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News: Schwarze Witwe

Eigentlich ist B1957+20 viel zu alt, um derart rasant zu drehen und derart heftige Partikelströme auszusenden. Ein Begleitstern hält den Alten auf Trab - und muss dafür mit dem Leben bezahlen.
Zweite Schockwelle
Neutronensterne entziehen sich ja ohnehin weitgehend den Möglichkeiten menschlicher Vorstellungskraft. Da explodieren Sterne in Supernovae, die massereicher sind als die Sonne und schrumpfen anschließend auf einen Durchmesser von kaum mehr als einem Dutzend Kilometer. Dabei wird selbst die Dichte von Atomkernen überschritten; sie lösen sich gleichsam auf und werden zu suprafluider Neutronenmaterie. Am Ende haben Neutronensterne eine Dichte von 1015 Gramm pro Kubikzentimeter. Ein Becher davon würde hier auf der Erde so viel wiegen wie der Mount Everest.

Wie bei einer Eistänzerin, die ihre Arme anwinkelt, so bleibt auch bei einem schrumpfenden Stern der Drehimpuls erhalten, weshalb manche Neutronensterne, die so genannten Pulsare extrem schnell rotieren. Bei B1957+20 handelt es sich sogar um einen Millisekunden-Pulsar, der fast 40 000-mal pro Minute oder dreimal schneller als ein Formel-1-Motor rotiert.

Zudem rast dieses Objekt in rund 5000 Lichtjahren mit einer Geschwindigkeit von beinahe einer Million Kilometern pro Stunde durch das All – und produziert dabei in seinem Bug eine Schockwelle, die auf Bildern optischer Teleskope gut erkennbar ist, weil die Protonen und Elektronen der Bugwelle den Wasserstoff im interstellaren Gas anregen und zum Leuchten bringen.

Mithilfe des Chandra X-ray Observatory haben Forscher um Benjamin Slapers von der Netherlands Foundation for Research in Astronomy nun sogar noch eine zweite Schockwelle entdeckt. Sie befindet sich innerhalb der im optischen Spektrum sichtbaren Welle und ist das Ergebnis der heftigen Ausstrahlung hochenergetischer Materie und Antimaterie durch B1957+20.

Diese Partikel werden mit beinahe Lichtgeschwindigkeit in alle Richtung ausgesandt. In einer bestimmten Entfernung von dem rasenden Neutronenstern werden diese Teilchen kurz und heftig abgebremst – bis sie nicht schneller sind als das umgebende interstellare Gas. Und dabei wird Röntgenstrahlung freigesetzt.

Der Partikelwind hüllt den ganzen Neutronenstern in eine dreidimensionale ovale Hülle, die sich im Lee des rasenden Sterns zu einem langen Scheif ausdehnt.

Dass der immerhin eine Milliarde Jahre alte Neutronenstern noch so rasend schnell dreht und einen derart heftigen Partikelwind ausstößt, ist ziemlich ungewöhnlich und nur einem Umstand zu verdanken: der Existenz eines Partnersterns. Dieser Stern umkreist B1957+20 in enger Bahn einmal in 9,2 Stunden und wird von der hochenergetischen Strahlung buchstäblich verdampft.

Die Materie des Begleiters stürzt in einem Bogen und mit so großer Wucht auf den Neutronenstern, dass dieser im Laufe der Zeit beschleunigt und – obschon er längst auf seinem Altenteil sein müsste, jene Partikelströme zu generieren vermag, mit denen er den Begleiter aussaugt und die dem Neutronenstern den Beinamen Schwarze Witwe eintrugen.

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