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Covering Climate Now: Die Zukunft der Biokohle

Durch Karbonisierung lassen sich Pflanzenabfälle in wertvolle Materialien umwandeln - oder in einen Speicherstoff, der Kohlendioxid für 1000 Jahre bindet.
Ein Haufen Biokohle, ausgebreitet vor dem Rohstoff Holz im Hintergrund.

Bei der Rettung der Welt kann man sich die Hände richtig schmutzig machen, schwarze Ränder unter den Fingernägeln inklusive. Im Internet kursieren zwar lauter Bilder von einem Material, das jemand mit frisch gewaschener Hand als kleines Häufchen eines schwarzbraunen Granulats vor die Kamera hält. Aber in Wirklichkeit gleicht intensiver Kontakt mit dem Zeug eher dem Versuch, tief im Papiersack mit der Grill-Holzkohle nach dem letzten Krümel zu fischen.

Die Rede ist von einem Material mit vielen Namen: Pflanzenkohle, Biochar, Terra Preta, Huminstoff, karbonisierte Biomasse. Es handelt sich um Pflanzenreste, die praktisch unter Ausschluss von Sauerstoff verschwelen. Pyrolyse, Hochtemperatur-Karbonisieren oder Biomass Steam Processing heißen die Verfahren, an denen Forscher arbeiten. Das Prinzip haben freilich schon die Köhler früherer Jahrhunderte im Wald angewandt. Sie stapelten Holzscheite in ihrem Meiler zwischen Erdwänden, entzündeten den Inhalt und deckten ihn dann ab. So wurde das Brennmaterial um 60 Prozent leichter, ohne allzu viel von seinem Brennwert einzubüßen.

Es geht also um eine Umwandlung des Materials bei Hitze, aber ohne Sauerstoff, ohne offenes Feuer. Bei diesem würde der Kohlenstoff oxidieren, im Wesentlichen zum Treibhausgas CO2. Das Karbonisieren hingegen schließt große Teile des Kohlenstoffs in einem stabilen Material ein.

Eine Alternative zur Kohle

Heute werden die Geräte für diese Umwandlung nicht mehr – wie einst bei den Köhlern – Meiler genannt, sondern Reaktor oder Autoklav, wie das Sterilisationsgerät in der Arztpraxis. Man könnte sie auch als Zeitmaschine bezeichnen: »Beim Karbonisieren können Sie die Verwandlung von Biomasse zu Torf, Braunkohle und Kohle, die in der Natur Jahrmillionen braucht, in ein paar Stunden erledigen«, sagt Markus Antonietti, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam. Und wenn man mit dem entstehenden Material klug umgeht, ist der Chemiker überzeugt, kann man damit auch den Klimawandel aufhalten.

Covering Climate Now | »Spektrum der Wissenschaft« beteiligt sich wie rund 200 andere Zeitungen, Nachrichtenmagazine und Onlineportale an der globalen Aktion »Covering Climate Now«, um in der Woche vor dem Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York (21. bis 23. September) verstärkt über Klimaschutz und Klimawandel zu berichten.

Das Endprodukt lässt sich nämlich als Brennmaterial verwenden wie traditionelle Holzkohle, als kostengünstige Alternative zu Aktivkohle für Filter, an etlichen Stellen in der Landwirtschaft und zur Verbesserung von Böden. Womöglich könnte eine Form von Pflanzenkohle später in einem wässrigen Brei auch in neuartigen Brennstoffzellen Strom liefern oder fein vermahlen beim Anrühren von Beton zugesetzt werden.

Doch wirklich interessant wird das schwarze Zeug wegen eines Nebeneffekts, der heutzutage eher der Hauptzweck ist: Je nach Verwendung ersetzt das Material den fossilen Rohstoff Kohle und trägt dann zur Senkung der Emissionen von Treibhausgasen bei. Oder es verhindert sogar, dass CO2 nach der Aufnahme in Pflanzen wieder zurück in die Atmosphäre gelangt. Das wäre eigentlich der natürliche Gang der Dinge, wenn die Gewächse geerntet oder verbrannt werden, irgendwo verrotten oder kompostieren.

