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ESA-Mission: Der Sonne auf den Pol schauen

Auf geht's zum Sonnenfeuer! Montag früh ist die ESA-Raumsonde Solar Orbiter gestartet. Ihr Auftrag: zehn Jahre lang unsere Sonne erforschen und die Pole fotografieren.
Künsterische Darstellung der Raumsonde Solar Orbiter

Es wird voraussichtlich ein langer Flug und vor allem ein heißer. Montag früh, am 10. Februar um 5.03 Uhr deutscher Zeit, ist die Raumsonde Solar Orbiter gen Sonne gestartet. An Bord einer Atlas V 411 Rakete hob der Orbiter ab und sendet nun Signale zur Erde. Insgesamt zehn Jahre wird die Mission bestenfalls dauern. Die Sonde wird vor Ort Sonnenwinde analysieren, das Magnetfeld vermessen und erstmals detaillierte Bilder der Polarregionen der Sonne liefern. Ein ambitioniertes Unterfangen.

Die wesentlichen Fragen, die es zu beantworten gilt: Wie erzeugt und kontrolliert die Sonne die Heliosphäre? Wie und wo entstehen Plasma und Magnetfeld des Sonnenwinds? Wie erzeugen Sonneneruptionen die energetische Teilchenstrahlung?

Je näher der Solar Orbiter der Sonne kommt, desto präziser die Antworten. Geplant ist, dass die Sonde sich unserem Zentralgestirn zwischenzeitlich bis auf 42 Millionen Kilometer nähert. Entsprechend intensiv wird die Strahlung sein. Zum Vergleich: An einem warmen Sonnentag prasseln etwa 1000 Watt Strahlung pro Quadratmeter auf die Erde. Die Sonde wird mit 17,4 Kilowatt Strahlungsleistung auf derselben Fläche klarkommen müssen. Ein robuster Hitzeschild soll verhindern, dass die Strahlung die Sonde lahmlegt. Auf bis zu 500 Grad Celsius wird dieser sich aufheizen, etwa doppelt so heiß wie ein Backofen also.


Sehen Sie hier erneut den Start der Mission:

Im Notfall bleiben 50 Sekunden zur Rettung

Kurioserweise ist die Oberseite des Schilds pechschwarz. »Auf den ersten Blick scheint es verrückt, eine schwarze statt einer weißen Fläche auf die Sonne zu richten«, sagt Alex Jacobs. Der Physiker und Raumfahrtingenieur war für das Thermaldesign der Sonde verantwortlich. Doch es brauchte ein Material, dass die Ladung der Strahlung ableitet – und das gab es eben nicht hell.

»Die Sonde soll unter anderem geladene Partikel messen. Daher muss das eigene Magnetfeld des Raumfahrzeugs so schwach wie möglich sein.« Oberflächen von Raumfahrzeugen laden sich aber häufig durch geladene Teilchen aus dem Sonnenwind elektrostatisch auf. Der äußere Teil des zweilagigen Schilds besteht daher aus 20 hauchdünnen Titanfolien, auf die eine widerstandsfähige und gleichzeitig leitende Schicht aus Kalziumphosphat und Kohlenstoff aufgebracht ist. »Über sie werden alle Ladungen abgeleitet«, sagt Jacobs.

Auf die erste Hochtemperaturschicht folgt in etwa 15 Zentimeter Abstand eine weitere aluminisierte Lage. »Die gegenüberliegenden Seiten der Platten sind mit einer glänzenden Oberfläche beschichtet, welche die Hitze hin- und herreflektieren. Am Ende wird sie aus der Seite aus der Sonde abgestrahlt«, erklärt der Raumfahrtingenieur. Dadurch fällt die Temperatur von der ersten zur zweiten Schicht von 500 auf 50 Grad Celsius. Das zunächst nur am Rechner simulierte Prinzip und der Schild wurden im Dezember 2019 nach Cape Canaveral gebracht – im Eilverfahren, um etwaigen Komplikationen des damals drohenden ungeordneten Brexits zu entgehen.

Schwarzer Sonnenschirm | Dank des Hitzeschilds soll der Solar Orbiter der Sonne ganz nah kommen können.

