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News: Verborgene Talente

Das Herzstück des Blutfarbstoffes Hämoglobin sorgt offenbar nicht nur für schnellen Gasaustausch: Losgelöst von seinen Kernaufgaben greift es wohl auch schon mal in andere zelluläre Kompetenzen ein.
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In den körpereigenen Gas-Spediteuren – den roten Blutkörperchen, die Sauerstoff zu den Zellen und Kohlendioxid von ihnen abtransportieren – werkelt die komplizierte Technik des Transportmoleküls Hämoglobin. Hieran werden die einzelnen Gasmoleküle während ihrer Reise von und zur Lunge einerseits festgezurrt und sicher verstaut, sollten davon aber andererseits am Ziel auch möglichst leicht wieder freigesetzt werden können. Dieses Kunststück gewährleistet das hochspezialisierte Kernstück des Hämoglobins, die Hämgruppe – ein symmetrisches Ringgerüst aus Kohlenstoff mit einem zentralen Metallatom.

Ein Häm-Molekül zu konstruieren und einzubauen, verlangt eine Reihe spezialisierter Enzyme und einiges an zellulärem Aufwand. Stabil ist das Endprodukt dennoch nicht gerade: Weitere Anstrengung ist nötig, um freigesetzte Häm-Gruppen wieder einzufangen, deren fragile Verbindung zum Hämoglobin unbeabsichtigt verloren ging. Gerade bei äußeren Verletzungen von Zellen oder bei akuter Sauerstoffunterversorgung wird Häm oft massenhaft aus Hämoglobin buchstäblich herausgeschlagen. Dies überfordert gelegentlich das Häm-Recyclingsystem: Freies Häm, das langsam zerfällt, sorgt dann bestenfalls etwa für die Farbe von blauen Flecken. Oder, in schwerwiegenden Fällen, für Hämolyse und gravierende Traumafolgen.

Wie auch immer in derartigen Fällen Häm im einzelnen wirkt, kaum ein Forscher rechnete jedenfalls damit, dass es schädliche Folgen ohne die unterstützende Wirkung fehlgeleiteter Enzyme auslösen könnte. Ein Wissenschaftlerteam um Xiang Dong Tang von der University of Pennsylvania war daher sehr überrascht, als bei ihren Studien deutlich wurde, dass freies Häm sich völlig selbstständig an eine spezielle Variante von zellmembrandurchspannenden Ionenkanälen, die so genannten calciumabhängigen Slo1-BK-Kanäle, bindet und deren Funktion dadurch hemmt. Verantwortlich für die überraschende Affinität des Häms ist ein Protein-Bauabschnitt am Ionenkanal, der nahezu identisch mit Häm-bindenden Regionen von Hämoglobin-Synthese-Enzymen ist.

Slo1-BK-Kanäle, recht häufig in vielen Zellen des Körpers, sind generell dafür verantwortlich, Kaliumionen aus Zellen herauszutransportieren. Damit besorgen sie etwa in den Zellen glatter Muskulatur eine Entspannung des Muskels oder unterstützen in Nervenzellen eine Reizweiterleitung. Blockiert, etwa durch Häm, fallen diese System aus: Nervenzellen sterben wegen einer unverhältnismäßig hohen Ionenkonzentration ab, Blutgefäße ziehen sich zusammen. So führt beispielsweise ein Herzinfarkt zu einem ein fatalen Zusammenspiel: Das Schlagtrauma setzt Häm aus Hämoglobin frei, dieses blockiert die Slo1-BK-Kanäle und kontrahiert die lokalen Gefäße, wo sie sich aus Sicht von Medizinern eigentlich zur Schadensminimierung weiten sollten.

Die unerwartete Rolle freien Häms bei Traumata erklärt nun mit einem Schlag auch die Bedeutung des Medikaments NS1619: Dies wurde bei schwerwiegenden Verletzungen etwa von Notfallmedizinern eingesetzt, um calciumabhängige Ionenkanäle geöffnet zu halten und die oben genannten negativen Folgen zu minimieren. Nötig wird NS1619 nun demnach durch traumabedingt freigesetztes Häm, welches die Kanäle überhaupt erst dicht macht.

Ob Häm allerdings nun präventiv geblockt werden sollte, ist eine andere Frage: Vielleicht erfüllt das Molekül als Botenstoff ja auch eine eigentlich durchaus nützliche Regulationsfunktion. Stefan Heinemann von der Universität Jena, der an der Häm-Studie mitgearbeitet hatte, spekuliert beispielsweise darüber, ob Häm nicht theoretisch etwa als Gassensor fungieren könnte – der unterhalb einer bestimmten Schwellenkonzentration frei wird und damit beispielsweise noch unerkanntes Systeme sinnvoll aktivieren könnte. Vielseitig genug scheint der als Spezialist verkannte Gastransporteur Häm jedenfalls zu sein.

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