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Plastikmüll: Zurück in den Kreislauf

Viele Kunststoffabfälle lassen sich bislang nicht recyceln. Stattdessen sollen chemische Verfahren aus den Materialien eine Art Rohöl gewinnen – oder gleich neue, hochwertige Stoffe. Ob das wirklich hilft, das Plastikproblem zu lösen, muss sich jedoch erst noch zeigen.
Blaue Plastikflaschen

In Deutschland kamen 2017 sechs Millionen Tonnen Plastikmüll zusammen. Jeder Bundesbürger produzierte durchschnittlich gut 38 Kilogramm Kunststoff-Verpackungsmüll – insgesamt drei Millionen Tonnen. Innerhalb der EU warfen nur die Luxemburger, Iren und Esten noch mehr Einwegverpackungen weg. Die andere Hälfte des Plastikabfalls stammt etwa von Gebrauchsgegenständen, aus Elektronikbauteilen, aus dem Bau sowie dem Transport- und Verkehrssektor. Immerhin recycelte Deutschland 2017 knapp die Hälfte davon, der Rest wurde thermisch verwertet, sprich: zur Stromerzeugung verbrannt. Weil seine hochpolymeren organischen Verbindungen hauptsächlich aus fossilen Rohstoffen wie Öl, Gas und Kohle hergestellt werden, hat Plastik je nach Sorte einen beachtlichen Heizwert. Daher sind die klimaschädlichen Emissionen im Lauf seines Lebenszyklus aber auch enorm.

Ließe sich dieser Plastikmüll dann nicht umgekehrt wieder in Rohstoffe umwandeln? Oder könnte man aus Kunststoffabfall gar höherwertige Produkte erschaffen? Wäre der beste Weg nicht eine nachhaltige »Kreislaufwirtschaft«, in der man alle Produkte, Materialien und Ressourcen am Ende der Nutzungsdauer gänzlich in den Kreislauf zurückführt, statt sie zu verbrennen, zu verschiffen oder zu deponieren?

Das sind hoffnungsvolle Ideen, die jetzt intensiver als je verfolgt werden. In den letzten Jahren ist in Industrie und Wissenschaft ein regelrechter Hype um chemische Recyclingmethoden entbrannt. Denn die Plastikmassen, die sich als riesige Strudel in unseren Meeren, auf gigantischen Müllhalden sowie als mikroskopisch kleine Teilchen überall auf der Welt ansammeln, machen Druck auf Politik, Hersteller und Verbraucher.

Klimaschutz: Die Erde an ihren Grenzen

Veröffentlicht am: 07.10.2020

Laufzeit: 0:03:25

Sprache: deutsch

Hyperraum TV ist ein von der Medienwissenschaftlerin und Wissenschaftshistorikerin Susanne Päch betriebener Spartensender für Wissenschaft und Technologie.

Bislang erfolgt das gesamte Plastikrecycling in Deutschland auf mechanischem Weg. Pfandflaschen aus Polyethylenterephthalat (PET) etwa werden geschreddert, gereinigt, eingeschmolzen und anschließend zu PET-Granulat verarbeitet, das später beispielsweise zur Herstellung neuer Flaschen dient. Dieser mechanische Vorgang zerstört die Polymerketten des Kunststoffs nicht: Während des gesamten Prozesses bleibt das Material erhalten. Die Wiederverwertung der durchsichtigen Einwegflaschen klappt unter anderem deshalb so gut, da sie getrennt gesammelt werden und daher keine störenden Verunreinigungen in den Abfallstrom fließen. So erhält man nach dem Vorgang ein sortenreines »Rezyklat« – eine transparente Masse aus recyceltem Kunststoff, die ausschließlich das gewünschte Polymer enthält.

