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News: Kühlen mit Wärme

Fügen wir einem Körper Energie zu, indem wir ihn beispielsweise erwärmen, so steigt seine Temperatur - ein Phänomen, dass jeder beim Kochen ausnutzt. Astrophysiker sagten aber bereits in den siebziger Jahren voraus, dass Sternenhaufen sich auch anders verhalten können: Sie kühlen bei Zufuhr von Energie ab. Jahre später trafen Theoretiker eine ähnliche Vorhersage auch für kleine Atomcluster. Nun ist es Freiburger Physikern tatsächlich gelungen, diesen Effekt an Clustern aus Natriumatomen zu beobachten.
Die Mikrowelle piept und verkündet damit das Ende ihrer Arbeit. Beim Öffnen der Tür schlägt uns schon der warme Dampf des aufgewärmten Essens entgegen. "Aufgewärmt" sagt es schon, wir fügen dem Essen Energie in Form von Wärme oder, um beim Beispiel zu bleiben, in Form von Mikrowellenstrahlung zu, um die Temperatur zu erhöhen – ein alltäglicher Vorgang. Wir wären sicherlich erstaunt, sollte das Essen nach dem Aufwärmen kälter als zuvor sein. Laut einiger älterer Überlegungen der theoretischen Physik sollte aber genau das für bestimmte Systeme eintreten. So vermutet man, dass hinzugefügte Energie Sterne oder Sternenhaufen abkühlt. Auch bei ganz kleinen Systemen, bestehend aus einer Anhäufung vieler Atome – so genannten Clustern –, soll das Phänomen zu beobachten sein. Den Nachweis in diesem Fall blieben die Wissenschaftler bislang aber schuldig.

Nun konnten Hellmut Haberland und seine Kollegen an der Universität Freiburg den lang erwarteten Effekt an Clustern aus 147 Natriumatomen nachweisen. Die Forscher stellten die Natriumcluster her, indem sie sehr kaltes Helium über ein Töpfchen kochenden Natriums bliesen. Der Natriumdampf kondensierte dabei zu Clustern und nahm die Temperatur des Heliums an. Anschließend sortierten die Forscher die Cluster mit einem Massenspektrometer nach der Größe und wählten Exemplare mit einer Zahl von 147 Atomen aus, um deren Energie zu messen.

Wie aber misst man die Energie eines Clusters? Dazu beleuchten ihn die Physiker mit Laserlicht. Die Photonen geben ihre Energie ab, wobei der Verbund in Bruchstücke zerfällt, deren Größen von der Energie des ursprünglichen Clusters abhängt. Die Wissenschaftler bestimmten die Größe der Bruchstücke bei verschiedenen Energien und errechneten daraus seine Wärmekapazität. Das ist die Wärmemenge, die man braucht, um seine Temperatur um ein Grad Celsius zu erhöhen. Wie erwartet, ergab sich in der Nähe des Schmelzpunkts ein negativer Wert, das heißt, die Temperatur fiel bei Wärmezufuhr.

Aber warum kühlt sich eine Ansammlung von Atomen ab, wenn ihr Wärme hinzugefügt wird? Im Großen ist klar, was passiert: Ein Eiswürfel nimmt beispielsweise Wärmeenergie auf und benutzt sie, um die Gitterstruktur aufzulösen. Man spricht hier auch von Schmelzwärme oder latenter Wärme, da sie die Entropie des Systems – anschaulich die Unordnung – erhöht, nicht aber die Temperatur. Der feste Anteil schwindet zusehends, während der flüssige Teil wächst. Bei diesen makroskopischen Systemen befindet sich aber nur ein ganz geringer Anteil aller Atome an der Grenzschicht zwischen fest und flüssig – er liegt ungefähr bei 10-7.

Bei Clustern sieht die Welt jedoch ganz anders aus. Hier ist die Oberfläche im Verhältnis zum Volumen sehr viel größer. Ungefähr 20 Prozent aller Atome befinden sich an der Grenzfläche. Ein teilweise geschmolzener Zustand ist hier energetisch sehr ungünstig. Die Atome wandeln deshalb einen Teil der kinetischen Energie in potentielle Energie und unterstützen so den Schmelzprozess – auf diese Weise fällt die Temperatur, obwohl die Gesamtenergie zunimmt.

Laut Haberland ließe sich auch so die negative Wärmekapazität in astronomischen Systemen erklären. Man könnte sie als Summe verschiedener Bestandteile auffassen, weshalb ähnliche Effekt wie bei den Atomclustern auftreten. So müssen beispielsweise lokale Effekt, wie die Gravitation zwischen zwei Partnern in einem Doppelsternsystem, berücksichtigt werden. Ein Sternensystem ist zwar riesig – erst recht im Vergleich zu einem Atomcluster. Tatsächlich ist es aber sehr klein verglichen mit der langreichweitigen Gravitationskraft. "Als Donald Lynden-Bell zuerst das Konzept negativer Wärmekapazität auf astrophysikalische Systeme anwendete, hielten es Physiker für Unsinn", erzählt Haberland, "aber wir haben nachgewiesen, dass das Phänomen tatsächlich existiert."

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