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News: Natürliche Immunität gegen AIDS

HI-Viren sind besonders tückisch, da sie die Abwehrzellen des menschlichen Körpers angreifen. Dabei scheinen die ersten Wochen der Schlacht zwischen Verteidigern und Eindringlingen entscheidend zu sein. In einigen wenigen Fällen können die Viren den Kampf nicht sofort für sich entscheiden, und das Immunsystem entwickelt geeignete Mechanismen, um den Befall dauerhaft unter Kontrolle zu halten. Eine entschlossene Anti-Viren-Therapie in dieser frühen Phase könnte dem Körper helfen, eine natürliche Immunität gegen HIV zu entwickeln.
Forscher des Massachusetts General Hospital (MGH) und anderer Institutionen in Boston haben zum ersten Mal eine Methode untersucht, mit der das menschliche Immunsystem verhindert, daß HI-Viren sich vermehren. Damit könnte erklärt werden, warum eine winzige Gruppe HIV-infizierter Menschen über viele Jahre gesund blieb. Außerdem kann nun erforscht werden, ob und wie diese Schutzreaktion bei anderen Menschen ebenfalls aktiviert werden kann. Die Forscher berichten in Science (Ausgabe vom 21. November), daß die Immunsysteme der Menschen, bei denen die Krankheit über einen langen Zeitraum nicht fortschreitet, eine große Anzahl von T-Helfer-Zellen erzeugen, die HIV gezielt bekämpfen. Frühere Untersuchungen von HIV-infizierten Menschen zeigten sehr wenige oder gar keine dieser virus-spezifischen Helfer-Zellen, die für die Bekämpfung vieler Arten von Virusinfektionen wichtig sind.

„Eines der größten Rätsel, die uns AIDS und HIV aufgaben, war, warum die Immunantworten, die normalerweise Virusinfektionen in Schach halten, nicht funktionieren”, sagt Bruce Walker, Direktor des Partners AIDS Research Center im MGH und Hauptautor des Berichts. „Unsere Arbeit liefert nun eine einfache Erklärung, wie HIV der normalen Immunreaktion entkommt, warum das Immunsystem langsam aber unerbittlich zusammenbricht, und warum eine sehr kleine Gruppe von Menschen es trotz einer Infektion mit dem Virus es geschafft hat, nicht zu erkranken.”

T-Helfer-Zellen sind von zentraler Bedeutung für das gesamte Immunsystem. Die einzelnen Helfer-Zellen sind auf spezifische Antigene ausgerichtet. Antigene sind Proteine auf der Oberfläche von Viren, Bakterien oder Tumoren, die unverwechselbare Erkennungsmerkmale darstellen. Allen Helfer-Zellen gemeinsam ist, daß sie anfällig für eine Infektion durch HIV sind. AIDS entwickelt sich, wenn so viele Helfer-Zellen infiziert und zerstört wurden, daß das gesamte Immunsystem zusammenbricht.

Dringt ein Virus in den Körper ein, werden normalerweise die T-Helfer-Zellen, welche die Antigene des Virus erkennen, aktiviert, und vermehren sich in großer Zahl. Diese starke Zunahme sorgt nicht nur dafür, daß das Immunsystem die vorhandene Infektion unterdrückt; das Immunsystem erzeugt auch Virus-spezifische Zellen, um mit einem erneuten Auftreten derselben Infektion besser fertig zu werden. Da die starke Vermehrung HIV-spezifischer T-Helfer-Zellen noch niemals zuvor beobachtet wurde, glaubten einige Wissenschaftler, daß das Virus irgendwie der Entdeckung durch die Helfer-Zellen entkommt. Diese neue Studie zeigt allerdings, daß in seltenen Fällen HIV-spezifische Helfer-Zellen erzeugt werden, die dazu beitragen können, die Virenkonzentrationen niedrig zu halten.

Die ersten Hinweise dafür stammen aus Untersuchungen an einem Patienten, der sich vor mehr als 18 Jahren mit HIV infiziert hatte, ohne bisher irgendwelche Anzeichen von AIDS aufzuweisen. Obwohl die HIV-Antikörper beweisen, daß er mit dem Virus infiziert ist, blieb die Virenkonzentration in seinem Blut so niedrig, daß sie nahezu nicht nachweisbar war, obgleich er nie mit Antiviren-Medikamenten behandelt worden war. Als die Forscher Proben seines Blutes verschiedenen HIV-spezifischen Antigenen aussetzten, beobachteten sie etwas völlig Neues. „Dieser Mensch besaß nicht nur HIV-spezifische Helfer-Zellen, seine Helfer-Zellen zeigten auch eine heftige Reaktion. Dies war die erste Reaktion dieser Art, die wir bei HIV beobachtet haben”, sagt Walker.