Mitentscheidend für den Schutz ist, ob der Schild richtig positioniert ist. Weicht die Ausrichtung nämlich mehr als 3,5 Grad ab, gerät der empfindliche Teil der Sonde ins Sonnenlicht. Dann bleiben der Sonde nur 50 Sekunden, um ihren Schild wieder auf die 5500 Grad heiße Sonnenoberfläche zu richten und die Mission zu retten – vollautomatisch. Manuelle Korrekturen kämen zu spät: Bis das Funksignal die Erde erreicht hätte, wäre die Sonde längst verloren.

1800 Kilogramm wiegt die Sonde, zehn Instrumente trägt sie in sich

Obwohl der Solar Orbiter zu den wenig schmeichelhaft klingenden medium-class missions gehört, verfolgt die ESA ein ambitioniertes Forschungsziel: Die Daten sollen die gesamte elektromagnetische Wechselwirkungskette von der Sonnenatmosphäre bis in den interplanetaren Raum hinein erklären. Zwar sind viele einzelne Phänomene in der Sonnenatmosphäre bekannt, aber nicht immer ihre Ursachen und Zusammenhänge. Bis heute ist beispielsweise unklar, wie das Magnetfeld des Sonnenwinds in der Korona entsteht und wie Sonneneruptionen die Teilchenstrahlung erzeugen, die uns auch auf der Erde erreicht.

Die 1800 Kilogramm schwere Sonde ist mit zehn Instrumenten ausgestattet, von denen neun von der ESA und eins von der amerikanischen NASA kommen. »Die Nutzlast des Solar Orbiters unterteilt sich in so genannte In-situ-Instrumente und Remote-Sensing-Instrumente«, sagt Joachim Woch vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen, das an vier Geräten maßgeblich beteiligt ist. »Die In-situ-Instrumente messen elektrisch geladene Teilchen, Plasma und Magnetfelder am Ort der Sonde. Die Fernerkundungsinstrumente wiederum betrachten die dynamischen Vorgänge auf und bei der Sonne.« Während die vier In-situ-Instrumente auf einer Stange und geschützt hinter dem Hitzeschild sitzen, schauen fünf durch Öffnungen im Schild hindurch und eines knapp daran vorbei, um die Sonnenkorona zu beobachten.

»Solar Orbiter soll die Polregionen der Sonne fotografieren. Bisher sind sie nicht bekannt«Daniel Müller, ESA-Projekt-Wissenschaftler

»Ein wichtiges Ziel: Der Solar Orbiter soll die Polregionen der Sonne fotografieren«, sagt Daniel Müller, Projektwissenschaftler der Mission bei der ESA. »Die Ulysses-Mission ist zwar in den 1990er Jahren in eine polare Bahn gelenkt worden, aber in einem Abstand von eineinhalb Sonne-Erde-Entfernungen und ohne Kameras. Wir haben also keine Bilder.« Die Pole wiederum, sagt Müller, spielen bei der Erklärung des Magnetfeldzyklus der Sonne womöglich eine zentrale Rolle.

Aus diesem Grund begibt sich der Solar Orbiter auf eine lange Reise. Die Sonde wird sich der Sonne zwar schon im März 2022 in einer ersten engen Runde auf etwa 45 Millionen Kilometer nähern und Daten liefern, aber auf dieser Bahn wird sie die Pole noch nicht wie gewünscht sehen können. Erst im Jahr 2028 wird sie sich nach mehreren Vorbeiflügen an Erde und Venus mehr als 30 Grad aus der Ebene des Sonnensystems herausgeschraubt haben und einen bislang einmaligen Blick auf den Stern werfen können. Mit gleich zwei Instrumenten wird der Solar Orbiter die gesamte Sonnenscheibe abbilden und dabei Strukturen von 200 Kilometer auflösen.

Auf die spannendsten Forschungsergebnisse müssen die beteiligten Wissenschaftler also noch eine Weile warten. Doch die Arbeit beginnt unmittelbar nach dem Abflug. Dann nämlich wird sich zeigen, ob die Sonde samt Instrumenten den ruppigen Start überlebt hat – die Reifeprüfung aller Raumfahrzeuge. »Ende Mai erfolgen bestenfalls die ersten regulären Beobachtungen der In-situ-Instrumente«, erklärt Müller. »Das heißt, wir haben Ende nächstes Jahres die ersten Ergebnisse von den Magnetfeld- und Plasmamessungen des Sonnenwinds vor Ort.«

Das komplexeste Instrument heißt PHI

Bis November 2021 wird die so genannte »cruising phase« dauern, die Annäherung an die Sonne. Zwar öffnen sich währenddessen schon die Schutzklappen im Schutzschild, um das erste Licht auf die Teleskope dahinter scheinen zu lassen, aber das dient zunächst nur zur Kalibrierung. Die reguläre Mission mit den bildgebenden Instrumenten beginnt danach.

