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News: Die alten Griechen und die Babys

Eine der Wiegen unserer Zivilisation steht im alten Griechenland. Kunst und Kultur gelangten dort zu vorher nicht gekannter Blüte, die Demokratie sicherte in einigen Staaten zumindest der männlichen Bevölkerung ein Mitspracherecht in politischen Angelegenheiten, und Aristoteles entwickelte die Prinzipien der modernen Naturwissenschaft. Dennoch waren normale Vorgänge des Lebens wie Schwangerschaft und Geburt für die Griechen voller Rätsel. Ein neu übersetzter Text macht deutlich, wie wenig die Ärzte damals wußten und wieviel Aberglaube herrschte.
Heutzutage ist unser Wissen über die Entstehung und Entwicklung menschlichen Lebens so weit fortgeschritten, daß Retortenbabys, künstliche Befruchtung und Mehrlingsgeburten für uns schon Alltag sind. Doch im alten Griechenland hatten selbst die höchsten medizinischen Würdenträger keine klaren Vorstellungen davon, wie lange eine Schwangerschaft dauern sollte oder daß es so etwas wie Frühgeburten gab.

Professor Holt Parker von der University of Cincinnati präsentierte am 28. Dezember 1997 auf dem Jahrestreffen des Archaelogical Institute of America die erste Übersetzung eines antiken griechischen Textes, der um 150 vor Beginn unserer Zeitrechnung verfaßt wurde.

Nach Ansicht von Parker hat Damastes, der auch Autor eines weiteren Werkes über Geburten ist, den Bericht verfaßt. Zwar wird auf dem Manuskript „Damnastes“ als Urheber angegeben, doch nach Parkers Angaben gibt es keinen solchen griechischen Namen, so daß es sich vermutlich um einen Schreibfehler handelt.

So wie die meisten seiner Zeitgenossen glaubte Damastes, daß die Entwicklung des Babys einer Ordnung folgt, die sich in der musikalischen Harmonie und im Universum widerspiegelt. „Das reicht von einer irgendwie verrückten Zahlenmagie bis zu einer anspruchsvollen Sicht des menschlichen Körpers als eine Art Mikrokosmos im Universum“, meint Parker.

Seiner Übersetzung des kurzen Textes von Damastes „Die Pflege von schwangeren Frauen und von Kindern“ zufolge war dieser griechische Autor ein Einzelgänger. Während nahezu alle anderen medizinischen Autoritäten glaubten, eine achtmonatige Schwangerschaft sei ein Verhängnis oder Unglück (selbst wenn das Kind lebend zur Welt kam), präsentiert Damastes einen Zeitplan, nach dem er auch Acht-Monats-Kinder für lebensfähig hält, ebenso wie Babys, die nach sieben oder zehn Monaten geboren wurden.

Der Glaube an das Unglück eines Acht-Monate-Säuglings war eine Möglichkeit, mit der Familien den Tod eines Kindes erklären konnten. „Es war ein Weg, niemandem die Schuld zu geben. Es war eben ein Kind von acht Monaten, und deshalb ist es gestorben“, erklärt Parker.

Ebenso wie fast alle bekannten Autoren antiker medizinischer Texte hatte auch Damastes keine Vorstellung von einer Frühgeburt. Nach allgemeiner Vorstellung durchliefen alle Föten verschiedene Entwicklungsstufen – ob die Kinder nun nach sieben, acht, neun oder zehn Monaten geboren wurden. Je nach Dauer der Schwangerschaft waren die einzelnen Phasen nur kürzer oder länger. Damastes nannte folgende Stufen: Schaum, Blut, Form, Bewegung und Geburt.

Anders als seine Kollegen unterschied Damastes aber nicht zwischen den beiden Geschlechtern und deren Entwicklungstempo im Mutterleib. Er schrieb, daß sowohl männliche als auch weibliche Kinder dem gleichen Zeitplan folgen. Aristoteles war dagegen der Ansicht, daß Knaben mit ihren „größeren Köpfen“ schneller als Mädchen fertig entwickelt sind und die Phasen der Formgebung und Bewegung schon nach 40 Tagen erreichen, während Mädchen dafür 90 Tage benötigen.

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