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News: Dynamische Nachbarschaft

In der Galaxis geht es rund. Wie sehr, das hätte kaum ein Astronom erwartet. Erst eine neue Sternenkarte, in der neben den Positionen auch die Geschwindigkeiten der Sterne im Raum enthalten sind, offenbart, in welchem galaktischen Strudel wir leben.
Manche Fragen sind schwierig zu klären. Nicht etwa, weil sie besonders knifflige Rechnungen oder ausgetüftelte Experimente verlangen. Die Gründe sind mitunter viel einfacher und eher im Mechanismus der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu suchen. Wer als Forscher Karriere machen will, muss nämlich bekanntermaßen möglichst viele Arbeiten veröffentlichen, also effektiv sein. Und weil es viele aufstrebende Talente gibt, die alle auf der Leiter nach oben klettern möchten, sind Beobachtungszeiten an den großen Teleskopen der Welt knapp und wertvoll. Schnell und möglichst sensationell – so das heimliche Credo. Da haben es Projekte schwer, die sich über lange Zeiträume erstrecken und immer wieder den "langweiligen Durchschnitt" betrachten. Was soll dabei schon Interessantes herauskommen?

Zu diesen minder spannenden Objekten gehören Sonnen-ähnliche Sterne vom Typ F und G. Längst waren die einigermaßen hellen Exemplare kartiert, und der Satellit Hipparcos hatte sogar ihre Geschwindigkeiten an der Himmelskuppel vermessen. Allerdings nur in zwei Dimensionen. Was noch fehlte, war die Bewegungsrichtung von der Erde weg oder zu ihr hin. Doch wer wollte diese Mammutaufgabe übernehmen, jeden einzelnen Stern in mehrjährigen Abständen mehrmals zu vermessen? Und an welchen Teleskopen war Zeit dafür übrig?

Die Antwort auf die erste Frage kam aus Skandinavien. Ein internationales Astronomenteam um Birgitta Nordstrøm vom Niels-Bohr-Institut in Kopenhagen verbrachte in über 15 Jahren mehr als 1000 Beobachtungsstunden damit, die Sterne auf Doppler-verschobene Spektrallinien zu untersuchen. Anhand dieser Linien konnten die Forscher errechnen, wie schnell sich das Objekt in Blickrichtung bewegt. Mehr als 63 000 Datensätze von rund 14 000 Sternen kamen so zusammen. Und dafür waren nicht einmal große Superfernrohre notwendig. Nur 1,5 Meter maß das dänische Teleskop des European Southern Observatory (ESO) in La Silla, Chile, und das Observatoire de Haute-Provence in Frankreich stellte ein 1-Meter-Gerät zur Verfügung. Das reichte aus, um die Sterne in einem Umkreis von 500 Lichtjahren genau zu verfolgen.

Heraus kam eine 3-D-Karte mit Angaben zu den Bewegungsrichtungen und -geschwindigkeiten unserer Sternennachbarn. Mit Hilfe des Computers zeigt sie nicht nur den aktuellen Stand am Himmel an, sondern gewährt auch tiefe Blicke in die Vergangenheit und die Zukunft. Die Himmelsmechanik verrät den Weg jedes einzelnen Sterns. Und der war anscheinend oft genug turbulenter, als Astronomen bislang angenommen hatten. "Das kommt daher, dass die Bewegungen der ältesten Sterne gestört wurden, wenn sie in die Nähe schwerer Objekte gerieten wie beispielsweise gigantischer Molekülwolken, Supernovae, Spiralarme oder eingefangener kleiner Satellitengalaxien", sagt Nordstrøm. "Lange Zeit sind die Modelle der Galaxis davon ausgegangen, dass die Umgebung der Sonne sich ruhig und im Wesentlichen isoliert entwickelt hat. Nun sehen wir, dass diese Gegend eher eine turbulente Geschichte hat."

Ganz nebenbei haben die Wissenschaftler auch noch tausende Doppel- und Mehrfachsternsysteme identifiziert und den Gehalt schwerer Elemente bestimmt. Für sich genommen alles keine Sensationen, aber in der Menge ein Datenberg, in den Forscher noch viele Goldminen treiben können. Wäre doch gelacht, wenn man heutzutage nicht durch Ausdauer und mit "kleineren" Teleskopen noch richtige Forschungsarbeit liefern könnte.

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