Die Forscher beobachteten dann Reaktionen der Helfer-Zellen in Proben von zehn chronisch infizierten Menschen. Einige hatten hohe Konzentrationen des Virus im Blut und einige, deren Infektion erst kürzlich diagnostiziert wurden, zeigten nur eine geringe Virenbelastung. Die Tests wurden vor dem Beginn einer Antiviren-Therapie durchgeführt. Sie zeigten eine eindeutige Wechselbeziehung zwischen der Virenkonzentration und der Antwort der Helfer-Zellen: Personen mit der stärksten Reaktion der HIV-spezifischen T-Zellen besaßen die niedrigste Virenbelastung, während jene mit einer hohen Virenkonzentration nur schwächere Antworten der T-Zellen zeigten.

„Wir entwickelten eine Theorie, warum diese Virus-spezifischen Zellen gewöhnlich nicht bei HIV-infizierten Menschen auftauchen”, sagt Eric Rosenberg, Mitautor dieser Studie. „Vielleicht werden gerade die Helfer-Zellen, die HIV erkennen, im Frühstadium der Infektion zerstört. Wir fragten uns, ob eine Antiviren-Behandlung in diesem Stadium dazu führen würde, daß diese Helfer-Zellen nicht ausgeschaltet werden.”

Das Forscherteam hatte Gelegenheit, diese Hypothese zu testen, als Rosenberg einen Patienten mit Symptomen einer akuten HIV-Infektion behandelte: Fieber, schwere Halsentzündung, Ausschlag und geschwollene Lymphknoten. Als Rosenberg bemerkte, daß sich dieser Patient möglicherweise erst vor zwei Wochen mit HIV infiziert hatte, führte er sofort Bluttests durch. Das Ergebnis war eine hohe Virenkonzentration aber keine Antikörper im Blut des Patienten; dies deutet auf eine erst kürzlich erfolgte Infektion hin. Dem Patienten wurden starke Antiviren-Medikamente verabreicht, worauf die Virenbelastung drastisch zurückging, so daß die Erreger fast nicht mehr nachweisbar waren. Gleichzeitig begann sein Immunsystem eine heftige Antwort HIV-spezifischer T-Helfer-Zellen zu zeigen. Eine ähnliche Behandlung zweier anderer kürzlich infizierter Personen rief die gleichen Reaktionen hervor. Bei Personen, die schon länger infiziert waren – sechs Monate oder mehr – verringert die Behandlung zwar die Virenkonzentration, aber eine Reaktion der T-Helfer-Zellen fand nicht statt.

„Dies deutet darauf hin, daß es ein Zeitfenster gibt, aber wir wissen noch nicht, wie groß es ist. In diesem Zeitraum können wir die Antwort der T-Helfer-Zellen durch eine energische Antiviren-Behandlung stimulieren”, erklärt Walker. „Deshalb kann es für Ärzte extrem wichtig sein, die Symptome einer akuten HIV-Infektion richtig zu deuten und bei möglicherweise infizierten Patienten einen Test durchzuführen, der die Existenz des Virus nachweist.” Walker betont, daß die Aktivierung der T-Helfer-Zellen-Reaktion wahrscheinlich voraussetzt, daß die Behandlung sofort nach der Infektion begonnen wird. Er weist auch darauf hin, daß sein Team noch nicht bewiesen hat, ob diese Reaktion allein verantwortlich dafür ist, daß die Virenkonzentration in Schach gehalten wird. Außer den „Lanzeitüberlebenden” setzen alle Patienten, die an dieser Studie teilgenommen haben, ihre Antiviren-Therapie fort. Walker möchte auch herausfinden, ob die Unterstützung dieser Helfer-Zellen-Reaktion auch in Personen, die von selbst gar keine Immunantwort zeigen, zu einer effektiveren Kontrolle des Virus führt.

Neuere Studien haben gezeigt, daß das Virus hartnäckig im Körper verbleibt, trotz einer intensiven Antiviren-Therapie (siehe „Ein Cocktail gegen AIDS” vom 14. November 1997). Die Frage, ob die Immunreaktion auf das Virus verbessert werden kann, bleibt weiterhin offen.

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