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Schadstoffe: Das schmutzige Erbe der Antarktis-Forschungsstationen

Jahrzehntelange Verunreinigungen durch Forschungslager in der Antarktis zeigen heute noch ihre Auswirkungen auf die Umwelt. Aber es gibt Bemühungen, vergangene Fehler wiedergutzumachen und eine saubere Zukunft für den eisigen Kontinent zu schaffen.
Luftbild der Casey-Station in der Antarktis
Der Meeresboden in der Nähe der australischen Casey-Station in der Antarktis ist ähnlich stark belastet wie der Hafen von Rio de Janeiro.

Die Antarktis gilt oft als unberührter Ort, doch sie verbirgt wortwörtlich ein schmutziges Geheimnis. Teile des Meeresbodens in der Nähe der australischen Casey-Forschungsstation sind so dreckig wie mancher Industriehafen. Das zeigt eine im August 2023 in der Fachzeitschrift »PLOS ONE« veröffentlichte Studie. Beim Vergleich mit Daten aus dem World Harbour Project, das große Wasserstraßen überwacht, stellte die Forschungsgruppe fest: In einigen Fällen kamen Schwermetalle im Lauf von zwei Jahrzehnten in ähnlichen Konzentrationen vor wie in Teilen der Häfen von Sydney und Rio de Janeiro.

Die folgenschwere Umweltbelastung ist wahrscheinlich bei allen älteren Forschungsstationen in der Antarktis weit verbreitet, sagt Mitautor Jonathan Stark, Meeresökologe an der Australian Antarctic Division in Hobart. »Diese Verunreinigungen sammeln sich über lange Zeiträume an und verschwinden nicht einfach«, erklärt er. Stark und sein Forschungsteam fanden bei ihren Untersuchungen hohe Konzentrationen von Kohlenwasserstoffen – Verbindungen, die in Kraftstoffen wie Diesel oder Benzin vorkommen – und Schwermetallen wie Blei, Kupfer und Zink. Einige Proben waren auch mit so genannten polychlorierten Biphenylen (PCBs) belastet, Krebs erregenden chemischen Verbindungen, die vor ihrem internationalen Verbot durch das Stockholmer Übereinkommen im Jahr 2001 weit verbreitet waren.

Das Problem der Verschmutzung auf der Casey-Station ist laut Ceisha Poirot von Antarctica New Zealand in Christchurch kein Einzelfall. »Alle nationalen Programme haben mit diesem Problem zu kämpfen.« Auf der neuseeländischen Antarktisstation Scott Base, die derzeit saniert wird, wurden im Boden und in den Meeressedimenten Verunreinigungen festgestellt, die von früheren Treibstofflecks und schlechter Abfallentsorgung herrühren. Laut Poirot kommen durch die Klimaerwärmung immer mehr dieser jahrzehntealten Schadstoffe ans Tageslicht: »Dinge, die einst im Boden eingefroren waren, kommen jetzt wieder zum Vorschein.«

Weit verbreitete Verschmutzung

Zum größten Teil ist die Lage in der Antarktis auf die historisch schlechte Abfallwirtschaft zurückzuführen. Früher wurde Müll oft nur in geringer Entfernung von den Forschungsstationen abgeladen, sagt Terence Palmer, Meereswissenschaftler an der Texas A&M University – Corpus Christi. Obwohl bereits seit den 1950er Jahren Forschungsstationen in der Antarktis erbaut und in Betrieb genommen werden, begann man erst in den 1980er Jahren, sich ernsthaft Gedanken um eine saubere Umwelt zu machen. Schließlich wurde 1991 ein internationales Abkommen, das so genannte Madrid-Protokoll, verabschiedet. Es trat 1998 in Kraft. Darin gilt die Antarktis als »Naturreservat, das dem Frieden und der Wissenschaft gewidmet ist«. Die Staaten wurden dazu angehalten, die mit ihren Aktivitäten verbundenen Umweltauswirkungen zu überwachen. Doch da hatten die Menschen einen Großteil des Schadens bereits angerichtet – etwa zwei Drittel der antarktischen Forschungsstationen wurden vor 1991 errichtet.