Doch nicht jeder Kunststoff lässt sich so gut aufbereiten. Aus einem Teil des PET-Rezyklats entstehen wieder Flaschen, den Rest verwendet man zur Herstellung von Fleecepullis und anderen polyesterhaltigen Gegenständen wie Sammelordnern, Mehrwegtaschen oder Industriefolien. Solche Produkte lassen sich werkstofflich nicht mehr recyceln. Der Grund: Die Hersteller fügen ihnen gewöhnlich so genannte Additive hinzu, um sie je nach Anforderung langlebiger, elastischer, steifer oder aber resistent gegen Feuer oder UV-Strahlung zu machen. Die Zusätze erschweren es, ein sortenreines Rezyklat zu gewinnen, das man für höherwertige Kunststofferzeugnisse benötigt. Prinzipiell ist eine werkstoffliche Verwertung umso schwieriger, je gemischter und verschmutzter der Plastikabfall ist, denn es ist teuer und aufwändig, die verschiedenen Materialien zu sortieren und zu reinigen.

Vom gelben Sack zur Parkbank

Zwar lassen sich bestimmte Abfälle aus dem gelben Sack beziehungsweise der gelben Tonne mechanisch zu einem hochwertigen Rohstoff verwerten. Das beweisen die aus 100 Prozent Polyethylen- oder PET-Rezyklat hergestellten Reinigungsmittel-Verpackungen der Marke Frosch, die hier Pionierarbeit leistet. Bunte Plastikgemische aus dem gelben Sack wandern dagegen häufig in dickwandige Produkte wie Balken, Pfosten, Kunststoffpaletten und gar Parkbänke. Und diese gelangen an ihrem Lebensende in die Müllverbrennung – zusammen mit dem nicht recycelbaren Rest aus der Wertstofftonne.

Spätestens hier kommt das »rohstoffliche« oder »chemische« Recycling ins Spiel: Mit chemischen Verfahren lassen sich selbst aus stark verunreinigten Polymermischungen Ausgangsmaterialien für die Kunst- und Kraftstoffproduktion sowie für die petrochemische Industrie zurückgewinnen. Das gelingt auf verschiedene Arten: Bei der Solvolyse beispielsweise trennt man Verunreinigungen und vermischte Plastiksorten mit Hilfe von Lösungsmitteln voneinander und erhält so reine Kunststoffe. Dabei bleiben, wie beim mechanischen Recycling, die langen Polymerketten erhalten. Die typisch chemischen Verfahren Pyrolyse, Vergasen und Verölen hingegen zerlegen die Ketten durch Einwirkung von Druck, Hitze und Katalysatoren. Bei einfachen Plastiksorten wie Polyethylen (PE) oder Polypropylen (PP) ist es so möglich, die Monomere zurückzugewinnen – das sind die Grundbausteine, also die kleinsten, sich wiederholenden Einheiten, aus denen die Polymere aufgebaut sind. In den meisten Fällen entstehen dadurch jedoch Mischungen aus verschiedenen Bruchstücken: Molekülen, wie sie in Erdöl oder Erdgas enthalten sind. Aus diesem künstlichen Rohöl erzeugen die Unternehmen wiederum Kraftstoffe, Plastik sowie weitere Chemikalien.

Der Plastik-Kreisel | Anteile verschiedener Kunststofftypen und deren Kennzeichnung in Deutschland 2017.

»Das ist zunächst einmal eine ganz charmante Idee, ist aber nicht so einfach, wie es klingt«, erläutert Thomas Probst, Referent für die mittelständische private Entsorgungswirtschaft im Fachverband Kunststoffrecycling beim Bundesverband für Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE). »Kunststoffe haben eine komplexe Matrix.« Und das macht chemische Verfahren sehr energieaufwändig und somit bislang unökonomisch.

Bereits in den 1980er und 1990er Jahren forschte die Industrie intensiv nach Möglichkeiten der rohstofflichen Verwertung von Kunststoffabfällen. Die Pyrolyse galt damals als das Verfahren der Wahl, um die steigende Plastikflut zu bekämpfen. Doch auf Grund technischer und wirtschaftlicher Probleme kam es nie zu großtechnischen Anwendungen. Viele Anlagen mussten unter enormen Verlusten wieder schließen.

