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Sedimentation: Schlammschlacht

Mit Schlamm spielt jedes Kind. Ein Fünkchen dieser Leidenschaft steckt sicher noch in jenen Forschern, die aufzuklären versuchen, wie sich die feinen Partikel am Grund einer Wasserfläche ablagern - immerhin der erste Schritt zu einem der häufigsten Sedimentgesteine unseres Planeten. Und manchmal klärt sich dabei tatsächlich ein zuvor trübes Bild der Vorgänge.
Schlammrippel
In jeder Pfütze lässt sich im Prinzip nachvollziehen, wie Tonsteine entstehen: Feinste Schlammpartikel sinken langsam zu Boden, wo sie sich dann im Laufe der Zeit verdichten. Für ein ordentliche Gesteinsbildung ist eine solche kleine Wasserlache zwar viel zu schnell ausgetrocknet, aber in Meeresbuchten oder sumpfigen Flussmündungen und großen Seen, in denen über Jahrtausende hinweg immer weiteres Material nachgeliefert wird, kann man sich diesen Prozess schon vorstellen. Treten zudem noch jährliche Schwankungen im Eintrag der feinen Körnchen auf, so bleiben diese als Schichten erhalten – wenn auch die einzelnen Partikel viel zu klein sind, um sie erkennen zu können. Da hilft nur noch ein Mikroskop.

Doch obwohl Tonsteine zu den häufigsten Sedimentgesteinen zählt, bergen sie noch immer viele Geheimnisse. Nur mit Hilfe von zig Variablen und Parametern lassen sie sich annähernd in ihren physikochemischen Eigenschaften beschreiben. Noch dazu bleiben die einzelnen Partikel nicht unbedingt allein, sondern lagern sich zu größeren Aggregaten zusammen: Sie flocken aus. Das erschwert es weiterhin, die Absinkprozesse der Schlammfracht von Gewässern irgendwie in Formeln und Regeln zu packen.

Da hilft nur noch eine kontrollierte Schlammschlacht im Labor, wie sie Jürgen Schieber von der Universität von Indiana in Bloomington und seine Kollegen veranstalteten. Sie waren unzufrieden mit der bisherigen Methode, aus den Bedingungen des Wassers über den Ablagerungen die kontrollierenden Faktoren für das Absinken abzuleiten. Denn trotz übereinstimmender Werte in der Wassersäule erweisen sich die frischen Sedimente als dermaßen unterschiedlich, dass der bislang erfolgte Rückschluss wohl unzulässig war.

Versuchsanlage | Die Versuchsanlage bestand aus einem langen Fließkanal, in der Schieber und seine Kollegen den Sedimentationsprozess mit Kameras verfolgen könnte. Die Strömung hielt ein Laufband aufrecht.
Auch die bisherigen Versuchsanlagen sahen die Forscher skeptisch: Die normalerweise verwendeten Zentrifugalpumpen, die die Schlammlösung in Bewegung halten sollen, würden die so wichtigen Flocken gleich wieder zerstören. Schieber und seine Kollegen dehnten daher den Rundkurs, sodass sie auf einer Seite in einem langgestreckten Kanal das Geschehen filmen konnten, während sie das Wasser über ein Förderband in Bewegung hielten.

Dann ging's – wissenschaftlich exakt – zur Sache. Destilliertes Wasser, Leitungswasser, sogar Salzwasser füllten sie mit unterschiedlichsten Konzentrationen an Tonpartikeln oder Seeschlamm. Um die Abhängigkeit von der Fließgeschwindigkeit beobachten zu können, regelten sie diese stufenweise.

Rippel im Trüben | Aus zusammengelagerten Schlammpartikeln hat sich ein Rippel gebildet, der sich nun langsam stromabwärts (von rechts nach links) bewegt. Die Sichelform findet sich auch bei Sanddünen.
Schon wenige Minuten nach der Schlammlieferung entstanden erste Flocken von bis zu einem Millimeter Durchmesser. Sie wuchsen teilweise zu regelrechten stromlinienförmigen Brocken heran, an denen sich weitere Partikel anhängten und die sich langsam und bodennah stromabwärts vorwärts bewegten. Das Entscheidende jedoch: Sie lagerten sich bereits bei Fließgeschwindigkeiten ab, bei denen man das bislang nicht für möglich gehalten hätte. Und bildeten dabei auch noch flache, weit auseinander liegende Rippel, wie man sie sonst nur von Sand kennt.

Schlamm aber, das schien bisher ganz klar, sinkt erst dann wieder zu Boden, wenn sich ein aufgewühltes Wasser beruhigt hat – und dementsprechend galten Tonsteine immer als Zeichen für stille oder sich nur sehr langsam bewegende Gewässer, in denen die Schichten nach der Sedimentation ungestört blieben. Das gerät nun ins Wanken.

Von unten besehen | Derselbe Rippel, von unten aufgenommen: Die innere Schichtung (Pfeile) ist erkennbar.
Dabei sei das gar nicht so überraschend, meint Schieber: "Nach einem Hochwasser eines Baches sehen Sie genau solche Rippel auf den Fußwegen, wenn sich das Wasser wieder zurückgezogen hat. Und sie bestehen aus Schlamm." Und schließlich zeigten auch Tonsteine ein enges Nebeneinander von Ablagerung und Erosion – was nicht zur bisherigen Vorstellung passte. Der experimentelle Nachweis könne das nun endlich erklären.

Für Geologen bedeutet das neue Arbeit: Wie sind nun wirklich die Tonsteine dieser Erde entstanden, die immerhin zwei Drittel aller Sedimentgesteine ausmachen? Wie komplett sind die Abfolgen angesichts des Ablagerungsprozesses, der keineswegs ausschließlich ein flächiges Absinken von Einzelteilchen darstellt, sondern auch über zerstreute Ansammlungen geschehen kann? Wie mobil waren die obersten Sedimentschichten, bevor sie endgültig Ruhe fanden?

Mit ihnen werden auch Ingenieure neue Fragestellungen finden: Wenn Schlamm sich offenbar auch anders bewegt als bisher angenommen – was folgt daraus für den Wasserbau? Und finden sich vielleicht Ölvorräte an bislang unvermuteten Orten? Alles in allem wühlen Schieber und seine Kollegen eine Menge Fragen auf. Bis sich dieser Schlamm zu Gunsten eines klaren Bildes setzt, werden noch viele Pfützen entstehen und vergehen.

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