»Wenn Sie zum Beispiel Heckenschnitt einfach auf dem Boden verteilen, entweicht der Kohlenstoff in Form von Kohlendioxid innerhalb von ein paar Jahren wieder in die Atmosphäre«, sagt Claudia Kammann von der Hochschule Geisenheim. »Aber wenn Sie die Biomasse per Pyrolyse in ein stabiles Produkt verwandeln und lagern, dann bleibt mindestens die Hälfte des vorher aufgenommenen Treibhausgases für einige Jahrhunderte dem Kreislauf und vor allem der Atmosphäre entzogen.« Das gilt oft auch dann, wenn die Pflanzenkohle in kleinen Krümeln auf Äckern verteilt wird, wie es das Biochar-Konzept vorsieht. Das Verfahren ist dann eine technisch einfach anzuwendende Negativemissionstechnologie.

Viele mögliche Anwendungen

Karbonisieren ist inzwischen ein Standardverfahren; sowohl die Pflanzenkohle als auch Anlagen zu ihrer Herstellung kann man kaufen, es gibt bereits eine Industrienorm für die Methode. Dennoch wird sowohl an dem Prozess, als auch am besten Einsatz noch geforscht und entwickelt.

In Karlsruhe arbeitet ein Team um Henning Bockhorn vom Karlsruhe Institut für Technologie seit ungefähr zehn Jahren an der Methode des Biomass Steam Processing (BSP). Dabei werden zerkleinerte Pflanzen- oder Gemüseabfälle mit einer Schnecke kontinuierlich in und durch den Reaktor befördert, wo sie mit heißem Dampf bei 250 bis 400 Grad Celsius behandelt werden. Innerhalb von eine halben bis zwei Stunden verwandelt sich das Rohmaterial dann in leichte, trockene, feste, rabenschwarze und geruchlose Biokohle.

Sie enthält, je nach Steuerung der Reaktion, 40 bis 70 Prozent des ursprünglichen Kohlenstoffs. »Wenn Sie Stroh verwenden, sehen Sie allerdings die Form der Halme später noch«, sagt Bockhorn, »weil das Verfahren vor allem die Zellulose umwandelt, aber das strukturgebende Lignin übrig bleibt.«

Wenn sich Zellulose mit der Summenformel C12H20O10 in Kohlenstoff und Wasser spaltet, entsteht Wärme, die den Reaktor heizt. Außerdem entsteht neben der Kohle ein Gemisch aus Gas und Bioölen, in dem auch alle gasförmigen Fremd- und Schadstoffe stecken. Es liefert als Brennstoff weitere Energie für den Reaktor. Zurzeit betreibt das Team eine Pilotanlage, die pro Stunde 50 Kilogramm Rohmaterial zu Pflanzenkohle verarbeitet. Es bereitet aber die Installation eines Demonstrationsreaktors vor, der auf 2000 Tonnen Rohmaterial pro Jahr – bei Vollzeitbetrieb wären das mehr als 230 Kilogramm pro Stunde – kommt.

Biokohle im Großmaßstab

Das Produkt, sagt Bockhorn, könne man zu Aktivkohle für Filter weiter veredeln oder mit Kompost und Humus vermischen, um deren Eigenschaften zu verbessern. In jedem Fall geht es eher darum, fossile Rohstoffe zu ersetzen als Kohlendioxid zu speichern. Das ist ein Gewinn fürs Klima, weil die Emissionen sinken, selbst wenn der einst von Pflanzen aufgenommene und später im Reaktor eingefangene Kohlenstoff irgendwann wieder als CO2 frei wird.

In Ladbergen bei Osnabrück und in der Nähe von Berlin baut das Unternehmen von Peter Brinkhege Anlagen zum Karbonisieren von Abfallbiomasse auf. Das Verfahren bei ihm heißt hydrothermale Karbonisierung (HTC), er hat es gegenüber den Ursprüngen in der akademischen Welt abgewandelt. Ihm schwebt eine »Tankstelle der Zukunft« vor: Dort wird Biomasse angeliefert, zum Beispiel tonnenweise Herbstlaub von Berliner Straßenbäumen. Es vergärt zunächst einige Tage lang in großen, luftdicht abgeschlossenen Röhren und liefert Biogas. Damit können sowohl Autos mit Gasmotoren betankt, als auch ein Blockheizkraftwerk zur Stromerzeugung betrieben werden – und diese Energie lädt Elektroautos auf. Beide Fahrzeugtypen würden dann mit grüner Energie fahren.

