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Kunststoffpartikel: Fasern aus Mikroplastik fliegen besonders weit durch die Luft

Bislang war rätselhaft, wie kleinste Kunststoffteilchen durch die Luft bis in Arktis und Antarktis gelangen. Denn nach gängigen Modellen dürften sie nicht so weit kommen. Experimente zeigen nun: Die Form ist entscheidend.
Eine Hand vor einem Strand, in der Hand liegen bunte Fasern aus Mikroplastik
Fasern aus Mikroplastik findet man noch an den entlegensten Orten.

Es ist ein Dilemma: Noch an den abgelegensten Orten der Erde findet man kleinste Kunststoffteilchen, selbst auf dem Grönländischen und dem Antarktischen Eisschild. Klar, dass sie dorthin nur durch die Luft gelangt sein können. Das widerspricht aber den gängigen Transportmodellen, nach denen solche Partikel deutlich früher wieder absinken sollten. Ein Forschungsteam der Universität Wien und des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen hat jetzt herausgefunden, dass es beim Flug über den Globus vor allem auf die Form der Teilchen ankommt. Während Kügelchen rasch wieder zu Boden sinken, schaffen Fasern die Strecke bis ins ewige Eis – und können sogar bis hinauf in die Stratosphäre schweben.

Mikroplastikteilchen kommen in den verschiedensten Formen vor, beispielsweise als Kügelchen, unregelmäßige Bruchstücke oder längliche Fasern. In Modellen, die den Transport der kleinen Teilchen durch die Atmosphäre simulieren, betrachtet man die vielfältigen Stückchen jedoch als Kugeln. Grund ist neben der Vereinfachung die spärliche Datenlage: Anders, als man vielleicht vermuten würde, ist bislang nur wenig darüber bekannt, wie Mikroplastikfasern durch die Luft getragen werden. Denn es ist kompliziert, solche Experimente unter kontrollierten Bedingungen durchzuführen.

Mit einem besonderen Versuchsaufbau haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daher untersucht, wie rasch sich Kunststofffasern zwischen einem halben und zwei Millimeter Länge in der Atmosphäre absetzen. Dazu stellten sie mit Hilfe eines hochpräzisen 3-D-Druckers zunächst Fasern mit genauestens definierter Form und Länge her. Anschließend brachten sie diese einzeln in eine mit Luft gefüllte Kammer und maßen, wie schnell sie zu Boden sanken.

Ein 2016 veröffentlichtes theoretisches Modell beschreibt sehr zuverlässig, wie sich faserförmige Partikel absetzen. Die Fachleute integrierten dieses Modell im nächsten Schritt in ein globales atmosphärisches Transportmodell, um die Reise unterschiedlich geformten Mikroplastiks zu berechnen. Hier zeigte sich, dass die Form der Partikel entscheidend ist: Während die Reise für Kunststoffkügelchen meist rasch endete, gelangte faserförmiges Mikroplastik in die entlegensten Gegenden. So fallen nach der Simulation kugelförmige Plastikteilchen, die in Norditalien in die Luft gelangen, bereits in Süd- und Mitteleuropa wieder zu Boden, während dort freigesetzte Fasern bis Nordafrika, Nordeuropa und teils in die Arktis kommen. Nördlich des 75. Breitengrads landen nach den Berechnungen des Teams jährlich mehr als 2,4 Tonnen Mikrofasern. Nur extrem weit abgelegene Gegenden, etwa im Inneren des Antarktischen Kontinents oder im Südpazifik, bleiben von der fein verteilten Fracht verschont.

Außerdem können den Berechnungen zufolge mikroskopisch kleine Fasern bis hinauf in die Stratosphäre getragen werden. Möglicherweise stellen sie dort ein Problem für die Ozonschicht dar, vermuten die Fachleute: Viele Kunststoffe enthalten Halogene, etwa Chlor als Bestandteil von Polyvinylchlorid (PVC) oder Chlor und Brom in Flammschutzmitteln. Unter dem Einfluss der UV-Strahlung in der Stratosphäre könnten sich halogenhaltige Gase abspalten und den Abbau von Ozon in Gang setzen. Ob das tatsächlich geschieht, muss aber erst noch erforscht werden.

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