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News: Geschlechterkonflikt in der Eizelle

Wissenschaftler sind einem Mechanismus auf der Spur, der zu einem neuen Verständnis über die Festlegung genetischer Programmabläufe am Beginn neuen Lebens - also bei der Verschmelzung von Spermium und Eizelle - führen könnte. Am Modellorganismus Maus konnten sie nachweisen, dass entgegen bisheriger Annahmen das väterliche, nicht aber das mütterliche Erbmaterial in kürzester Zeit demethyliert und damit 'umprogrammiert' wird. Diese Demethylierung erfolgt aktiv und ist zugleich ein Hinweis auf die Existenz entsprechender Enzyme, so genannter Demethylasen im Zellplasma der befruchteten Eizelle.
Spermium und Eizelle, die nach der Befruchtung den Säugerembryo und damit ein neues Individuum bilden, sind in Morphologie und Funktion sehr unterschiedlich. Das gilt insbesondere auch für das Erbmaterial in den väterlichen und mütterlichen Chromosomen. Während das väterliche Erbmaterial im Spermium extrem kondensiert ist, entspricht die Struktur der mütterlichen Chromosomen in der sehr viel größeren Eizelle im Wesentlichen bereits der einer "normalen" Körperzelle. Während der Reifung der Geschlechtszellen erhalten die Chromosomen beider Elternteile Codierungen in Form von DNA-Methylierung. Forscher vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin haben gezeigt, dass diese Methylierungsmuster kurz nach der Befruchtung vom väterlichen, aber nicht vom mütterlichen Erbgut entfernt werden. Diese einseitige DNA-Demethylierung ist möglicherweise kritisch für die Regulation der ersten Lebensabschnitte eines Organismus. DNA-Methylierungsmuster haben nämlich eine besondere Bedeutung: Sie kontrollieren unter anderem während der Entwicklung den Zugriff auf die genetische Information. Durch DNA-Methylierung wird gezielt die Struktur bestimmter Cytosin-Basen im Genom verändert. Diese Veränderung beeinflusst zwar nicht die Basenabfolge (Gensequenz), jedoch ihre Lesbarkeit. Der Lesetext – das Gen – wird quasi wie durch ein Passwort geschützt. Die DNA-Methylierung erfolgt enzymatisch nach der Verdopplung der DNA. Durch das Setzen von Methylierungsmustern werden aktive und inaktive, das heißt "lesbare" und "nicht lesbare" Abschnitte des Genoms festgelegt. Diese Methylierungscodierung eines Genoms ist über Zellteilungen hinaus, also im Entwicklungsprozess eines Gewebes beziehungsweise Organismus stabil "vererbbar". Sie ist aber auch reversibel, das heißt sie kann unter bestimmten Umständen von der DNA wieder entfernt werden – so wie Passwort-geschützte Bereiche einer Datenbank durch Entfernen des Passworts wieder zugänglich gemacht werden können. Gesteuerte Veränderungen im Methylierungsmuster der Gene sind daher eine Art "epigenetische" Codierung, die den "Aktivitätszuständen" von Genen oder Genomabschnitten entsprechen beziehungsweise sie kontrollieren.

Die Frage, wie die oben erwähnten strukturellen und funktionellen Unterschiede zwischen den beiden elterlichen Genomen im Verlauf der weiteren Entwicklung ausgeglichen werden und wie aus väterlichem und mütterlichem Erbmaterial ein diploides, also beide Chromosomensätze enthaltendes somatisches Genom entsteht, ist eine grundlegende, aber noch weitgehend unverstandene Frage in Biologie und Medizin.

Mit zwei unabhängigen experimentellen Ansätzen konnten die Wissenschaftler zunächst zeigen, dass väterliches und mütterliches Erbmaterial sich nicht unmittelbar nach der Befruchtung durchmischen. Sie bleiben während der ersten Zellteilungen räumlich getrennt und erst allmählich findet eine graduelle Durchmischung statt. Einhergehend mit dieser räumlichen Trennung werden die beiden elterlichen Chromosomensätze unterschiedlich programmiert. Das väterliche Genom wird kurz nach der Befruchtung noch vor einer Zellteilung aktiv demethyliert. Diese Umprogrammierung erfordert spezielle Enzyme, so genannte Demethylasen, welche die Methylgruppen an den Cytosin-Basen quasi wie eine Schere entfernen. Die Existenz solcher aktiven Demethylierungsaktivitäten war bisher umstritten. Die globale Methylierung des mütterlichen Genoms bleibt dagegen bis zum Zweizellstadium relativ unverändert. Im Verlauf weiterer Zellteilungen und damit einhergehender DNA-Verdopplungen geht dann auch ein Großteil der mütterlichen Methylierung verloren. Ursache dieser graduellen und "passiven" Demethylierung ist wahrscheinlich ein Verlust der DNA-Methyltransferase-Aktivität, eines Enzyms, welche die Methylierungsmuster des alten DNA-Stranges auf den neusynthetisierten DNA-Strang überträgt (Nature vom 3. Februar 2000).

