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Infektionskrankheiten: Die Maske des Roten Todes

Pest - das Wort verbreitet nach wie vor Angst und Schrecken. Auch wenn die Seuchenzüge des Mittelalters lange vorbei sind, Yersinia pestis gilt längst nicht als ausgerottet. Und über die ersten Stunden der meist tödlich endenden Infektion ist immer noch wenig bekannt.
Die apokalyptischen Reiter
"Lange schon wütete der Rote Tod im Lande; nie war eine Pest verheerender, nie eine Krankheit grässlicher gewesen. Blut war der Anfang, Blut das Ende – überall das Rot und der Schrecken des Blutes. Mit stechenden Schmerzen und Schwindelanfällen setzte es ein, dann quoll Blut aus allen Poren, und das war der Beginn der Auflösung. Die scharlachroten Tupfen am ganzen Körper der unglücklichen Opfer – und besonders im Gesicht – waren des Roten Todes Bannsiegel, das die Gezeichneten von der Hilfe und der Teilnahme ihrer Mitmenschen ausschloss; und alles, vom ersten Anfall bis zum tödlichen Ende, war das Werk einer halben Stunde."

Die Symptome, die Edgar Allan Poe in seiner Erzählung "Die Maske des Roten Todes" so eindrücklich schildert, haben nichts von ihrem Schrecken verloren. Schließlich hat das erst 1894 entdeckte Bakterium Yersinia pestis entscheidend in die europäische Geschichte eingegriffen: Schätzungsweise 25 Millionen Menschen – und damit ein Drittel der damaligen Bevölkerung Europas – sollen der Pest zwischen 1347 und 1352 zum Opfer gefallen sein. Bis zum Ende des 19. Jahrhundert forderte die auch als "Schwarzer Tod" bezeichnete Seuche immer wieder ihren Tribut; die letzte große Pestpandemie mit etwa zwölf Millionen Toten begann 1896.

Ausgerottet ist die Krankheit längst nicht. In Afrika, Zentralasien, Südamerika sowie in den Rocky Mountains der USA sitzen immer noch Pestreservoire; die Weltgesundheitsorganisation zählt jährlich 1000 bis 3000 Fälle.

Dabei handelt es sich ursprünglich um einer Tierkrankheit. Das Bakterium sitzt im Darm verschiedener Nagetier-Parasiten, wie beispielsweise Rattenflöhen, und wird per Insektenstich übertragen. Die Rattenflöhe bleiben ihren Wirten zunächst treu. Erst wenn alle Nager der Krankheit erlegen sind, suchen sich die Flöhe neue Opfer und nehmen dann auch mal mit einem menschlichen Wesen vorlieb. Über den Stich gerät Y. pestis in die Lymphbahn, die Lymphknoten schwellen zu großen Beulen an – die Beulenpest hat zugeschlagen.

Über die Blutbahn können die Erreger dann die Lunge erreichen und die gefürchtete Lungenpest auslösen. Erst jetzt – wenn das Opfer seine Bakterienlast aushustet – ist die Krankheit unmittelbar ansteckend. Unbehandelt endet Lungenpest nach zwei bis fünf Tagen fast immer tödlich.

Doch was macht das Bakterium so gefährlich? Noch immer ist erstaunlich wenig über die Seuche des Mittelalters bekannt. Insbesondere die Geschehnisse der ersten Stunden, in denen Y. pestis sein tödliches Repertoire entfaltet, interessieren Mikrobiologen und Mediziner. Um hier mehr zu erfahren, infizierten die Forscher um Wyndham Lathem von der Washington-Universität in St. Louis Mäuse mit einem Y.-pestis-Stamm, der aus einem menschlichen Lungenpestopfer isoliert worden war.

Yersinia pestis | Bereits wenige Stunden nach der Infektion vermehrt sich der Pesterreger Yersinia pestis in einer Mäuselunge. Die Bakterien sind braun, das Lungengewebe ist gelb gefärbt.
Wie erwartet, endete die Infektion für die Nager fatal: Nach ein bis zwei Tagen begannen die ersten Symptome – sie atmeten heftig und reagierten nur noch apathisch –, nach drei bis vier Tagen hatte das Leiden ein Ende. Dabei hatten sich die Keime in der Lunge bereits 12 Stunden nach der Infektion drastisch vermehrt. Nach 36 Stunden waren auch andere Organe wie die Milz befallen.

Doch trotz der rasanten Vermehrung der Bakterien schien sich die körperliche Abwehr der Mäuse nur wenig um den Eindringlich zu scheren: 24 Stunden nach der Infektion konnten die Forscher auch nicht mehr Zytokine nachweisen – jene Signalmoleküle, mit denen das Immunsystem in Alarmbereitschaft versetzt wird – als bei den gesunden Kontrollnagern. Erst nach 48 Stunden war ein deutlicher Anstieg erkennbar.

Wie weitere Experimente auch an isolierten Y.-pestis-Kolonien ergaben, bleiben die Bakterien in den ersten Stunden längst nicht untätig: Zahlreiche Gene werden in ihrer Aktivität hochgefahren, andere dafür gedrosselt. Besonders rege zeigen sich die Gene für eine Maschinerie, die als "Proteinssekretionssystem vom Typ III" – kurz SST III – bekannt ist. Diese Proteine, die zunächst bei Yersinia beschrieben, aber inzwischen auch bei anderen Krankheitserregern entdeckt worden sind, bilden in der Bakterienmembran einen Kanal, mit dem sie verschiedene Eiweiße nach außen abgeben können.

Und hier liegt vermutlich der tödliche Schlüssel der Lungenpest: Sofort nach der Infektion baut Y. pestis SST-III-Kanäle in seine Membran und schleust damit bestimmte Proteine aus, die wiederum das Immunsystem des Wirts lahmlegen. Derart maskiert können sich die Bakterien hemmungslos vermehren und sich über den ganzen Körper ausbreiten. Erst jetzt schlägt das Immunsystem zurück – doch dann ist es bereits zu spät. Es endet wie bei Edgar Allan Poe:

"Und nun erkannte man die Gegenwart des Roten Todes. Er war gekommen wie ein Dieb in der Nacht. Und einer nach dem andern sanken die Festgenossen in den blutbetauten Hallen ihrer Lust zu Boden und starben – ein jeder in der verzerrten Lage, in der er verzweifelnd niedergefallen war. Und das Leben in der Ebenholzuhr erlosch mit dem Leben des letzten der Fröhlichen. Und die Gluten in den Kupferpfannen verglommen. Und unbeschränkt herrschte über alles mit Finsternis und Verwesung der Rote Tod."

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