Nach fast 30 Jahren des Stillstands bauen nun weltweit Forschungsgruppen, Start-ups und große Chemiefirmen Pilotanlagen für chemisches Recycling auf. Manche Fachleute sind der Ansicht, dass die Technologie endlich wettbewerbsfähig wird gegenüber der thermischen Verwertung. Denn die Verbrennung des Plastikmülls könnte mit den steigenden Preisen für CO2 teuer werden.

Derzeit gibt es noch keine funktionierende Großanlage für chemisches Recycling. Probst nennt jedoch ein Beispiel, wo eine solche im Entstehen ist: Der österreichische OMV-Konzern, einer der größeren europäischen Raffineriebetriebe, will ab 2025 etwa 200 000 Tonnen Altplastik pro Jahr verarbeiten. Im Re-Oil genannten Verfahren stellt das Unternehmen aus zerkleinerten Mischplastikabfällen Rohöl und verwertbares Gas her, derzeit in einem vergleichsweise kleinen Aufbau, der pro Stunde etwa 100 Kilogramm Plastik umsetzt. Eine größere Demonstrationsanlage mit rund 20 000 Tonnen Umsatz pro Jahr baut die Firma gerade auf. »Davor habe ich richtig Respekt, das sind beachtliche Fortschritte«, lobt Probst. Der habilitierte Chemiker setzt sich für das werkstoffliche Recycling ein. Schließlich hat er miterlebt, wie das chemische Recycling – speziell die Pyrolyse – in Verruf geriet, als in der Vergangenheit nicht funktionierende Scheinanlagen errichtet wurden und sich schwarze Schafe daran bereichern wollten: »Ich habe lange Zeit pro Jahr zwei bis drei Fake-Verfahren auf den Tisch bekommen, in denen die Antragsteller um die Beschaffung von Kunststoffen und Investitionsgeldern baten«, empört sich der BVSE-Sachverständige.

Auch andere sind kritisch: »Das wurde alles schon vor 30 Jahren gemacht, die Verfahren sind an sich nicht neu«, gibt Isabelle Henkel von der Deutschen Gesellschaft für Abfallwirtschaft (DGAW), der größten Experten-NGO in dem Bereich, zu bedenken. »Großindustrielle Anlagen gibt es bisher noch nicht. Am vielversprechendsten ist derzeit die Pyrolyse.« Die energieintensive chemische Behandlung von Kunststoffabfall liefert dadurch ein Öl, das anschließend wieder den Raffinierungsprozess durchlaufen muss, bevor sich ein neuer Kunststoff daraus herstellen lässt. »Das würde sich nur lohnen, wenn Rohöl sehr viel teurer oder tatsächlich knapp wäre – ist es aber beides nicht«, erläutert sie.

Vom Experiment zur großtechnischen Umsetzung

In der chemischen Industrie kann die Entwicklung eines neuen Prozesses vom ersten Laborexperiment bis zur fertigen Produktionsanlage über ein Jahrzehnt dauern. Um den technologischen Reifegrad der Entwicklungsphasen einzuschätzen, dient Wissenschaftlern und Ingenieuren als Maßstab der Technology Readiness Level (TRL), der den Fortschritt auf einer einfachen Skala von 1 bis 10 bemisst. TRL 1 bis 3 spiegelt dabei den Weg von der Idee zum funktionierenden Experiment im Labor, TRL 10 den erfolgreich umgesetzten industriellen Produktionsprozess. Erst im letzten Drittel der TRL-Phasen, also nach den Erfahrungen aus Pilotanlagen, lässt sich sagen, ob sich der Prozess wirtschaftlich lohnt.