Außerdem liefert das Biogas die Energie für den nächsten Schritt. Die Rückstände aus den Biogas-Reaktoren und andere Biomasse – selbst Klärschlamm lässt sich verarbeiten – werden dann in weitere Röhren verladen, wo sie unter Luftabschluss karbonisieren. Brinkhege nennt sie Autoklaven, sie werden auch in der Produktion von Kalksandstein benutzt, dem bisherigen Geschäftsfeld des Unternehmers.

In ihrem Inneren herrschen ein Druck von 16 bar und Temperaturen von gut 200 Grad Celsius; Wasserdampf verwandelt das Material unter diesen Bedingungen innerhalb von acht bis zwölf Stunden zu Biokohle. Bei der Reaktion und wenn die Behälter entspannt werden, entsteht weitere Wärme, die genutzt werden kann, um Nachbartanks aufzuheizen.

Ausgelegt ist das Verfahren auf große Maßstäbe. »Sie müssen schon mehr als 100 Tonnen pro Tag erzeugen können, sonst brauchen Sie gar nicht erst anzutreten«, sagt der Unternehmer. Er möchte seine Biokohle als Brennmaterial an Industriebetriebe verkaufen, die bisher fossile Kohle benutzen, etwa in der Zement- und Stahlproduktion. Der Vorteil für die Abnehmer ist dabei, dass sie keine Emissionszertifikate brauchen. Brinkhege bekommt außerdem Entsorgungsgebühren für das Laub und andere Biomasse und rechnet sich darum aus, dass sein Verfahren profitabel werden kann.

Die nasse Verkohlung

Auch in diesem Fall geht es also darum, fossile Brennstoffe zu ersetzen, sowohl im Verkehr wie in der Industrie. Der einst von den Pflanzen gebundene Kohlenstoff kommt dabei aber relativ schnell als CO2 wieder in die Atmosphäre zurück.

An der Entwicklung des HTC-Verfahrens hat Markus Antonietti vom Potsdamer Max-Planck-Institut großen Anteil. Er nennt es eine »nasse Verkohlung«, weil die vor mehr als zehn Jahren entwickelte Reaktion unter Wasser ablief. Die Biomasse wurde in einem Gefäß von Flüssigkeit bedeckt auf 180 bis 200 Grad erhitzt, und der ganze Prozess fand in einem Drucktank statt, in dem bald 16 bis 20 Bar herrschten. Ursprünglich entstand so eine Art Braunkohleschlamm, der noch getrocknet werden musste. »Das war nie wirtschaftlich und noch heute ist HTC ohne Subventionen oder Förderung an der Schwelle, dass es sich nicht lohnt«, sagt Antonietti.

Inzwischen aber haben chinesische Forscher die Arbeit übernommen, erzählt der Potsdamer Wissenschaftler, und im Fokus stehen nun so genannte Huminstoffe. Das sind kleine Klümpchen aus organischen Molekülen, die den Humusboden verbessern, weil sie stabile Ankerplätze für Bodennährstoffe und biologische Prozesse bilden. Die Zugabe eines Humingranulats kann Antonietti zufolge die Fruchtbarkeit von Böden verbessern. »Damit gibt es nun ein HTC-Produkt mit höherem Wert.«

Der Nebeneffekt ist, dass die umgewandelte Biomasse nach dem Ausbringen in der Landschaft gespeichert wird und der Kohlenstoff der Atmosphäre entzogen bleibt. Das Humingranulat enthalte etwa 95 Prozent des Kohlenstoffs aus dem Pflanzenmaterial.

Ein weiteres Verfahren ist die Pyrolyse, die zumindest beim chemischen Prozessablauf der Arbeitsweise des Köhlers früherer Epochen nahekommt. Claudia Kammann plant, für die auf hochwertige Feldfrüchte spezialisierte Hochschule Geisenheim eine solche Anlage anzuschaffen, um die holzigen Reststoffe aus Obst- und Weinbau sowie aus Park- und Stadtgrünpflege zu verarbeiten.

