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Extremwetter: Der Hurrikan, der den Schnee brachte

Der Wirbelsturm »Larry« begann in den Tropen und brachte schließlich eine Atempause für Grönlands Eis - nach einem ereignisreichen Sommer für die Region.
Wetter über Grönland

Für einen (ehemaligen) Hurrikan war »Larrys« Zugbahn außergewöhnlich: Nachdem er ab dem 10. September auf die Küste Neufundlands getroffen und dann über den nördlichen Atlantik nach Osten abgebogen war, zog »Larry« in den letzten Tagen an der Südostküste Grönlands vorbei – ein seltenes Ereignis für einen Wirbelsturm.

Entlang seines Wegs an der arktischen Insel lud der Sturm Schneemassen ab und erzeugte starke Winde. Das Dänische Meteorologische Institut meldete an einigen Stationen Böen von bis zu 126 Kilometern pro Stunde. Und dänische Forschungseinrichtungen schätzen, dass Grönland am Sonntag (12.9.2021) an einem einzigen Tag fast zehn Milliarden Tonnen Schnee und Eis hinzugewonnen hat. Es wurde zudem erwartet, dass sich an den folgenden Tagen noch mehr Schnee ansammeln würde.

Bis nach Neufundland behielt »Larry« seinen Status als Hurrikan, bevor er sich auf dem Weg nach Grönland in einen außertropischen Wirbelsturm verwandelte. Außertropische Wirbelstürme haben andere Eigenschaften als Hurrikane, denn sie entwickeln oft einen kalten Kern an Stelle des warmen Zentrums, das bei tropischen Wirbelstürmen üblich ist. Sie können aber immer noch Orkanstärke erreichen.

Für einen atlantischen Hurrikan ist dies eine seltene, wenn auch nicht völlig untypische Zugbahn. Der letzte Sturm, der als echter Hurrikan in Neufundland landete, war »Maria« im Jahr 2011, nur ein Jahr nachdem Hurrikan »Igor« die Insel 2010 heimgesucht hatte.

Schneefall nach »Larry« | Der ehemalige Wirbelsturm »Larry« brachte Schneemassen in den Südosten Grönlands. Je intensiver rot, desto mehr Schnee fiel auf das Inlandeis, das im Sommer 2021 wieder stark gelitten hatte.

Dass ein Sturm mit tropischem Ursprung Grönland erreicht, ist allerdings außergewöhnlich. Zuvor war dies bei Hurrikan »Noel« im Jahr 2007 der Fall, der sich auf seinem Weg über Neuengland und Ostkanada in ein außertropisches System verwandelte und schließlich Südwestgrönland traf, bevor er über den Atlantik nach Osten zog.

Es ist noch unklar, ob sich die atlantischen Hurrikane mittlerweile weiter nach Norden bewegen. In anderen Teilen der Welt deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass sich tropische Wirbelstürme auf Grund des Klimawandels in Richtung der Pole verlagern. Demzufolge könnten Küstengemeinden, die in der Vergangenheit nur selten von Wirbelstürmen bedroht waren, in Zukunft stärker gefährdet sein. Für den Atlantischen Ozean sind die Daten bislang weniger eindeutig. Dennoch warnen Experten davor, dass die Erwärmung der Ozeane dazu beiträgt, dass Hurrikane intensiver werden – und dass dies die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die nach Norden ausgreifenden Stürme länger intensiv bleiben.

Ein denkwürdiger Sommer

Dabei ist die ungewöhnliche Zugbahn von »Larry« nur die jüngste Kuriosität in einem ereignisreichen Sommer 2021 für den grönländischen Eisschild.

Nach Angaben des National Snow & Ice Data Center (NSIDC) begann die Saison mit unterdurchschnittlichen Schmelzraten und starken Zuwächsen an Schnee und Eis. Im Juli hatte sich das Blatt jedoch gewendet. Überdurchschnittlich hohe Temperaturen in Verbindung mit einem Tiefdruckgebiet, das warme Luft über das südliche Grönland leitete, führten in der zweiten Julihälfte zu zwei aufeinander folgenden Schmelzvorgängen auf dem Eisschild. Wie Wissenschaftler schätzen, sind allein am 28. Juli 12,5 Milliarden Tonnen Eis geschmolzen und vom Eisschild abgeflossen. Das ist das drittgrößte eintägige Schmelzereignis seit Beginn der Aufzeichnungen und wird nur von ähnlichen Ereignissen in den Jahren 2019 und 2012 übertroffen.

Eine weitere starke Schmelzperiode traf den Eisschild Mitte August. Nach Angaben des NSIDC hat es noch nie eine so große Schmelze so spät in der Saison gegeben. Am 14. August meldeten Wissenschaftler ein für sie schockierendes Ereignis an der Summit Station der National Science Foundation, einer Forschungsstation in der Nähe des höchsten Punkts des grönländischen Eisschilds: Es regnete.

Es war das erste Mal in der Geschichte der Aufzeichnungen, dass auf dem Gipfel, der sich mehr als drei Kilometer über dem Meeresspiegel befindet und wo die Temperaturen selten über den Gefrierpunkt steigen, Regen beobachtet wurde. Nach Mitte August zeigten Satellitenbilder und Forschungsflüge tiefblaue Schmelztümpel, die weit über die weiße Oberfläche des Eisschilds verstreut waren.

»Auf dem Transit nach Kangerlussuaq überflogen wir eine Reihe massiver Schmelztümpel und Flüsse, die wieder zu gefrieren begonnen hatten«, twitterte der NASA-Wissenschaftler Josh Willis kurz nach dem Schmelzereignis. »Unser Kapitän Jim Haffey, der das Gebiet seit 25 Jahren befliegt, sagte, er habe noch nie eine größere Schmelze als diese gesehen.«

Die bisher größten Tauwetter in Grönland gab es 2019 und 2012. Die Schmelzraten waren 2012 am höchsten. Die Gesamtmenge des Eisverlustes war jedoch 2019 höher, vermutlich weil es in diesem Jahr ungewöhnlich wenig Schneefall gab. Wissenschaftler schätzen, dass der Eisschild im Jahr 2019 etwa 532 Milliarden Tonnen Eis verloren hat.

Forscher gehen davon aus, dass starke Schmelzvorgänge auf dem grönländischen Eisschild häufiger auftreten werden, da sich das Klima in der Arktis weiter erwärmt. Das ist für Küstengemeinden auf der ganzen Welt ein Grund zur Sorge. Wenn das Eis schmilzt und in den Ozean strömt, steigt der Meeresspiegel weltweit an.

Der Schneefall von »Larry« ist dagegen eine willkommene Auffrischung der Massenbilanz, nachdem das Eis in diesem Sommer so stark geschrumpft ist. »Gute Nachrichten für den Eisschild, für den keine nennenswerte Schmelze oder Regenfälle vorhergesagt werden«, twitterte Xavier Fettweis, Klimawissenschaftler an der Universität Lüttich, als sich der Sturm vor dem Wochenende Grönland näherte. »Nur Schnee!«

Der Artikel erschien ursprünglich auf »E&E News« und wurde mit freundlicher Genehmigung von POLITICO, LLC. übersetzt.

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