Das ist vergleichbar mit den Entwicklungs- und Zulassungsphasen eines neuen Medikaments: Pharmazeuten nutzen in der ersten Phase erfolgreiche Substanzen aus Laboruntersuchungen, die jedoch in den nächsten Stufen oft wegen Nebenwirkungen oder mangelnder Wirksamkeit aussortiert werden müssen. Auch in der chemischen Katalysator- und Prozessentwicklung kann jederzeit ein Kriterium auftauchen, das letztlich die Wirtschaftlichkeit unter den aktuellen Gegebenheiten in Frage stellt. »Rahmenbedingungen können sich aber sehr schnell ändern, daher werden Konzepte, die dem wirtschaftlichen Selektionsprozess zum Opfer gefallen sind, immer wieder in Forschungs- und Entwicklungsprojekten aufgegriffen. In der chemischen Industrie sieht man das aktuell bei elektrochemischen Verfahren, die unter der sich abzeichnenden Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie neu bewertet werden«, sagt RWTH-Wissenschaftler Jürgen Klankermayer.

Folien aus vielen unterschiedlichen Plastiksorten stellen ein Problem dar

Eine Chance sieht die Expertin jedoch für Mischkunststoffe. Im gelben Sack landen beispielsweise sehr viele Verpackungsfolien für Lebensmittel wie Fleisch, Käse oder Gemüse. Diese »Multilayer-Folien« sind besonders knifflig, denn sie bestehen meist aus vielen hauchdünn zusammengeklebten gemischten Kunststofflagen (PET, PE, Polyamid und weitere). Da sie sich mechanisch nicht trennen lassen, landen sie meist als Sortierreste in der thermischen Verwertung.

Das Freisinger Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik IVV entwickelt daher gerade ein physikalisches, lösemittelbasiertes Verfahren namens CreaSolv, um diese Folien so aufbereiten zu können, dass sie auch nach mehreren Lebenszyklen ihre Materialeigenschaften nicht verlieren. Ein ähnliches Upcycling-Verfahren ist das Newcycling der APK AG in Merseburg. Bei diesen Verfahren wird die molekulare Struktur der Polymere nicht verändert. Henkel kommentiert allerdings in ihrer kürzlich erschienenen Veröffentlichung, dass sich mit Hilfe dieser Prozesse nur bestimmte Polymere aus dem Verbund lösen lassen und die Verfahren somit auch ihre Grenzen haben.

Große Chemiebetriebe wie die BASF setzen wiederum auf typisch chemische Herangehensweisen. Im ChemCycling-Projekt wandelt eine Partnerfirma Kunststoffabfälle mittels Pyrolyse in ein flüssiges Öl um. Das nutzt der Ludwigshafener Konzern anschließend als Rohstoff, um daraus Basischemikalien herzustellen, aus denen zum Beispiel wieder Kunststoffe werden können. Die BASF-Anlage befinde sich noch am Anfang im Technikumsbereich, ähnlich wie bei anderen Firmen, urteilt die DGAW-Referentin. Die Unternehmen erproben also derzeit im kleinen Maßstab, ob der Prozess überhaupt funktioniert. So bleibt für sie vorerst offen, ob 30 Jahre nach dem Scheitern der Pyrolyse und ähnlicher Verfahren die Neuauflagen jetzt zu einem tragfähigen Geschäftsmodell führen werden.

Jürgen Klankermayer von der RWTH Aachen verfolgt ein anderes Konzept, um aus Kunststoffen neue Produkte zu erhalten: Statt entsorgtes Plastik einfach in seine Bestandteile zu zerlegen, veredelt er es in seiner Forschungsgruppe mit Wasserstoff (H2), der zukünftig durch Elektrolyse mit Strom aus Windkraft hergestellt werden könnte. Alte CDs beispielsweise, bestehend aus Polycarbonat, Aluminium und verschiedenen Zusätzen, zerstückeln und behandeln die Wissenschaftler in einem Reaktor mit einem maßgeschneiderten Katalysator und Wasserstoff.Die so entstehenden chemischen Verbindungen trennen sie mit etablierten Verfahren ab. Der Vorteil: »Mit dem integrierten Wasserstoff erhöht sich die Wertschöpfung dieser Produkte«, erklärt der Chemiker. Die RWTH-Wissenschaftler stellten aus den alten CDs etwa Diole her. Das sind Verbindungen, die sich »flexibel und nachhaltig als Bausteine für neue Produkte der chemischen Industrie oder auch als Kraftstoff nutzen lassen«, wie Klankermayer erläutert.

