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Ökologie: Unerwünschtes Kuscheltier

Man merkt's ihm ja nicht an. Wo er doch so einen gemütlichen und zufriedenen Eindruck macht. Aber auch ein Koalabär hat es nicht leicht. Bei Ausflügen auf den Erdboden nötigen ihn Wildhunde und PKWs, dann wollen ihm Umweltschützer ans weiche Fell und sogar seine einzigen Futterpflanzen versuchen, ihn zu vergiften.
Koalamutter
So ein Koala hat doch sicher einen Haufen Freunde. Niedlich und friedlich hängt er, in eine Astgabel geklemmt, auf seinem Lieblings-Eukalyptusbaum und verpennt das Gros des Tages. Wacht er auf und hat ausnahmsweise mal etwas anderes vor, als seine Schlafposition zu wechseln, streckt er bedächtig seine Arme aus, pflückt sorgfältig ein paar Blattbüschel, beschnuppert sie respektvoll und gönnt sich einige Bissen. Was kann sich ein Eukalyptusgewächs Schöneres wünschen, als seinem Beutelbärenfreund einen gemütlichen Schlafplatz anzubieten – kein anderer Baum darf sich mit diesen sympathischen Fellkugeln schmücken. Auch die Tiere, die den Eukalyptuswald bewohnen, sind ihrem Nachbarn mit der großen Nase und den flauschigen Ohren allesamt gutherzig zugetan.

Koala mit Kind | Die Koalamutter trägt ihr Kind, wenn es aus dem Beutel geschlüpft ist, noch fast ein Jahr auf dem Rücken mit sich herum.
Das ist natürlich kompletter Unsinn! Mit seinen Niedlichkeitswerten kann der Koalabär leider nur beim Menschen punkten – speziell bei den besonders empfänglichen Subpopulationen Kinder und Touristen. In freier Wildbahn stellen dem lebendigen Kuscheltier dagegen Dingos und Warane, Eulen und Adler oder auch große Schlangen nach. Und in der Nähe menschlicher Siedlungen drohen weitere Gefahren: Hunde, Autos und Pools – der Koalabär kann zwar ein wenig schwimmen, findet aber an den glatten Fliesen nicht genug Griff, um wieder heraus zu klettern. Armer Koala.

Aber vorsätzlich will der Mensch dem Maskottchen des fünften Kontinents doch nichts Böses, oder? Na ja. Die ersten europäischen Siedler schauten sich bei den Aborigines ab, wie leicht die Kletterbeutler zu fangen sind und erlegten sie zu Hunderttausenden, um die Pelze auf dem Weltmarkt feilzubieten. Das ging lange Zeit so weiter, bis die Tiere schließlich zu den bedrohten Arten gehörten. Die empörte Öffentlichkeit machte sich daraufhin erfolgreich für ihr Nationaltier stark: Seit 1937 steht der Koala in ganz Australien offiziell unter Schutz.

Zu den Maßnahmen zählte, Koalas auf der südaustralischen Känguru-Insel, in einer Bucht vor Adelaide, anzusiedeln. Dort sind sie eigentlich gar nicht heimisch, und es fehlen die natürlichen Feinde. Die Koalas, denen der alte Brehm "eine mehr als gewöhnliche Stumpfheit" unterstellte, machten sich keine großen Gedanken und begannen Eukalyptusblätter zu futtern, zu schlafen und – sich zu vermehren. Heute herrscht nun akute Überbevölkerung auf der Insel, die Eukalyptusbäume werden kahl und knapp, sodass vielen der inzwischen 30 000 Beutelbären der Hungertod droht – denn etwas anderes als Eukalyptus fressen die Tiere nun mal nicht. Was tun?

Bereits im vergangenen Jahr verschreckten ausgerechnet Naturschutzorganisationen mit der Forderung, einen Großteil der Koalas zu töten, um Baumbestand und Artenvielfalt auf der Insel zu erhalten. Schillernde Schlagzeilen über barbarische Koala-Schlachtungen und entsetzte Touristen vor Augen weigerten sich die Behörden aber, dem wenig zimperlichen Anliegen nachzukommen. Wo es bei dem anderen Wappentier – dem Känguru – kein Erbarmen gibt, kommt den Koalas dann doch ihr Possierlichkeitsfaktor zugute und bleibt ihnen somit die Dezimierung per Flinte erspart. Der Ministerpräsident von Südaustralien, Mike Rann, präsentiert jetzt eine Alternative: Man habe umgerechnet 2,4 Millionen Euro zusammen, um damit 8000 Weibchen der Beutler-Kolonie mit Verhütungsmitteln zu versorgen. Mal abwarten, ob den Koala-Damen die Anti-Baby-Pille schmeckt.