Nicht nur die Umweltverschmutzungen der Vergangenheit stellen ein Problem dar, sondern auch zukünftige Verunreinigungen. Der eisige Kontinent wird immer stärker von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bevölkert. Es gibt bereits mehr als 100 Forschungsstationen und nationale Einrichtungen, von denen sich die meisten in eisfreien Regionen befinden. Dadurch konkurrieren sie mit dem Lebensraum der Tierwelt. Weniger als ein Prozent der Antarktisfläche ist eisfrei, und diese Gebiete beherbergen eine große Vielfalt an Pflanzen und Tieren, darunter Pinguine und Robben.

Welchen sichtbaren Einfluss das menschliche Verhalten auf die Natur des Kontinents hat, zeigt eine Studie aus dem Jahr 2019. Hier stellte eine Forschungsgruppe um Shaun Brooks von der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation in Hobart fest, dass mehr als die Hälfte aller eisfreien Gebiete an der Küste Bodenstörungen aufweisen, die aus dem Weltraum zu sehen sind. Dadurch werden Lebensräume für Tiere und Pflanzen aller Art immer unwirtlicher. »Die Stationen hinterlassen einen ziemlich großen Fußabdruck für die wenigen Menschen, die sich dort aufhalten«, kommentiert Brooks.

Neue Ansätze für alte Probleme

»Jedes Land ist für seine eigene Umweltüberwachung im Umfeld von Forschungsstationen verantwortlich, und die Strategien sind unterschiedlich«, sagt Brooks. Er und seine Kollegen haben im August 2023 in einem Preprint im Social Science Research Network eine Lösung vorgeschlagen. Sie stellen ein neunstufiges Verfahren vor, das dem Stationsmanagement dabei helfen soll, die Auswirkungen der Forschungseinrichtungen auf umliegende Ökosysteme zu reduzieren.

Andere Forscher und Forscherinnen erarbeiten Strategien, um die Schäden aus vergangenen Umweltsünden rückgängig zu machen. Lucas Martínez Álvarez vom argentinischen Antarktis-Institut in Buenos Aires ist auf Bioremediation spezialisiert. Mit diesem Begriff wird der Einsatz von Organismen zur Sanierung belasteter Ökosysteme bezeichnet. Seine Arbeitsgruppe nutzt Bakterien, um Kohlenwasserstoffe aus dem Boden rund um die argentinische Carlini-Station auf King George Island zu entfernen. Im Januar 2020 berichteten Martínez Álvarez und sein Team, dass sie mehr als 75 Prozent der Kohlenwasserstoffe aus einem mit Treibstoff kontaminierten Boden eliminieren konnten. Dieser Ansatz könnte dabei helfen, nicht mehr tonnenweise verunreinigten Boden aus der Antarktis verschiffen zu müssen, hofft Martínez Álvarez.

Laut Jonathan Stark hat die Australian Antarctic Division bereits damit begonnen, die Abwasseraufbereitungsanlagen in den Stationen Casey und Davis aufzurüsten. Der nächste Schritt für Stark und sein Forschungsteam besteht darin, zu untersuchen, ob die historische Verschmutzung die antarktischen Ökosysteme heute noch beeinträchtigt. In ihren früheren Studien hat sich gezeigt, dass belastete Gebiete in der Antarktis eine geringere Artenvielfalt aufweisen als Kontrollgebiete und sich einige widerstandsfähige Spezies durchsetzen. »Es wird interessant sein zu sehen, ob diese Auswirkungen fortbestehen oder sich sogar verschlimmern«, sagt Stark, »oder ob sich die Lebensgemeinschaften in irgendeiner Weise daran angepasst haben.«

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