Er sieht das Recyclingthema somit in einem größeren Zusammenhang: »In unserer Vision sprechen wir von einer mehrdimensionalen Kreislaufwirtschaft, weil man zukünftig die Energiewende und die Biomassenutzung in die Kreislaufwirtschaft integrieren könnte.«

Aktuell versucht seine Arbeitsgruppe darüber hinaus, Abfälle aus schwierig zu verwertenden Kunststoffen, die sich sonst nur noch zur thermischen Nutzung eignen, in die Kreislaufwirtschaft zu integrieren. Diese Polymere sind stabile Verbindungen mit besonderen Eigenschaften, entwickelt speziell im Hinblick auf Haltbarkeit und Performance. Dazu zählen Polyurethane, die man in Turnschuhen und Matratzen findet, sowie Polyamide wie Nylon oder Polyvinylchlorid (PVC).

Die Rohstoffproduktion aus dem Polymerabfall unter Nutzung erneuerbarer Energie könnte nach ersten Schätzungen in der Lage sein, mit der Herstellung aus fossilen Quellen zu konkurrieren. Allerdings ist Klankermayer bewusst äußerst zurückhaltend mit einem wirtschaftlichen Blick in die Zukunft, denn im derzeitigen Stadium sei eine Prognose mit großen Unsicherheiten verknüpft. Die Projekte, die der Chemiker mit Industriepartnern und Herstellern vorantreibt, entwachsen gerade dem Laborstadium. Es ist also noch alles offen.

Und die Konkurrenz schläft nicht: »Als wir vor Jahren angefangen haben, uns intensiv mit dem Thema zu beschäftigen, wurden wir von so manchem Kollegen ein bisschen belächelt, da es doch herausforderndere Themen für Grundlagenforschung gäbe«, erinnert sich Klankermayer. »Aber seit Kurzem erkennen viele Forscher die Wichtigkeit des Plastikrecyclings, und Kollegen aus der organischen Chemie und Katalyseforschung bringen sich immer stärker ein.« Diese Dynamik in der wissenschaftlichen Themenwahl und Forschungsausrichtung sei nicht ungewöhnlich und werde durch Projektmittel aus öffentlicher Förderung gezielt beschleunigt.

Einen anderen Ansatz verfolgt sein Kollege Lars Blank, der an der RWTH Aachen das Institut für Angewandte Mikrobiologie leitet. Denn gewisse Bakterien können Mischungen von Molekülen aufnehmen und daraus Polyester, so genannte Polyhydroxyalkanoate (PHA), erzeugen – also direkt Bioplastik herstellen. Der Mikrobiologieprofessor greift sich an den Bauch und erläutert: »So wie wir Fett einlagern, lagern manche Bakterien Polyester als Energie- und Kohlenstoffspeicher ein.«

Mikroben, die aus Müll Polymere erzeugen

In einem zweistufigen Verfahren gewinnt Blanks Forschungsgruppe mit Projektpartnern hochwertige Kunststoffe aus Abfällen, die bislang nicht wiederzuverwerten sind. Im ersten Schritt packen die Biotechnologen dazu ein geschreddertes Plastikgemisch in einen Reaktor. Dort zerlegen spezielle Enzyme aus Hefen, Pilzen und Bakterien bestimmte esterhaltige Polymere in ihre Grundbausteine. Im zweiten Schritt erzeugen Bakterien aus dem erhaltenen Monomergemisch die Biopolyester. Außerdem experimentieren die Forscher mit Mischkulturen: Unterschiedliche Bakterien und Enzyme mit verschiedenen Eigenschaften sollen das Mischplastik verwerten. Mit Hilfe gentechnischer Verfahren können die Biotechnologen die Mikroben darauf programmieren, höherwertige Plastikgrundsteine herzustellen, als im Ausgangsmaterial vorhanden waren.

