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Leitfähigkeit: Quanten-Lawine macht Isolator zum Metall

Computersimulationen zeichnen ein neues Bild der quantenmechanischen Vorgänge, durch die ein Nichtleiter zum Leiter wird. Es versöhnt konkurrierende theoretische Ansätze.
Durchtunneln einer Barriere
Äußere Umstände können beeinflussen, ob ein Material Elektronen hindurchlässt oder nicht.

Bei manchen Materialien kann man zwischen isolierendem und metallischem Zustand umschalten. Doch mitunter klaffen Theorie und Experiment bei der Frage auseinander, wann und weswegen genau ein Nichtleiter zum Leiter wird. Darum hat ein Team um Jong Han von der University of Buffalo eine mikroskopische Erklärung entwickelt, die verschiedene Ansätze zusammenführt.

Aus elektronischer Sicht verhalten sich Metalle und Nichtleiter grundverschieden. Erstere transportieren Strom sehr gut, durch Letztere wandern die Ladungsträger hingegen nicht so leicht hindurch. Manchmal, etwa in einem starken elektrischen Feld oder bei Erhitzen, findet aber ein Übergang statt – dann transportiert ein Nichtleiter plötzlich Strom. Hineingeschleuste Elektronen reißen die im Isolator vorhandenen Elektronen regelrecht mit. Der Effekt heißt deshalb Lawinendurchbruch, und er lässt sich für bestimmte Bauteile in der Mikroelektronik gezielt nutzen.

Das Phänomen wurde bereits in den 1930er Jahren vom sowjetischen Physiker Lev Landau und seinem US-Kollegen Clarence Zener beschrieben. Doch bis heute sind Details der dahinterliegenden Mechanismen umstritten. Ob ein Material ein Isolator oder ein Metall ist (oder etwas dazwischen – ein Halbleiter), erklärt auf quantenmechanischer Ebene das Modell der so genannten Energiebänder. Die Elektronen in der Umgebung eines Atoms können nur gewisse Energiebereiche ausfüllen, Zustände dazwischen sind quantenphysikalisch nicht erlaubt. Bei einem Isolator befinden sich alle verfügbaren Elektronen im »Valenzband« und sind relativ stark an ihre Atomrümpfe gebunden. Im »Leitungsband« könnten sie sich frei zwischen den Atomen im Material bewegen. Dazwischen liegt eine verbotene Zone, die so genannte Bandlücke. Für einen Übergang fehlt den Elektronen die Energie. In einem Leiter hingegen gibt es keine Bandlücke. Hier liegen Valenz- und Leitungsband so nah beieinander, dass Elektronen leicht anregt werden können, so dass sie in Letzteres übergehen.

Widerstreitende mikroskopische Modelle

Nach dem von Landau und Zener entdeckten Prinzip sollte der Durchbruch oft erst bei viel höheren Energien stattfinden, als tatsächlich beobachtet wird. Diese Differenz sorgt seit Jahrzehnten für Debatten über die quantenmechanischen Ursachen. Inzwischen beschreiben zahlreiche Ansätze mögliche Mechanismen. Viele Aspekte sind allerdings umstritten, etwa, welchen Einfluss die Temperatur beziehungsweise ein elektrisches Feld auf den Vorgang nehmen.

Die Gruppe um Han hat nach Gemeinsamkeiten bei verschiedenen Arten von Übergängen zwischen Leiter und Nichtleiter gesucht. Das Team zeigte im Mai 2023 mittels Computersimulationen, wie Temperaturen und elektrische Felder zusammenhängen. Demnach kann bereits ein schwaches elektrisches Feld eine quantenmechanische Verbindung zwischen den Bändern eines Isolators herstellen.

Im eigentlich verbotenen Bereich entstehen zusätzliche Zustände durch die Aussendung von Phononen, das sind kollektive Anregungen im Atomgitter des Materials. Diese Zwischenzustände wirken wie Sprossen. Sind sie einmal hervorgerufen, klettern die Elektronen an ihnen aus dem Valenz- ins Leitungsband. Das elektrische Feld zieht die Ladungsträger Stufe für Stufe empor. Der Lawinendurchbruch wird so gewissermaßen in kleinere Quantenschritte aufgeteilt – die Forscher sprechen von einer Quanten-Lawine –, was die Differenzen zwischen Beobachtung und klassischer Landau-Zener-Theorie erklärt.

Verknüpfung von Feld und Temperatur

Die Temperatur spielt eine Rolle dabei, wann der Übergang vom Nichtleiter zum Leiter schließlich vollzogen ist. Wenn man das elektrische Feld anlegt, erhalten die Elektronen sofort Energie – sie werden sozusagen heiß. Die Phononen hingegen bleiben vorerst kalt. Erst wenn sich die Temperaturen von Elektronen und Phononen angeglichen haben, ist aus dem Isolator ein Metall geworden. Die Forschungsgruppe hält es in ihrer Veröffentlichung für »bemerkenswert, dass die in der Fachliteratur intensiv diskutierten Mechanismen für die elektronische und thermische Umschaltung sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern gemeinsam aus einem einzigen mikroskopischen Modell hervorgehen können«.

Im Juli 2023 hat Han gemeinsam mit seinem Studenten Xi Chen ein theoretisches Modell ausgearbeitet, das auf den Computersimulationen der Forschungsgruppe aufbaut und das Zustandekommen der Quanten-Lawine näher analysiert. Die beiden Physiker halten ihre Arbeit für einen »ersten Schritt zum Verständnis der Quantennatur dieses Phasenübergangs«. Offen ist, inwieweit die Enthüllung dieses fundamentalen Mechanismus beim Design konkreter elektronischer Bauteile helfen wird. Jedenfalls ist an der Untersuchung auch das Elektrotechnische Institut der Universität beteiligt. Einer der Forscher, Jonathan Bird, beschäftigt sich dort mit Materialien, die bei tiefen Temperaturen ungewöhnliches elektronisches Verhalten zeigen. In einer Mitteilung äußert er die Hoffnung, mit den Untersuchungen auch technologische Entwicklungen voranzutreiben. In erster Linie, so Bird, »konzentrieren wir uns allerdings darauf, die Phänomene auf fundamentaler Ebene zu begreifen«.

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