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Ursprüngliche evolutionäre Funktion?: Im Schlaf reparieren Neurone ihr Erbgut

Zeitrafferaufnahmen aus Zellen zeigen: In aktiven Nerven sind die Chromosomen zu steif, um repariert zu werden. Erst im Schlaf sind sie so beweglich, dass Schäden zu beheben sind.
Schlafendes Mädchen im Bett mit Teddybär

Nervenzellen scheinen den Schlaf zu nutzen, um Schäden an ihrem Genom zu reparieren. Zu diesem Schluss kommt eine Arbeitsgruppe um den Schlafforscher Lior Appelbaum von der Bar-Ilan-Universität in Ramat-Gan. Das israelische Team untersuchte dazu, wie sich die Träger der Erbinformationen, die Chromosomen, in einzelnen Neuronen von Zebrabärbling-Larven verhalten. In den zusammen mit der Veröffentlichung in »Nature Communications« publizierten Zeitrafferaufnahmen der Zellen zeigt sich, dass die Chromosomen sich kaum bewegen, solange die Nervenzelle aktiv ist. Dabei sammeln sich allerdings DNA-Schäden an, bei denen beide Stränge der DNA-Doppelhelix an der gleichen Stelle brechen – um diese potenziell gefährlichen Doppelstrangbrüche zu reparieren, muss sich das Chromosom viel stärker bewegen können als während der Nervenaktivität möglich.

Das geschieht im Schlaf. Die Arbeitsgruppe erzeugte die Zeitrafferaufnahmen, indem sie in das Erbgut der Zebrabärblinge das Gen für ein unter UV-Licht grün leuchtendes Protein einfügten, das mit einem an Chromosomen bindenden Molekülteil gekoppelt war. Auf diesem Weg wurde die Bewegung der Chromosomen in einzelnen Nervenzellen der nahezu transparenten Larven gut sichtbar. Wie Appelbaums Team zeigt, bewegen sich die Chromosomen der Nervenzellen in der Ruhephase doppelt so stark: genug, dass die während der Wachphase angesammelten Schäden repariert werden. Der Befund passt zu früheren Ergebnissen, die auf einen Zusammenhang mit der DNA-Reparatur hindeuten.

© David Zada / NPG Press
Chromosomen in einer Nervenzelle
3-D-Zeitrafferaufnahme der Chromosomen in einer Nervenzelle. Die farbigen Linien zeigen die zurückgelegte Strecke der Chromosomen an.

Die Arbeitsgruppe behauptet nicht, damit den ultimativen Nutzen des Schlafs gefunden zu haben – dass es nicht die einzelne definitive Funktion gibt, darüber herrscht weithin Einigkeit angesichts der enorm vielfältigen Effekte, die bisher identifiziert wurden. Studien haben gezeigt, dass Schlaf für so unterschiedliche Aspekte wichtig ist wie die Regulierung der Immunreaktion einerseits und schlichte Müllabfuhr im Gehirn andererseits. Allerdings ist das Team der Ansicht, mit der Chromosomendynamik einen aussichtsreichen molekularen Marker gefunden zu haben, an dem sich Schlaf selbst bei den einfachsten Tieren auf zellulärer Ebene eindeutig identifizieren lässt.

Heute sind sich zwar die meisten Fachleute einig, dass alle Tiere in einem gewissen Ausmaß schlafen. Doch um das Phänomen quer durch alle Tiergruppen von Qualle bis Quokka zu erforschen, muss man sicher sein können, dass das, was man gerade untersucht, auch wirklich Schlaf ist. Solche Untersuchungen würden womöglich in Zukunft einen Hinweis darauf geben, was die allererste, ursprüngliche Funktion des Schlafs bei den gemeinsamen Vorfahren aller Tiere war. Womöglich, deuten Appelbaum und sein Team an, schliefen die ersten Wesen mit Nervensystem tatsächlich, um dem Erbgut ihrer Neurone Gelegenheit zu geben, die Schäden des Tages zu reparieren.

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