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Beschichtete Textilien: Die dunkle Seite der pflegeleichten Welt

Rotweinsichere Polster, fleckenfreie Babydecken, chemikalienfeste Schutzkleidung - alles kein Problem, auch dank fluorhaltiger Beschichtungen. Doch diese Stoffe, PFAS genannt, sind alles andere als harmlos. Was tun?
Kind in Funktionskleidung.

Was in den 1940er Jahren mit teflonbeschichteten Angelschnüren begann, hat heute monumentale textile Bauwerke wie das Bogendach am Bahnhof Rosenheim oder das 65 000 Quadratmeter große Membrandach der Expo 2010 in Schanghai erreicht. Fachleute hatten schnell begriffen, dass eine neue Klasse von Wunderchemikalien alle Arten von Textilien schmutz-, wasser- und ölabweisend macht. Dank der Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) fanden pflegeleichte Stoffe den Weg in alle Bereiche von Alltag und Technik.

Das Problem: Die fluorierten Chemikalien sind praktisch, aber keineswegs harmlos. Bestimmte PFAS sind gesundheitsschädlich, sie stehen im Verdacht, Krebs erregend zu sein und das menschliche endokrine System zu beeinträchtigen. Außerdem sind alle PFAS in der Umwelt sehr persistent und verbleiben dort länger als jede andere vom Menschen hergestellte Substanz. Selbst wenn alle Freisetzungen dieser Stoffe morgen aufhören würden, wären sie noch über Generationen hinweg weltweit in Mensch und Umwelt vorhanden.

Per- und Polyfluoralkylsubstanzen sind eine Klasse synthetischer organischer Substanzen mit unterschiedlichen Strukturen und Eigenschaften. Die Gruppe umfasst mehr als 4730 Stoffe, die wegen ihrer Widerstandskraft gegen Hitze, weil sie Öl und Wasser effektiv abweisen und die Oberflächenspannung von Flüssigkeiten modifizieren, in einer Vielzahl von Anwendungen eingesetzt werden. Bekannte PFAS sind Perfluoroctansäure (PFOA) und Fluorpolymere wie Polytetrafluorethylen (PTFE), das unter dem Handelsnamen Teflon bekannt ist. Eine Übersichtsarbeit verzeichnet für mehr als 1400 einzelne PFAS mehr als 200 Verwendungen in 64 Kategorien.

Ohne PFAS ist alles komplizierter

Textilien sind dabei nur eine Anwendung unter vielen. Doch dort gerieten PFAS als Erstes in den Blick der Öffentlichkeit. 2013 veröffentlichte Greenpeace einen Umweltreport über die Gefährlichkeit der PFAS in Outdoorbekleidung. Damals begannen einzelne Firmen, nach umweltfreundlichen Alternativen zu suchen. Zum Beispiel der Hersteller Vaude, der PFAS-freie Membranen für Outdoorbekleidung entwickelt. »Es war und ist immer noch eine große Herausforderung, eine vernünftige Performance zwischen der Wasser abweisenden Funktion und dem Abperleffekt zu erreichen«, sagt Bettina Roth, Leiterin Qualitätsmanagement bei Vaude.

Die neuen Membranen basieren auf Polyurethan, das für die Umwelt viel weniger problematisch ist. Umso mehr aber in der Produktion, erklärt Roth. »Die PFAS-freien Alternativen sind wesentlich sensitiver gegenüber Produktionseinflüssen wie Geschwindigkeit, Druck oder Temperatur. Daher müssen wir jedes Material, zum Teil sogar in jeder Farbe, intensiv testen. Es gibt leider nicht die eine Lösung, die für alles passt.«

»Leider war die Nachfrage nach PFAS-freien Alternativen am Markt über lange Zeit sehr gering«Bettina Roth, Leiterin Qualitätsmanagement bei Vaude

Für sie ist erst durch die Greenpeace-Detox-Kampagne der notwendige Druck aufgekommen, der die Industrie dazu angetrieben habe, PFAS-freie Beschichtungen zu entwickeln. Erst viel später gab es dann gesetzliche Regularien, die jedoch bis heute nicht umfassend seien, so Roth. »Leider war die Nachfrage nach PFAS-freien Alternativen am Markt über lange Zeit sehr gering, so dass wir als einzelner Hersteller nicht genügend Druck auf die Materialhersteller beziehungsweise die Chemie-Industrie ausüben konnten.« Inzwischen haben auch andere Outdoor-Hersteller ihre Produktion erfolgreich umgestellt und werben mit PFAS-freien Produkten. Die Greenpeace-Detox-Kampagne untersucht in regelmäßigen Abständen die Fortschritte der Branche.