»Es ist prinzipiell schwierig, aus altem Kunststoff neuen zu machen, weil die Neuproduktion aus Erdöl häufig billiger ist. Daher müssen wir etwas Wertvolleres herstellen und erarbeiten ein Upcycling-Angebot für bestimmte Plastikströme, die man nicht recyceln kann«, sagt Blank.

Ob sich hier zu Lande oder auf dem Weltmarkt ein geschäftsfähiges Modell für das biotechnologische Recycling entwickelt, wird sich zeigen. Nach erfolgreichen Versuchen in kleinem Maßstab will beispielsweise die Firma Carbios 2021 eine Demonstrationsanlage in Frankreich errichten, die PET enzymatisch abbaut. Gleichzeitig arbeitet sie an weiteren Lösungen, um Plastik nach seinem Gebrauch zu zerlegen. Aber der Biologe hofft, dass sich unsere Rohstoffbasis ändert und nachhaltiger wird. »Ich finde: Jede Tonne Erdöl, die wir im Boden lassen, ist eine gute Tonne«, sagt der Wissenschaftler und erinnert daran, dass die Atmosphäre bereits jetzt zu viel CO2 enthält und es darüber hinaus in der Zukunft schwierig werden könnte, Zugang zu Rohöl zu erhalten.

Ähnlich sieht das sein Kollege Klankermayer, der Plastik als Rohstoff auch in puncto Versorgungssicherheit als Perspektive sieht: »Rohstoffe und Zwischenstufen, die zwingend gebraucht werden, damit hier chemische Anlagen planbar funktionieren, kommen oft aus dem Ausland. Wenn fossile Rohstoffe flexibel durch Chemikalien aus Biomasse oder CO2 ersetzt werden könnten, würde Europa eine nicht unerhebliche Unabhängigkeit zurückerlangen.«

Plastik mit Wasserstoff veredeln | Mit einem maßgeschneiderten Katalysator und Wasserstoff werden aus Kunststoffen nützliche chemische Verbindungen. Zum Beispiel bestehen CDs unter anderem aus Polycarbonat. Jürgen Klankermayer gewinnt aus geschredderten Datenträgern an der RWTH Aachen Bisphenol6nbsp;A, aus dem sich wiederum Polymere wie etwa Polyester herstellen lassen.

Neben seinen mittelfristigen Zielen, im Rahmen des mehrdimensionalen Recyclings schwierige Altkunststoffe mit erneuerbaren Ressourcen wie H2 oder Biomasse zu kombinieren, verfolgt der Chemiker ein langfristiges: Statt mit den aktuell genutzten Polymeren umgehen zu müssen, will Klankermayer völlig neue herstellen, die kosteneffizient und nachhaltig zu recyceln sind. »Erst durch eine gute Recycelbarkeit ist der Weg in die Kreislaufwirtschaft und eine nachhaltige Zukunft geöffnet.«

Dem stimmt Philipp Sommer von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zu und fordert von der Politik verbindliche Ökodesign-Anforderungen: Verpackungen sollten generell wiederverwertbar sein. Das wäre in einigen Bereichen recht einfach umsetzbar, ohne ganz neue Polymere zu entwickeln. So können die Nahinfrarot-Scanner einer Abfallsortiermaschine etwa solche Verpackungen nicht erkennen, die mit Rußschwarz eingefärbt sind. Diese werden daher zur Verbrennung geschickt. Mit einer anderen Farbe oder dem etwas teureren speziellen Infrarotschwarz ließe sich das Problem umgehen.