»Man braucht das Material nur einmal auf Prozesstemperatur zu bringen, und dafür reicht praktisch die Flamme eines Campingkochers, und dann läuft die Reaktion durch die thermische Abwärme von allein.« 600 bis 700 Grad Celsius heiß wird es in der Anlage. Sie liefert Wärme für die Gewächshäuser der Hochschule – und Pflanzenkohle, mit der die Hochschule auf dem Weg hin zur angepeilten CO2-Neutralität noch nicht vermeidbare Emissionen kompensieren möchte.

Dezentrale Reststoffverwertung

Dieses Material könnte in der Landwirtschaft als geruchsmindernder Zusatz der Streu verwendet werden, als Futtermittelzusatz, der die Verdauung verbessert, oder um Gülle aufzubereiten. Im Erdreich würde es einen ähnlichen Zweck wie die Huminstoffe erfüllen. »Besonders auf subtropischen und tropischen Böden gibt es eine mittlere Ertragssteigerung von 20 Prozent«, sagt Kammann. Bei der Pyrolyse würden zwar nur etwa 50 Prozent des Kohlenstoffs eingeschlossen, dafür könne die entstehende Pflanzenkohle bis zu 1000 Jahre stabil im Erdreich ruhen.

Auch wenn die Forscher bei dieser Auswahl der Methoden und Ziele ihrer jeweils eigenen Präferenz folgen, haben alle Methoden einen Nutzen im Kampf gegen den Klimawandel. Für Claudia Kammann und Markus Antonietti steht die Möglichkeit in Vordergrund, mit Hilfe von Pflanzen und der Karbonisierung das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre zu ziehen und zu speichern, wobei die Verwendung des Materials in der Landwirtschaft womöglich sogar Ertragsvorteile bietet.

Das ist auch das Ziel der globalen Vier-Promille-Initiative. Sie möchte den Kohlenstoffanteil der Böden global um 0,4 Prozent pro Jahr steigern – mindestens 30 Jahre lang. Das würde den CO2-Gehalt der Atmosphäre deutlich reduzieren, weil dann der Luft mehr Kohlenstoff entzogen wird, als durch die momentane technische Zivilisation in die Atmosphäre gerät. Die Verfechter betrachten das aber nicht als Freibrief, einfach weiterzumachen, sondern mahnen gleichzeitige deutliche Senkungen der Emissionen aus Kraftwerken, Heizung und Autos an. Gelingt das, kann der Kohlendioxidspiegel immer schneller sinken.

Aber auch die Karbonisierung hat inhärente Probleme, räumen die Entwickler ein. Eines sind die Transportwege für Biomasse: Sind sie zu lang, nimmt der klimaschonende Effekt des Verfahrens schnell ab. Das spricht für viele kleine dezentrale Anlagen statt weniger größerer, stellt aber die Wirtschaftlichkeit in Frage. Auch die Energiebilanz will bedacht werden, darum erproben manche schon, die Reaktionsgefäße mit Sonnenkraft anzuheizen. Schließlich ist noch der Umgang mit Schadstoffen im Rohmaterial ein mögliches Problem. Von den Forschern hört man unterschiedliche Angaben, welche Temperaturen es wirklich braucht, diese oder jene störenden Rückstände zu neutralisieren.

Das Problem stellt sich besonders bei Klärschlamm, der immer mehr Arzneimittelreste und andere Schadstoffe enthält. Sowohl mit dem HTC- als auch mit dem BSP-Verfahren, sagen die jeweiligen Entwickler, lässt sich das Material gesichert umwandeln. Dabei werde auch die neue EU-Verordnung erfüllt, die verhindern soll, dass der Phosphor im Schlamm beim Verbrennen einfach durch den Schornstein weht oder mit der Asche entsorgt wird. Beim Karbonisieren findet sich das Spurenelement, um dessen Nachschub sich viele Sorgen machen, später in der Pflanzenkohle wieder.

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