Bei Outdoorbekleidung ist den Verbraucherinnen und Verbrauchern gemeinhin bekannt, dass es sich um beschichtete Textilien handelt. Bei textilen Beschichtungen im weiteren Sinne sieht das schon ganz anders aus – aber tatsächlich spielen sie im Alltag sogar eine noch größere Rolle. Wenn sich der nasse Hund auf dem Teppich wälzt, ein Glas Wein auf der Couch umkippt oder der Schulranzen im Regen vergessen wurde, wird man wahrscheinlich froh sein, dass man Nässe und Schmutz dort einfach abwischen kann.

Unsichtbar und überall

In den meisten Fällen werden die Verbraucherinnen und Verbraucher aber dabei nichts über PFAS-Beschichtungen erfahren und auch nicht darüber nachdenken. Sonnenschirme, Sonnensegel, Rucksäcke, Wanderschuhe, Zelte, Skianzüge oder Fahrradkleidung, alles kann, muss aber nicht zwangsläufig mit den Chemikalien behandelt sein. Krabbel- und Spielteppiche für Kinder können PFAS enthalten, und bei den Kindersitzen für Autos fanden amerikanische Fachleute bis zu 43 verschiedene PFAS in 97 Prozent der analysierten Autositzproben. Von den 45 000 bis 80 000 Tonnen PFAS, die jährlich im Bereich der Textilien, Polster, Teppiche, Leder und Bekleidung in der EU verbraucht werden, entfallen rund 50 bis 53 Prozent auf die Heimtextilien, gefolgt von 34 bis 39 Prozent in Konsumgütern.

Waldarbeiter mit Schutzkleidung | Wer beruflich viel im Freien unterwegs ist, benötigt wasserfeste Kleidung, die auch unter Belastung lange Zeit dicht hält. Bisher erfüllen nur fluorierte Beschichtungsmittel die höchsten Anforderungen.

Manche Firmen beschreiten bereits neue Wege. So wirbt ein Nähgarnhersteller mit PFAS-freien Garnen, und ein bekannter Schirmhersteller bietet den ersten PFAS-freien Regenschirm an. Spezialtextilien können allerdings auf die Beschichtung mit fluorierten Chemikalien (noch) nicht verzichten. Im medizinischen Bereich muss der Kittel zuverlässig vor Blut schützen, die Kleidung der Feuerwehr muss Wasser, Schaum und Chemikalien abhalten, auch im Forst und Straßenbau muss die Sicherheit gewährleistet sein. Und die Schutzwesten der Polizei wären ohne PFAS-Beschichtung nicht schusssicher.

Daneben gibt es das weite Anwendungsfeld bei technischen PFAS-Textilien wie textile Brennstoffzellenmembranen, Textilien für die Heißgasfiltration, für zivile und militärische Luftfahrtanwendungen oder auch für Förderbänder in der Lebensmittelverarbeitung. Die Trägertextilien der großen Membrandächer im Außenbereich müssen vor Umwelteinflüssen geschützt werden und haben baurechtliche Anforderungen zu erfüllen. Dort gelingt es »nur durch den Einsatz von Fluorpolymeren, sowohl eine Langzeitbeständigkeit gegen UV-Licht beziehungsweise Hydrolyse und Oxidation zu erreichen als auch die entsprechende dauerbeständige Wind- und Wasserdichtigkeit«, so ein Sprecher des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums.

Solche textile Membranen bestehen aus Materialverbunden mit verschiedenen Fasern und Beschichtungen. Eine besonders langlebige und flammfeste Variante ist die Beschichtung eines Glasgewebes mit PTFE, bekannt als Teflon. »Hinsichtlich der Brandhemmung und Langlebigkeit als Wetterschutzhülle existiert noch kein alternatives Produkt zu den Glasgewebe-PTFE-Membranen«, erklärt Thomas Stegmaier von den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung Denkendorf. »Ansonsten werden PFAS unseres Wissens nicht im Bereich des textilen Bauens eingesetzt.«

Wie fängt man die Stoffe wieder ein?

Die Grenzwerte in Trinkwasser und Lebensmitteln oder auch im Blut wurden in den letzten Jahren auf Grund wachsender Erkenntnisse fortlaufend verschärft. Trotzdem sind erst einige der PFAS bereits EU-weit und global reguliert oder verboten, weitere Beschränkungen wie für Perfluorhexansäure (PFHxA) sind in Vorbereitung.