Für die überzähligen Koalas fänden sich in Kinderzimmern weltweit bestimmt genügend willige Abnehmer. Wenn da nicht das Problem wäre, dass die Tiere so spezielle Gourmets sind. In Deutschland leistet sich lediglich der Duisburger Zoo die Koala-Haltung und damit den Luxus, deren Leibgericht in der richtigen Mischung einfliegen zu lassen. Von den gut 600 Arten der Gattung Eucalyptus verschmäht der dickköpfige Herbivore die allermeisten. Denn auch wenn die Feinschmecker beim Anblick eines stattlichen Eukalyptus "Mein Freund der Baum" denken sollten – Gegenliebe erhalten sie nicht.

Der Eukalyptus – das in Australien dominierende Gehölz – gibt sich alle Mühe, den kuscheligen Besuchern den Appetit zu verderben. In seine Blätter lagert er giftige Stoffwechselprodukte ein, so genannte formylierte Phloroglukinol-Verbindungen oder kurz FPCs. Dass diese chemische Abwehr wirkt, belegen Experimente an in Gefangenschaft gehaltenen Koalas. Haben diese die Wahl zwischen verschieden stark FPC-haltigen Blättern, meiden sie diejenigen mit der höchsten Konzentration der widerlich schmeckenden Substanzen. Anders als in dieser Laborsituation bekommen die Tiere ihre Blätter in ihrem natürlichen Habitaten aber nicht auf dem Teller serviert.

Ben Moore von der James-Cook-Universität in Townsville vermutete, dass für Koalas in Freiheit auch andere Argumente zählen. Man kennt das ja – gelegentlich zieht man ein Restaurant mit einem tollen Ausblick vor und sieht dabei über die vergleichsweise miserable Küche hinweg. Die Forscher untersuchten daher zehn Jahre lang vor Ort, nach welchen Kriterien die Eukalyptusesser ihre Gaststätten – also ihre Bäume – aussuchen. Und wie sich zeigte ist ein niedriger Gift-Gehalt der Blätter nicht der ausschlaggebende Grund für einen Baumbesuch.

Die Tiere mieden zwar Pflanzen mit ausgesprochen konzentrierten FPC-Einlagerungen, viel wichtiger war ihnen indes, auf besonders hohe Bäume zu klettern. Ein Grund könnte sein, dass sie sich dort vor Räubern sicherer fühlen. Bei der Auswahl zwischen verschiedenen großen Bäumen wiederum unterschieden sie die lokale Chemie sehr wohl. Hier achteten sie neben möglichst delikaten – beziehungsweise wenig widerwärtigen – Blättern darauf, dass diese auch viel Stickstoff enthalten. Der ist nämlich in ihrer überaus strengen Vegetarierdiät Mangelware.

Ganz trüb im Kopf, wie Brehm meinte, können die Koalas also nicht sein – schließlich manövrieren sie sicher durch eine chemisch sehr komplexe räumliche Landschaft. "Es ist, als müssten sie zwischen tausend über die ganze Stadt verteilten Restaurants wählen – und das ohne Restaurantführer", kommentierte Moore seine Beobachtungen. Was für uns wie ein gewöhnliches Waldstück aussehe, sei für den Koala ein kompliziertes Mosaik gut und schlecht geeigneter Flecken, um dort zu fressen und dabei nicht gefressen zu werden.

Alles zusammen Grund genug, den Koala nicht nur putzig zu finden, sondern ihm auch Respekt für seine gar nicht so leichte Alltagsbewältigung zu zollen. Sein scheinbares Schlafwandeln hat also durchaus Methode. Hoffentlich begegnet er dabei nicht allzu oft den falschen Freunden, denn Stress vertragen die Beutelbären überhaupt nicht gut.

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