999. 284 Seiten, DM 78,–.


Die Außerirdischen sind längst unter uns, glaubt man Mystery-Fernsehserien wie "Akte X". Aber im Ernst: Wie wahrscheinlich sind nach heutigem Kenntnisstand Begegnungen mit intelligenten Lebensformen aus den Tiefen des Alls? Eine seriöse Antwort versucht der Physiker Ulrich Walter, der 1993 als deutscher Wissenschaftsastronaut an einer Space-Shuttle-Mission beteiligt war. Sein Befund ist zwar enttäuschend für Ufo-Gläubige, entführt aber dafür auf eine unterhaltsam-informative Reise in den Grenzbereich zwischen Forschung und Fantastik.

Zunächst erzählt ein historischer Rückblick von Philosophen, Theologen, Wissenschaftlern und Romanciers, die über bewohnte Welten spekulierten, bevor es Raumfahrttechnik gab. Insbesondere für die Kirche war der Gedanke schwer erträglich, Gott könne eine Vielzahl intelligenter Lebensformen erschaffen haben – vielleicht sogar eine jede mit separater Erbsünde und späterer Teil-Amnestie durch den Kreuzestod eines eigens entsandten Gottessohns. In unerklärtem Widerspruch dazu steht allerdings Walters Behauptung (S. 37), im 18. und 19. Jahrhundert sei der "Pluralismus" (die Meinung, es gebe vielerlei Leben im All) "von Kanzeln gepredigt worden und Gemeingut in … religiösen Büchern geworden", und der englische Wissenschaftler Sir William Whewell (1794–1866) habe mit seiner Attacke gegen den Pluralismus den Theologen einen Schlag versetzt, der nur noch durch Darwins Abstammungslehre übertroffen worden sei.

Anschließend widmet Walter sich der Frage: Was ist intelligentes Leben? Er gibt einen Überblick über die gängigen Definitionen für Leben und Intelligenz, und der Leser lernt knapp, aber gar nicht oberflächlich die Probleme der Künstlichen Intelligenz, den Turing-Test und Searles Chinesisches Zimmer kennen.

Wie sehen Etis (extraterrestrische Intelligenzen) aus? Hier ist Walter sehr fantasielos: Sie bestehen aus Fleisch und Blut, sind metergroß, haben ein "Skelett, wahrscheinlich auch Augen und eine Lunge, einen Mund und ein funktionelles Gegenstück dazu" (S. 76). Nur wie das alles zueinander angeordnet ist, will Walter der Fantasie von Science-Fiction-Autoren überlassen. Aber die haben längst Planeten erdacht, die von zusammenhängender Hirnsubstanz bedeckt sind, intelligente Pilzgeflechte, die für Raumsonden unsichtbar bleiben, und vor allem Cyborgs und andere Hybride aus Bio- und Techno-Evolution.

Wie häufig Etis im Universum sind, lässt sich mit der von den amerikani-schen Astronomen Carl Sagan und Frank D. Drake aufgestellten Drake-Gleichung quantifizieren. Sie enthält ein Produkt aus acht Faktoren, von der mittleren Sternentstehungsrate einer Galaxie bis zur mittleren Lebensdauer einer technisch avancierten Zivilisation. Da jeder Faktor nur sehr ungenau abschätzbar ist, lässt sich auch die Gesamtzahl aller Etis nur sehr grob eingrenzen: zwischen 10E3 und 10E17. Das bedeutet immerhin: Höchstwahrscheinlich gibt es im gesamten Universum eine große Menge hochtechnischer Zivilisationen, doch sind sie unter den rund 10E22 Sternen im All so rar, dass es beispielsweise in unserer Galaxis kaum noch eine zweite geben dürfte. Darum wird es wohl nie zum Kontakt mit Außerirdischen kommen.

So traurig dieses Resultat für "Akte-X"-Fans sein dürfte, so ergiebig ist der Weg dorthin für Wissbegierige: Kaum ein Gebiet der Astrophysik, das nicht – kurz, aber gut – von Walter gestreift würde. Theorien über Planetenentstehung kommen ebenso zur Sprache wie die Bedeutung von Jupiter und Mond für das Entstehen von Leben auf unserem Planeten.

Während Walters Fantasie bei der Eti-Biologie eher zu zahm bleibt, kennt sie bei der Frage, ob der Mensch in Zukunft das All besiedeln wird, keinerlei Hemmungen. Hier entpuppt sich das Buch als parteiisches Plädoyer für bemannte Raumfahrt in größtem Stil. Walters persönliche Begeisterung ist verständlich; gleichwohl hätte er die vernünftigen Gründe, die für unbemannte Sonden sprechen, nicht verschweigen sollen. "Ich halte es für essenziell, die Raumfahrt dahingehend zu fördern, um zum Beispiel Kometen und Asteroiden mit Hilfe von Raumschiffen, die mit nuklearen Sprengsätzen ausgestattet sind, vom todbringenden Kurs abbringen zu können. So sind wir kurzfristig darauf vorbereitet, kosmischen Katastrophen gezielt entgegenzuwirken, und langfristig im Stande, der Menschheit den Weg ins All zu bahnen."

So enttäuscht Ulrich Walter zwar die Fans von "Akte X", entpuppt sich aber selbst als Fan von Asteroiden-Katastrophenfilmen wie "Deep Impact" oder "Armageddon". Das kritiklose Ausmalen gigantischer bemannter Missionen, sogar um den Preis, die Jahrhunderte alte Kometenfurcht zu bedienen, ist der Schönheitsfehler dieses klug organisierten, auch äußerlich schön gestalteten Buches.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2000, Seite 107
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.