Der DUH-Referent für Kreislaufwirtschaft plädiert auch nicht dafür, die in der Lebensmittelbranche viel genutzten Multilayerfolien chemisch zu recyceln statt zu verbrennen: »Wir sollten Käseverpackung recycelbar machen und beispielsweise statt vieler verschiedener Kunststofflagen nur einen Kunststoff einsetzen, mit einer recyclingverträglichen Barriereschicht aus Siliziumoxiden.«

Keine Alternative, sondern eine Ergänzung

Geht es um die Umweltverträglichkeit, so steht die Wiederverwertung allerdings erst an dritter Stelle. Besser wäre es, Kunststoffe zu vermeiden oder mehrmals zu verwenden. Unter den Recyclingmethoden ist im Vergleich die mechanische immer noch am umweltgerechtesten. Erst darauf folgt die Solvolyse, welche die Polymerketten erhält und nicht energieaufwändig spaltet. Die Technik, so DUH-Experte Sommer, schneide deshalb schlechter ab als die mechanischen Verfahren, weil die Lösemittel verdampft werden müssen, manchmal sogar mehrmals.

Die »klassischen« chemischen Prozesse, die das Polymer so weit zerhäckseln, bis man bei einem dem Erdöl ähnlichen Vorprodukt landet, rangieren erst als letzte vor der Verbrennung. Denn bei der Aufbereitung geht die gesamte Prozessenergie verloren, die bei der Herstellung des Kunststoffs aus dem rohen Erdöl investiert wurde. Einen Vorteil sieht Sommer trotzdem: »Dieses Quasi-Erdöl kommt zumindest nicht aus dem Boden, sondern aus Abfällen.«

Schwierige Kunststoffe | Altplastik aus Elektronikschrott ist besonders schwer zu recyceln. Gerade für solche kniffligen Kunststoffe könnten chemische Verfahren eine Chance darstellen.

Eine Chance, vergleichsweise umweltfreundlich zu sein, hat das chemische Recyceln laut dem Experten nur, wenn es die schwierigen Kunststoffe umsetzt, die weder vermeidbar noch wiederwendbar noch werkstofflich behandelbar sind. Das wünscht sich auch der BVSE-Referent Thomas Probst. Aber statt sich an solche Herausforderungen wie beispielsweise Altplastik aus Elektronikschrott oder kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff heranzuwagen, versuche die chemische Industrie, auf die 420 000 Tonnen Mischplastik zuzugreifen, für die es in Deutschland bereits das mechanische Mischkunststoffrecycling gibt, beobachtet Probst. Denn nach seiner Erfahrung verlange die chemische Industrie vor allem nach Polyethylen und Polypropylen, für die in den letzten 30 Jahren große werkstoffliche Verwertungsstrukturen aufgebaut wurden.

Und gleichzeitig warnt Sommer vor einem bedenklichen Modell, auf das die großen Plastik- und Chemikalienhersteller seiner Meinung nach hinarbeiten: »Jetzt versuchen große Chemiekonzerne, die Kunststoff bislang aus Primärerdölen hergestellt hatten, vom Erdöl wegzukommen, aber trotzdem ihr Geschäftsmodell zu erhalten«, kritisiert er. »Sie haben sich verbündet mit großen Plastikherstellern, die ihre Wegwerfmodelle behalten wollen.« Sommer zufolge könnten die Hersteller Verpackungen als umweltfreundliche Mehrweglösungen gestalten, oder – wenn alles Einweg bleiben soll – zumindest mechanisch recycelbar machen. Stattdessen würden sie jedoch lieber chemisch recyceltes Rohmaterial für ihre Kunststoffe einkaufen.

Streit um das Verpackungsgesetz

Die Wiederverwertung ist vorgeschrieben, weil das umstrittene Verpackungsgesetz eine Recyclingquote für Plastik vorgibt. Demzufolge muss Deutschland derzeit 58,5 Prozent seines Kunststoffabfalls recyceln, ab 2021 haben es 64 Prozent zu sein. Um diese Quote zu erfüllen, erkennt das Gesetz aber nur die werkstofflichen Verfahren an, nicht die rohstofflichen. Und genau hier liegt der Streitpunkt.

