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Genetik: Das menschliche Genom ist bald komplett

Noch ist die Sequenzierung unseres Genoms nicht vollständig abgeschlossen. Doch nun konnten 115 Gene und 200 Millionen DNA-Basenpaare hinzugefügt werden.
Visualisierung genomischer Daten

Als vor 20 Jahren die Sequenzierung des menschlichen Genoms durch das Human Genome Project und die Biotech-Firma Celera Genomics bekannt gegeben wurde, war die Sequenz noch unvollständig. Etwa 15 Prozent fehlten: Die Grenzen der damaligen Technik hatten es unmöglich gemacht, herauszufinden, wie einige der sequenzierten Abschnitte der DNA genau zusammenpassen. Das galt vor allem für Bereiche, in denen sich viele Buchstaben – oder Basenpaare – wiederholen. Im Laufe der Zeit lösten die Wissenschaftler manche der Rätsel. Gerade beim jüngsten untersuchten menschlichen Genom, das Genetiker seit 2013 als Referenz verwenden, fehlten aber bisher noch immer acht Prozent der vollständigen Sequenz.

Jetzt haben Biologinnen und Biologen des Telomere-to-Telomere-Konsortiums (T2T), einer internationalen Kollaboration, die rund 30 Institutionen umfasst, diese Lücken geschlossen. Das berichten die Genomforscherin Karen Miga von der University of California in Santa Cruz und ihre Kollegen. Im nun sequenzierten Rest haben sie zudem 115 neue Gene entdeckt, die für Proteine codieren: Insgesamt kennt man jetzt 19 969 Gene.

»Es ist aufregend, diese Probleme zu lösen«, sagt Kim Pruitt, Bioinformatikerin am US National Center for Biotechnology Information in Bethesda, Maryland, und nennt das Ergebnis einen »bedeutenden Meilenstein«. Das neu sequenzierte Genom – genannt T2T-CHM13 – ergänzt die 2013er Version der menschlichen Genomsequenz um fast 200 Millionen Basenpaare.

Neue Sequenziertechnik

Dieses Mal verwendeten die Forscher nicht DNA einer lebenden Person, sondern Erbgut aus einer Zelllinie, die vom Gewebe einer so genannten vollständigen hydatidiformen Blasenmole abstammt. Jene Mola hydatidosa kann in der Plazenta entstehen, etwa wenn ein Spermium eine Eizelle ohne Zellkern befruchtet. Zudem verdoppelt sich das väterliche Erbgut anschließend, sodass die resultierenden Zellen zwei Chromosomen des Vaters statt wie üblich je eines aus Spermium und Eizelle enthalten. Für Erbgutforscher haben solche Zellen den Vorteil, dass sie darin keine Chromosomensätze von verschiedenen Personen unterscheiden müssen.

Für die aktuelle Arbeit kam eine neue Sequenzierungstechnologie von Pacific Biosciences in Menlo Park zum Einsatz, ohne die die Untersuchung wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre, sagt Miga. Dabei werden Laser zum Scannen langer Abschnitte der aus Zellen isolierten DNA eingesetzt: bis zu 20 000 Basenpaare auf einmal. Herkömmliche Sequenzierungsverfahren lesen die DNA in Abschnitten von jeweils nur einigen hundert Basenpaaren aus, welche die Forscher wie Puzzleteile wieder zusammensetzen müssen. Die größeren Stücke können viel einfacher aneinandergefügt werden, weil sie mit höherer Wahrscheinlichkeit Sequenzen enthalten, die sich überschneiden.

Allerdings ist mit T2T-CHM13 immer noch nicht das letzte Wort zum menschlichen Genom gesprochen. Das T2T-Team hatte Mühe, einige Regionen auf den Chromosomen aufzulösen, und schätzt, dass etwa 0,3 Prozent des Genoms Fehler enthalten könnten. Es gebe aber keine Lücken mehr, sagt Miga. Das Spermium, dem die Blasenmolen-Zelllinie ihre Existenz verdankt, hatte allerdings ein X-Chromosom beigesteuert. Die Forscher haben mit der neuen Technik demnach noch keines der für die männliche Entwicklung typischen Y-Chromosome sequenzieren können.

Hunderte von Genomen sollen folgen

T2T-CHM13 repräsentiert zudem nur das Genom einer einzigen Person. In den nächsten drei Jahren sollen deshalb mehr als 300 Genome von Menschen aus aller Welt sequenziert werden. T2T-CHM13 soll dabei als Referenz dienen. Damit ließe sich verstehen, welche Teile des Genoms sich üblicherweise zwischen Individuen deutlicher unterscheiden. Die Gruppe plant – neben der anstehenden Analyse eines Y-Chromosoms – auch, ein typisches ganzes Genom mit Chromosomen von Mutter und Vater zu sequenzieren.

Genetiker könnten in Zukunft schneller herausfinden, ob neu sequenzierte Bereiche oder ihre Gene mit Krankheiten in Verbindung stehen. »Wir müssen einen neuen Standard in der Genomik erreichen, bei dem diese Analysen nichts Besonderes sind, sondern Routine«, sagt Karen Miga.

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