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News: Übergewicht für drei Generationen

Überernährung genetisch normaler neugeborener Ratten wirkt sich auf drei Generationen aus. Neben Störungen der grundlegenden Stoffwechselprozesse wird auch die Reproduktionsrate beeinflußt.
Einige Frauen, die gegen Ende der Schwangerschaft Glukose-intolerant werden, können einen Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes) entwickeln: Sie bringen eher große Kinder auf die Welt, die zu Fettleibigkeit neigen. Nach einer neuen Studie an genetisch normalen Ratten ist denkbar, daß dieser Effekt der Überernährung sich über drei Generationen halten kann. Die Befunde könnten ähnliche Entwicklungen in der menschlichen Bevölkerung erklären, die in Japan, Australien, im Südwesten Amerikas und auf einigen pazifischen Inseln beobachtet werden.

Die Tatsache, daß die überernährten Tiere keinen genetischen Defekt hatten, ist entscheidend, weil dadurch gezeigt werden konnte, daß Ernährungsumstände während der Entwicklungsphase auch auf spätere Generationen Auswirkungen haben können, selbst wenn keine genetischen Störungen vorliegen. Dies sind die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe der University of Washington, die am 28. Oktober 1997 auf der Jahrestagung der Society for Neuroscience vorgestellt worden sind.

Die neugeborenen Ratten wurden überfüttert, um jene Nahrungsverhältnisse während der späten menschlichen Schwangerschaft zu simulieren, die Kinder diabetischer Mütter häufig antreffen. Schwangerschaftsdiabetes kommt in zwei bis drei Prozent von ansonsten normal verlaufenden menschlichen Schwangerschaften vor. Der mütterliche Organismus reguliert die Abgabe der Nahrungsstoffe an den Nachkommen über den Blutstrom. Eine Schwangerschaft kann jedoch eine zusätzliche Belastung für die Bauchspeicheldrüse bedeuten. In diesem Fall kann diese eventuell nicht mehr genug Insulin produzieren. Das ist aber nötig, um die Kohlenhydrate zu verwerten, die Schwangerschaftsdiabetes auslösen. Verbleiben die Kohlenhydrate im Blut, so können sie dem Kind als Nahrung zur Verfügung gestellt werden, das dann überernährt werden kann.

Elsie Taylor, Psychologin und Forscherin an der University of Washington, meint, daß neugeborene Ratten bei der Geburt noch unreif seien. In ihren ersten drei Lebenswochen ließen sie sich daher hinsichtlich der Entwicklung des Gehirns und des Stoffwechsels mit menschlichen Föten während der letzten drei Schwangerschaftsmonate vergleichen.

„Neugeborene Ratten sind das Geschenk Gottes für die Entwicklungsphysiologie”, sagt Jaime Diaz, Psychologin an der University of Washington und Mitarbeiterin Taylors bei dieser Studie. „Wir können neugeborene Ratten untersuchen und dabei viel über Reifungsprozesse während der späten menschlichen Schwangerschaft lernen. Unsere Experimente zeigen, daß eine kurze Zeitspanne des Überernährens zu einer Gruppe von Ratten und ihren Nachkommen führt, die sich eindeutig von ihren Geschwistertieren und deren Nachkommen unterscheidet.”

„Unsere Befunde demonstrieren, daß viele Effekte, die man bei Nachkommen von Diabetikern beobachtet, unabhängig von genetischen Einflüssen durch Veränderungen der Umgebung während der Entwicklung verursacht werden können. Was also aus dem Überernähren oder dem Diabetes resultiert, prägt das Neugeborene mehr oder weniger für das ganze Leben”, fügt Taylor hinzu.

Taylor und Diaz verwendeten nur weibliche Ratten für ihre Untersuchungen. Sie konzentrierten sich in ihrer Arbeit auf die Frage, wie sich die Überernährung auf die mütterliche Umgebung auswirkt, der die späteren Generationen ausgesetzt werden. Für die Untersuchungen verwendeten sie nicht die gebräuchlichen weißen Ratten, sondern schwarz und weiß gefleckte Long-Evans-Ratten.

Die erste Generation bestand aus normalen Geschwisterratten, die im Alter von fünf Tagen willkürlich einer von drei Gruppen zugeordnet wurden. Die erste Gruppe wurde von ihren Müttern gefüttert. Die zweite wurde über einen Schlauch in den Magen mit etwa den gleichen Mengen wie die mütterlich aufgezogenen Tiere versorgt. Die dritte Gruppe wurde ebenfalls über einen Schlauch in den Magen ernährt, aber hier bekamen die Tiere 150% der Mengen, die die Vergleichsgruppen erhielten. Ab dem Alter von 15 Tagen wurden die Gruppen zwei und drei wieder von ihren Muttertieren ernährt. Eine Woche später wurden alle Tiere entwöhnt, bekamen Labornahrung und wurden identisch behandelt.

Am 15. Tag wogen die überernährten Ratten 20% mehr als die Vergleichstiere. Während der Ernährungsphase durch die Mutter fiel das Gewicht jedoch wieder auf normale Werte. Allerdings nahm es in der Pubertät wieder zu, und als die Tiere im Alter von 4 Monaten mit männlichen Tieren gekreuzt wurden, wogen sie 12% mehr als die Kontrollratten. Viele Tiere aus der überernährten ersten Generation hatten Probleme mit der nachfolgenden Schwangerschaft, und die Geburtenrate betrug 70% derjenigen bei normalen Ratten.

Das Muster der Körpergewichte kehrte sich in der zweiten Generation um. Die Kinder der Versuchstiere waren bedeutend kleiner als jene der Kontrollgruppe, obwohl beide Gruppen identisch aufgezogen wurden. „Diese Ratten waren bei Geburt 5% kleiner und blieben ihr ganzes Leben lang eindeutig kleiner”, berichtet Taylor. Hinzu kamen Fortpflanzungsprobleme: Wenn diese Generation der Versuchstiere gekreuzt wurde, lag die Geburtenrate nur bei 57% der Kontrollgruppe.

In der dritten Generation war das Geburtsgewicht in beiden Gruppen gleich. Doch die Nachkommen der ursprünglichen überernährten Gruppe entwickelten um den neunten Tag nach der Geburt ein beschleunigtes Wachstum und waren drei Wochen nach der Geburt 15% größer. Nach Taylors Meinung ist der Effekt in der dritten Generation signifikant und konnte in einer zweiten Kreuzungsreihe wiederholt werden.

Taylor hofft nun, die Stoffwechseländerungen der überfütterten Ratten zu verschiedenen Zeitpunkten erforschen zu können, vor allem während der Schwangerschaft. Sie möchte herausfinden, wie sich die regulatorischen Mechanismen verändert haben könnten, einschließlich der Hormone Insulin und Leptin im Gehirn.

Die Arbeit hat weitreichende klinische Bedeutung für das Verständnis von Diabetes in der Schwangerschaft. Sie ist auch von Bedeutung für die Behandlung von Fettsucht und nicht-Insulin-abhängigem Diabetes in verschiedenen Völkern wie den Pima-Indianern in Arizona oder den Aboriginees in Australien. Die Ernährung der Pima hatte sich geändert, als sie um die Jahrhundertwende in ein Reservat umsiedelten. Sie haben zur Zeit die weltweit höchste Rate des nicht-Insulin-abhängigen Diabetes'. Nach Taylor haben 50% der Pima mit 35 Jahren Diabetes. Innerhalb eines Jahrhunderts hat sich ihre Körpergrundgestalt gewandelt, von dünn nach fettleibig.

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