Laut dem Gesetz dürfen die Polymere nach dem Recycling nicht in ihre Monomere gespalten sein, sondern müssen erhalten bleiben. Das ist, abgesehen von den mechanischen Verfahren, nur bei der Solvolyse der Fall. Daher beharren Verfechter derselben – wie etwa Unternehmen, die diese anbieten, sowie der Verband der chemischen Recycler – darauf, den Prozess nicht als chemisch, sondern als werkstofflich einzustufen, und zwar trotz der typisch chemischen Techniken. Doch die politische Debatte reicht noch weiter, denn einige Stimmen fordern, dass das Bundesumweltministerium (BMU) prinzipiell alle chemischen Verfahren im Verpackungsgesetz anerkennt.

Ein Laie dürfte sich fragen, warum sich jemand darum reißt, eine gesetzliche Quote offiziell erfüllen zu dürfen. Hierin liegt jedoch ein lukratives Geschäft: »Die Geldströme können von der Müllverbrennung in die chemische Industrie umgelenkt werden«, erläutert Probst. Um seine Kunststoffabfälle zu vernichten, zahlt ein Gewerbekunde je nach Müllverbrennungsanlage Gebühren von 120 Euro oder mehr pro Tonne. Baut eine Firma eine chemische Anlage auf und übernimmt den Plastikmüll, erhält sie diesen Betrag. Das sei ein wichtiger Punkt, betont Probst, weil bislang keine chemische Recyclinganlage Gewinn bringend arbeite. Wenn die Verfahren hingegen im Verpackungsgesetz anerkannt wären, würde die chemische Industrie für jede Tonne Kunststoff, die in ihren Anlagen landet, mit mindestens 120 Euro bezuschusst.

Darüber hinaus ließe sich das Image der Branche polieren: »Die chemische Industrie ist sonst immer der Buhmann. Jetzt hat sie die Chance, eine Herstellerverantwortung wahrzunehmen und neben der Produktion von Kunststoffen auch durch die Verwertung dabei zu helfen, dass die gesetzlichen Recyclingquoten erfüllt werden können.«

Die Experten sind sich uneinig darüber, ob das BMU die rohstofflichen Verfahren in das Verpackungsgesetz aufnehmen sollte. Für Gegner wie beispielsweise Umweltverbände lautet das vorrangige Ziel, Produkte mechanisch wiederverwertbar zu machen, um die vorgegebenen Recyclingquoten einzuhalten.

DGAW-Referentin Henkel ist anderer Meinung: »Chemische Verfahren sollten auch im Verpackungsgesetz anerkannt werden. Denn das chemische Recycling wird immer nur eine Ergänzung zum mechanischen darstellen und auf die bisher nicht recycelbaren Kunststoffe abzielen«, erläutert sie. Außerdem könne es helfen, die ambitionierten Quoten überhaupt zu erfüllen.

Einig sind sich die Beteiligten hingegen darin, dass der Gesetzgeber einen Anteil an wiederverwertetem Plastik in Produkten vorschreiben sollte. »Wir brauchen einen stabilen Absatzmarkt für die Rezyklate«, erklärt Henkel. »Wenn eine Substitutionsquote vorgeschrieben wird, werden mehr Rezyklate nachgefragt, und die Recycler bekommen mehr Investitionssicherheit. Das würde die Kreislaufwirtschaft einen guten Schritt nach vorne bringen.«

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  • Quellen

Beydoun, K., Klankermayer, J.: Efficient plastic waste recycling to value-added products by integrated biomass processing. ChemSusChem 13, 2020

Blank, L. et. al.: Biotechnological upcycling of plastic waste and other non-conventional feedstocks in a circular economy. Current Opinion in Biotechnology 62, 2020

Lechleitner, A. et al.: Chemisches Recycling von gemischten Kunststoffabfällen als ergänzender Recyclingpfad zur Erhöhung der Recyclingquote. Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft 72, 2020

Westhues, S. et al.: Molecular catalyst systems as key enablers for tailored polyesters and polycarbonate recycling concepts. Science Adances 4, 2018

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