Die Mechanismen, mit denen mehrfach im Verlauf der Entwicklung von Organismen und Organen präzise Methylierungsmuster – also Passwörter – gesetzt und entfernt werden, sind nach wie vor unklar. Sicher ist aber, dass sie von erheblicher biologischer Bedeutung sind und dass fehlerhafte Muster zu einer Reihe von Erkrankungen führen können (zum Beispiel Entwicklungsstörungen, Krebs, Immunkrankheiten). Der Befund, dass die beiden elterlichen Genome eben nicht auf gleiche Weise umprogrammiert werden, hat möglicherweise erhebliche Bedeutung für das Verständnis der molekularen Mechanismen, die zu einer elterlichen Prägung von Genen (Genomic Imprinting) führen. Es galt bisher als unzweifelhaft, dass die elterspezifischen Prägungen (das heißt DNA-Methylierungen) ausschließlich in der Keimbahn gesetzt werden. Nach dem Befund der Berliner Wissenschaftler ist es jedoch vorstellbar, dass auch noch nach der Befruchtung gezielte Veränderungen in den "Zugriffsrechten" der väterlich oder der mütterlich ererbten Gen-Information erfolgen könnten.

Die unterschiedliche Demethylierung der beiden Genome ist damit ein eindrucksvolles Beispiel für den "Kampf zwischen den Geschlechtern": Die befruchtete Eizelle demethyliert nämlich aktiv das männliche Genom, während das weibliche Genom einen Schutzmechanismus gegen diese frühe aktive Demethylierung entwickelt hat. Diese Asymmetrie hat möglicherweise Einfluss auf jene Gene in den Körperzellen, bei denen entweder nur die vom Vater oder nur die von der Mutter kommende Information abgelesen wird.

Darüber hinaus könnte die nachgewiesene aktive Umprogrammierung des väterlichen Genoms im Einzellembryo eventuell auch die vielen Schwierigkeiten bei der Klonierung von Säugerembryos erklären. Dabei wird ein diploides somatisches Genom in eine aktivierte entkernte Eizelle eingesetzt. Da die zelluläre Maschinerie der Eizelle aber zwei unterschiedliche elterliche Genome erwartet, haben klonierte Embryos nur geringe Entwicklungschancen. Störungen bei der Trennung und der epigenetischen Umprogrammierung der elterlichen Genome könnten auch für den hohen Verlust von Säugerembryonen während der normalen Präimplantationsentwicklung oder bei der In-vitro-Fertilisation verantwortlich sein.

Die erstmals gezeigte Asymmetrie bei der epigenetischen Programmierung der elterlichen Genome, also bei der Zuweisung von Zugriffsrechten auf die genetische Information, in der frühesten Entwicklungphase hat möglicherweise weit reichende Konsequenzen für unser Verständnis der Genomfunktionen im Menschen und anderen Säugern. Die unkorrekte Zuweisung von Zugriffsrechten auf die genetische Information führt zu Lesefehlern und damit zu Veränderungen in der Merkmalsausbildung im Organismus, was krankmachende Prozesse auslösen kann. Es ist fast so, wie wenn ein Hacker in eine Datenbank eindringt und wichtige Dateien löscht beziehungsweise unkenntlich macht, die für einen korrekten Ablauf des Programms unverzichtbar sind. Durch ein genaueres Verständnis der molekularen Ursachen und Komponenten der epigenetischen Programmiersprache wird ein neues Fenster für das funktionelle Verständnis des Genoms aufgestoßen. Die Arbeiten hierzu stehen noch am Anfang; die Werkzeuge, sie zu verstehen, wurden jedoch in den vergangenen Jahren bereits entwickelt.

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