PFAS können bei ihrer Produktion, der Verwendung und der Entsorgung in die Umwelt gelangen, der Blick auf den teflonveredelten Schirm oder das pflegeleichte Sofa allein reicht also nicht aus. Bei der Teflon-Herstellung wird beispielsweise »PFOA als Emulgator eingesetzt, und dabei kann – wenn die Produktion nicht gut kontrolliert wird – unter Umständen PFOA als Prozessemission und als Verunreinigung im Endprodukt auftreten. In der westlichen Welt wird die Produktion jedoch recht streng kontrolliert«, so Thomas Stegmaier.

Auch das Recycling der beschichteten Textilien ist knifflig, denn dafür sind schadstofffreie, nichttoxische Materialkreisläufe entscheidend. Und die gibt es noch nicht. »Textilien, die mit besonders besorgniserregenden Stoffen wie den PFAS ausgerüstet sind, stellen für das Recycling ein Problem dar, da diese Stoffe in die Recyclingprodukte verschleppt werden«, betont ein Sprecher des Bundesumweltministeriums (BMU).

Wenn PFAS-beschichtete Textilien gewaschen werden, gelangen die Stoffe in die Kläranlagen. Die derzeitige Standardtechnik dort kann PFAS aber nicht wirksam aus dem behandelten Abwasser entfernen, dafür müssten die Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe ausgerüstet sein. »In Deutschland gibt es zurzeit 9105 öffentliche Kläranlagen, davon sind 28 mit einer vierten Reinigungsstufe zur gezielten Spurenstoffelimination in Betrieb, weitere 56 Anlagen sind in Bau oder Planung (Stand September 2020)«, so das BMU.

Als Konsequenz auf die Folgen der »pflegeleichten Welt«, verbunden mit der Unmöglichkeit, jedes einzelne der 4730 PFAS regulieren zu können, hat die EU-Kommission im Oktober 2020 einen PFAS-Aktionsplan veröffentlicht. Letztendlich sollen alle PFAS als eine Gruppe behandelt und reguliert werden, und man strebt EU-weit ein Verbot aller gesamtgesellschaftlich nicht notwendigen Verwendungen an. Dieses »essential use concept« reicht von »überflüssig und sofort zu streichen« bis hin zu »momentan noch nicht zu ersetzen«. Zudem sind auch komplett PFAS-freie Herstellungsverfahren in Forschung und Erprobung.

Firmen wie Vaude befürworten diese Bemühungen. »Denn leider konnte mit der Freiwilligkeit kein flächendeckender Umstieg erreicht werden, und damit kommt es auch zu einer Verzerrung des Wettbewerbs. Die Gefährlichkeit der PFAS ist ja unbestritten und seit Langem bekannt«, so Bettina Roth.

Der Textilindustrie gehen die Alternativen aus

Wegen der bestehenden Vorgaben hat sie in den letzten Jahren ihre Prozesse bereits von den verbotenen langkettigen auf die aktuell noch nicht beschränkten PFAS umgestellt. Doch nun geraten auch diese Ersatzstoffe in den Fokus der Behörden. Zum Beispiel das PFHxA, das laut Textilindustrie als »unintended byproduct« in geringen Spuren in den verwendeten Produkten enthalten ist. Das Problem: PFHxA ist extrem langlebig in der Umwelt. Nun hat das Umweltbundesamt einen neuen Beschränkungsvorschlag auch für dieses PFAS, dessen Salze und auch chemisch verwandte Stoffe wie daraus hergestellte Polymere eingereicht. Sie sollen nicht mehr hergestellt oder auf den Markt gebracht werden dürfen, und auch ihre Verwendung in Mischungen soll nicht erlaubt sein.

Dagegen wehrt sich die Textilindustrie in einer 500-seitigen Stellungnahme. Die Branche argumentiert, dass für zahlreiche Anwendungen keine gleichwertigen Alternativen zur Verfügung stünden. Man sehe es dort mehrheitlich zwar genauso, dass man normale Outdoorbekleidung auch fluorfrei imprägnieren könne. Aber schon Verbraucher oder Profisportler, die länger als zwei Stunden rauen Bedingungen ausgesetzt seien, oder mehrtägige Einsätze wie Offshore-Segeln oder alpine Expeditionen würden den erweiterten Schutz durch Behandlung mit fluorierten Chemikalien erfordern. Auch wichtige Merkmale textiler Materialien wie Langlebigkeit von Sonnensegeln oder Erfüllung von Betriebsstandards wie beispielsweise in der Automobilindustrie könnten auf keine andere Weise erfüllt werden.