Heimlicher Star unter den Fernerkundungsinstrumenten an Bord ist zweifellos der polarimetrische und helioseismische Imager (PHI). Andere Geräte wie Koronografen machen mit Aufnahmen von Sonneneruptionen womöglich nicht nur beeindruckende wie der PHI, sondern wahrlich spektakuläre Bilder. Aber die Erwartungen an das teure Gerät sind trotzdem hoch – immerhin lagen die Kosten seiner Entwicklung im hohen zweistelligen Millionenbereich. »PHI ist mit Sicherheit das komplexeste Instrument«, sagt Woch. »Es misst von allen Instrumenten am tiefsten in die Sonnenatmosphäre hinein und indirekt sogar in die Konvektionsschichten außerhalb des Kerns.« Denn über die Muster von Plasmaschwingungen auf der Sonnenoberfläche lassen sich Rückschlüsse auf die Vorgänge darunter ziehen, ähnlich den Schwingungsmustern von Erdbeben.

Mit Hilfe des PHI wollen die Teams vor allem Stärke und Richtung des Magnetfelds auf der Sonnenoberfläche bestimmen. Dieses sei Hauptenergieträger für alle dynamischen Prozesse in der Sonnenatmosphäre, sagt Woch. Dabei gilt es nicht nur, an der Oberfläche zu kratzen, sondern richtig tief in die Sonne hineinzuschauen. Schließlich entstehen die Magnetfelder im Inneren.

Nicht die bildstärkste Sonnen-Mission, aber die umfangreichste bislang

Solar Orbiter ist bereits die 20. Mission, die sich mit der Sonne und ihren Emissionen beschäftigt. Rund 1,2 Milliarden Euro kostet sie, 800 Millionen davon zahlt die ESA. »Es gab schon Instrumente, die sich die Sonne mit höherer Auflösung angeschaut haben und Missionen, die näher heran und weiter aus der Ekliptik geflogen sind«, sagt Woch. »Aber eine Mission mit einer derart umfangreichen Instrumentierung hat es noch nicht gegeben.« Sie ergänzt nicht nur bisherige Missionen, sie macht sie stärker.

Die Kombination der Daten ist auch für Daniel Müller das entscheidende Kriterium. Der Sonnenwind sei zwar aus verschiedenen Abständen bereits untersucht worden, »neu ist aber, dass wir ein Instrument an Bord haben, um die Chemie des Sonnenwinds zu messen«, sagt Müller. Also nicht nur die Elektronen, Protonen und Alpha-Teilchen, sondern auch Eisen, Sauerstoff und andere Elemente. »Das können wir mit den Spektren auf der Sonnenoberfläche verknüpfen, die wir mit einem UV-Spektrometer genau dieser Elemente aufnehmen«, erklärt Müller weiter, um so hoffentlich den Ursprung einzelner Päckchen geladener Teilchen genau zu bestimmen. Der Solar Orbiter hat zudem die Chance, Sonnenwinde möglichst unvermischt zu messen – analysiert man ihn von hier aus, hat er schon zahlreiche Prozesse hinter sich.

Erst zur Sonne, dann noch zur Venus?

Die Erkenntnisse aus der Mission könnte für die Allgemeinheit handfeste Relevanz bekommen. Elektromagnetische Ausläufer großer Sonneneruptionen stören regelmäßig Satelliten und andere Kommunikationssysteme. »Solar Orbiter ist auch eine Forschungsmission, um herauszufinden, welche Mechanismen diese Eruptionen hervorrufen«, sagt Müller. »Wir hoffen zu lernen, wie wir eine Art Weltraum-Wettervorhersage machen können.«

Sieben Jahre soll Solar Orbiter die Sonne umrunden, wenn alles gut läuft drei weitere. Falls nach den etwa 20 Runden um die Sonne noch Treibstoff vorhanden ist, ließe sich die Sonde noch ein Stück näher an die Sonne heranbringen – oder ein Kamikaze-Flug durch die Venusatmosphäre ausführen, sinniert Müller. Einen bewährten Schutzschild hat sie dann dabei.

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