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Genetik: Menschen haben Sommer- und Wintergene

Unsere Gene sind Saisonarbeiter: Wenn der Winter kommt, kurbelt der Körper Immun- und Fettstoffwechsel an. Sinnvoll geregelt wird das auch auf der Südhalbkugel und in Afrika - nur nicht in Island.
Baumelnde Beine am Badeseesteg

Die Aktivität unseres Körpers – also von Organen, Zellen und Genen – wird durch allerlei äußere Einflüsse verändert: eine Selbstverständlichkeit für ein lebendes Wesen, das in einer sich oft rasch verändernden Umgebung zurechtkommen und sich anpassen muss. Demnach kann eigentlich kaum überraschen, dass unser Organismus sich auch auf langfristige, zyklische Veränderungen wie etwa die Jahreszeiten einstellt. Im Detail beobachtet worden war das bisher allerdings nicht; ein Versäumnis, das nun ein britisch-deutsches Forscherteam nachgeholt hat. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Aktivität von bestimmten Genen des Immunsystems mit der Jahreszeit schwankt und sich jeweils passend vor Ort an die Herausforderungen von Sommer und Winter anpasst.

Die Forscher hatten Gendatenbanken mit Aktivitätsmustern von rund 16 000 Spendern durchforstet, um herauszufinden, ob die Aktivität von bestimmten Erbgutfaktoren neben der zirkadianen Tagesrhythmik auch langfristigeren Zyklen folgt. Dabei stießen sie auf überraschend viele Treffer: Mehr als 4000 aller untersuchten Boten-RNA produzierenden Gene arbeiten saisonabhängig mal stärker oder schwächer. Vor allem betroffen sind dabei Gene des Immunsystems, aber auch zum Beispiel solche, die den Fettstoffwechsel beeinflussen.

Saisonal schwankende Genexpressionsmuster | Bei vielen Genen schwankt die Aktivität mit der Jahreszeit, wie Forscher in der »BABYDIET«-Studie herausfanden. Betroffen sind vor allem Gene des Immunsystems und des Fettstoffwechsels.

Das führt dann etwa dazu, dass von Europäern im Winter insgesamt im Mittel größere Mengen von proinflammatorischen Proteinen wie dem IL-6-Rezeptor und das C-reaktive Protein produziert werden und ins Blut gelangen – womöglich unter anderem deshalb, weil entzündungsdämpfende Regulatoren wie das Gen ARNTL im Sommer stärker aktiv sind. Diesen Befund könnte man im Prinzip auch dadurch erklären, dass die Menschen im Winter häufiger erkältet sind und das Immunsystem schlicht darauf reagiert, was die Forscher aber ausschließen. Offenbar regelt der Körper des Durchschnittseuropäers stattdessen während der kalten und dunklen Jahreszeit proaktiv sein Immunpotenzial herauf, weil nun eine stärkere Erkältungsgefahr besteht, auf die schneller etwa mit Entzündungsreaktionen reagiert werden muss. Vielleicht ließe sich der Mechanismus sogar für bessere Impfkampagnen ausnutzen, spekulieren die Forscher: Weil verschiedene Gene des Immunsystems im Winter reaktionsfreudiger sind, könnte eine Impfung nun eine bessere Wirkung haben.

Unabhängig von der genetischen Grundausstattung unterliegen die Immungene in anderen Teilen der Erde dagegen auch anderen, auf die dortigen Anforderungen angepassten Zyklen: So wären dann auch »genetische« Europäer auf der Südhalbkugel an den Jahreszeitenwechsel der Südhalbkugel adaptiert. Menschen aus Gambia in Westafrika, die im Vergleich getestet wurden, zeigen dagegen eine nochmals andere immunogenetische Hochsaison: Hier wird die Körperabwehr mit der Regenzeit zwischen Juni und Oktober nach oben reguliert, wo die Ansteckungsgefahr durch Blut saugende, etwa Malaria übertragende Insekten steigt.

Wie der Körper die Jahreszeitenwechsel wahrnimmt, um die Genaktivitäten dazu passend zu verändern, ist nicht geklärt. Es liegt jedoch nahe, dass bei Menschen wie bei anderen Organismen zum Beispiel die veränderten Tageslichtlängen und -farben gemessen werden. In diesem Zusammenhang bilden übrigens Genaktivitäten von Isländern eine interessante Ausnahme, bei denen die Wissenschaftler kaum saisonale Unterschiede nachweisen konnten. Womöglich liegt das daran, dass im hohen Norden die Tag-Nacht-Längenunterschiede dramatisch unterschiedlich sind und den normalen Jahreszeitentaktgeber nicht mehr ausreichend gut eichen. Diese Zusammenhänge müssen aber erst noch genauer untersucht werden, schreibt der Studienleiter James Todd von der University of Cambridge in »Nature Communications«.

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