Dass die Kombination aus Wasser-, Öl-, Flecken-, Blut- und Chemikalienabweisung nur durch fluorierte Polymere möglich ist, sehen auch die Umweltbehörden so; dort diskutieren Fachleute derzeit in den Ausschüssen, welche Ausnahmen für welche Verwendungen verhältnismäßig und notwendig sind. Eine differenzierte Bewertung werde aber nur möglich sein, wenn die Industrie ausgewogene und detaillierte Informationen zu Verwendungen und Alternativen zur Verfügung stelle, so ein Sprecher der Umweltbundesamtes.

»Geben Sie uns 50 Millionen Euro Forschungsförderung, dann kommen wir mit wirklich großen Schritten voran«Stefan Thumm, Experte der Textil- und Bekleidungsindustrie

Während die europäischen Umweltbehörden also die gesamte PFAS-Gruppe auf Grund von Persistenz und Gesundheitsrisiken direkt am Beginn der Produktionskette regulieren wollen, schlägt die Textilindustrie andere Lösungen vor. »Mit reiner Verbotspolitik kommen wir bei diesem Thema überhaupt nicht weiter, sondern schaden nur uns selbst und der Umwelt«, erklärt Stefan Thumm, der EU-Chemikaliengesetzgebungs- und Umweltexperte in den Reihen der Textilverbände Südwesttextil und Verband Textil Bekleidung der bayrischen Textil- und Bekleidungsindustrie.

»Noch intelligentere Nutzung der Fluorchemie«

Fluorchemie sei für jede Hochtechnologienation einfach nicht wegzudenken. Die Erzeugnisse würden bei Totalverboten in der EU eben nur noch in China beziehungsweise Asien produziert, und die Frage sei, wer den EU-Import dann entsprechend kontrollieren könne. Thumm sieht daher die Lösungsansätze eher in einer noch intelligenteren Nutzung der Fluorchemie. »Die Emissionen müssen noch weiter gemindert und die Produktion wo immer möglich auf fluorfreie Stoffe umgestellt werden. Vor allem brauchen wir die finanziellen Mittel für die Alternativstoff-Forschung«, so Thumm.

»Geben Sie uns 50 Millionen Euro Forschungsförderung, dann kommen wir mit wirklich großen Schritten voran«, sagt er. Unterhalb der C6-Fluorpolymerchemie gehe, was das notwendige technische Leistungsprofil anbelange, nichts mehr, sagt er. Dann könne man Textilien für den Arbeits- und Infektionsschutz, die viele DIN-Normen einhalten müssten, nicht mehr in der EU produzieren. Und die Gesamtemissionen des über die C6-Chemie emittierten, nicht toxischen, persistenten Stoffs PFHxA seien in der europäischen Textilindustrie heute schon auf wenige Gramm im Jahr reduziert worden.

Gleichwohl würde man sich weiteren Diskussionen nicht verschließen, schließlich sei das ganze »Fluorgeflecht« gigantisch groß, da müssten alle Seiten in der Kommunikation offen bleiben, um irreversible Kollateralschäden vor allem für die Gesellschaft zu vermeiden. Thumm befürwortet den Gedanken, die mit Fluorchemie imprägnierten beziehungsweise beschichteten Textilien mit einem QR-Code zu versehen. Damit könnten die Verbraucher einen einfacheren Zugang zu den Inhaltsstoffen bekommen, zudem könnte man das künftige Recycling eines Textils viel besser unterstützen. Aus seiner Sicht sollten alle Aspekte um die Fluorchemie immer fachlich und nicht nur politisch entschieden werden.

Hinter der ganzen Diskussion steht natürlich auch die Frage, wer nach welchen Kriterien entscheidet, was aus dem weiten Feld der PFAS-Textilbeschichtungen gesamtgesellschaftlich wesentlich ist und was nicht. Und man müsste ergänzend fragen, wer für die Rücknahme dieser beschichteten Textilien beziehungsweise für deren Entsorgung zuständig sein soll. Und für die PFAS insgesamt bleibt die Frage, wer die Kosten der Sanierungen von belastetem Boden und Wasser trägt – wenn das überhaupt möglich ist – und wer die Verantwortung für eventuelle Gesundheitsschäden übernimmt, jetzt und in der Zukunft. Die Hersteller der fluorierten Chemikalien, die Anwender, die Allgemeinheit?

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