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Astrophysik: Geburtshilfe mit der Magnetbremse

Wenn Staub und heiße Gase sich zu wirbelnden Scheiben zusammenfinden und in ihren Zentren zu neuen Sternen heranwachsen, dann verzerren sie dabei das magnetische Feld und bremsen so indirekt ihren eigenen Schwung. Zumindest in der Theorie, denn bislang hatte noch niemand das Magnetfeld in so einer Scheibe gemessen.
Anscheinend bereitet es dem Staub Vergnügen, sich zusammenzuballen. Im Wohnzimmer bezeugen flauschige Kügelchen den mangelnden Reinigungsstand des Haushalts, und in der Milchstraße zeigen rotierende Scheiben die bevorstehende Geburt eines neuen Sterns an. Während beim erstgenannten Prozess die zugrundeliegenden Mechanismen ebenso bekannt sind wie die schleunigst zu ergreifenden Maßnahmen, bleibt uns beim zweiten Vorgang nur die entspannte Betrachtung und fleißige Vermessung. Denn was dort in den fernen kosmischen Kreißsälen vor sich geht, verrät Astrophysikern eine Menge über die Herkunft unserer eigenen Sonne und ihres Planetensystems mitsamt Erde.

In den wesentlichen Zügen ist das Geschehen bekannt: Unter dem Einfluss ihrer gemeinsamen Gravitationskräfte wandern Staubkörnchen, Gasmoleküle und Materieteilchen aus weitem Umkreis zusammen und bilden eine so genannte Akkretionsscheibe, die rasend rotiert. Die Drehung verzerrt das ursprünglich glatte Magnetfeld in der Region, das damit als Bremse wirkt und das Plasma in der Scheibe abbremst. Bei einer langsameren Rotation reicht die Fliehkraft jedoch nicht mehr aus, um gegen den Gravitationssog anzukommen, und so stürzt die Materie ins Zentrum, wo langsam der neue Stern heranwächst. Gleichzeitig pustet der magnetische Energiefluss aber auch Plasma nach draußen, teilweise als Wind, teilweise als gebündelter Jet. Vorausgesetzt, die Theorie ist richtig – denn in der Praxis hat noch niemand die Magnetfelder in Akkretionsscheiben vermessen und das Modell damit auf den Prüfstand geschickt.

Das haben nun französische Astronomen um Jean-Francois Donati vom Observatoire Midi-Pyrénées nachgeholt. Als Studienobjekt wählten sie die Akkretionsscheibe FU Ori im Sternbild Orion, das unter Sternenfreunden für seine stellaren Brutstätten bekannt ist. Mit einer Zuwachsrate von 0,1 Prozent der Sonnenmasse pro Jahr überstrahlt FU Ori seinen zentralen Protostern deutlich und macht die Vermessung der Scheibe damit vergleichsweise einfach. Die Forscher analysierten mehrfach mit Hilfe des Spektralpolarimeters ESPaDOnS am kanadisch-französischen Hawaii-Teleskop auf dem Mauna Kea die Polarisation des Lichts von FU Ori und bestimmten daraus die Struktur und Stärke des dort herrschenden Magnetfeldes.

Tatsächlich bestätigten die empirischen Daten das theoretische Modell. Zumindest in den wesentlichen Zügen. In manchen Aspekten weichen die Werte jedoch von den Erwartungen ab. So erscheint das Magnetfeld nicht homogen, sondern fädig mit magnetischen Flusskanälen, die sich durch das größtenteils unmagnetische Plasma ziehen. Der magnetische Anteil des Plasmas wird außerdem viel stärker abgebremst als bislang berechnet wurde. Womöglich lässt dies auf eine dickere Scheibe schließen und ist der Grund dafür, dass FU Ori keine Jets bildet, obwohl vergleichbare Akkretionsscheiben ihre Winde gebündelt in das Weltall schießen.

Der kosmische Staub bleibt im Detail also weiterhin rätselhaft. Man muss eben ganz genau hinschauen, um ihm seine Geheimnisse zu entreißen – jedenfalls genauer, als es in so manchem Wohnzimmer ratsam wäre.

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