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News: Vereine im vereinigten Deutschland

Wenn drei Deutsche zusammen kommen, gründen sie einen Verein. Das war auch im geteilten Deutschland auf beiden Seiten des eisernen Vorhanges der Fall. Die unterschiedlichen Gesellschaftssysteme führten jedoch zu einem unterschiedlichen Vereinsleben, die sich noch heute - zehn Jahre nach der Einheit - fortsetzen.
Freizeit in der DDR war staatlich organisiert. Die Angebote wurden zumeist vom Betrieb aus arrangiert, dem dichten Netz des Staates ließ sich nur schwer entkommen. Die Vorgaben von oben verhinderten, dass sich wie in der Bundesrepublik ein dichtes Geflecht von selbstorganisierten Gruppen und Vereinen bildete. Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten des Vereinslebens im geteilten und wiedervereinigten Deutschland untersucht das Institut für Sportkultur und Weiterbildung (ISW) der Universität Münster.

"Totalitäre Systeme kennen Vereine nicht", sagt der geschäftsführender Direktor des Instituts Dieter Jütting. Vielmehr könnten Vereine nur in einer liberalen demokratischen Zivilgesellschaft gedeihen. Noch heute, zehn Jahre nach der Wiedervereinigung, finden sich Spuren der vergangenen 40 Jahre in der Vereinsstruktur. "Erstmal gibt es in Ostdeutschland immer noch eine sehr viel dünnere Vereinslandschaft als in Westdeutschland", weiß Johannes Weinberg, Emeritus des Fachbereichs Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung. An die Stelle von Vereinen traten in der DDR selbstorganisierte "Clübchen". Sie waren allgemein bekannte und beliebte Treffs außerhalb der bestehenden staatlichen Organisationen, in denen sich die Mitglieder trafen, um zu singen, Sport zu treiben oder sich mit Heimatgeschichte zu beschäftigen. Zum Teil existieren diese Clübchen heute noch, der andere Teil ist in Vereine umgegründet worden, berichtet Weinberg.

Die informellen Gruppen hatten und haben verschiedene Wirkungen. Zum einen ermöglichen sie es ihren Mitgliedern, ihren persönlichen Neigungen nachzugehen. Ein DDR-typisches Beispiel dafür sind Sportarten wie Karate, die offiziell nicht unterstützt, aber auf privater Ebene trotzdem ausgeübt wurden. Darüber hinaus bereicherten sie die Gesellschaft, weil sie dem Staat soziale oder kulturelle Aufgaben abnahmen.

Dabei gibt es in Ost und West unterschiedliche Gründe, sich im ehrenamtlichen Bereich einzusetzen. Im Westen Deutschlands engagieren sich die Menschen in Vereinen zusätzlich zu ihrer normalen Lebensführung, sei es nun bei der Arbeit oder im sozialen Umfeld – im Osten Deutschlands dient das ehrenamtliche Engagement als Ersatz für Erwerbsarbeit, erläutert Jütting. "Durch die Arbeit in Vereinen können Kompetenzen erhalten werden, die auch für die Erwerbsarbeit wichtig sind", meint Weinberg. Dabei nimmt der Anteil derer, die sich ehrenamtlich betätigen, weiter zu. "Jährlich treten immer mehr Menschen in Vereine ein", so Jütting. Täglich werden zwei bis drei neue Vereine in Deutschland gegründet. Viele Vereine in den neuen Bundesländern sind als Selbsthilfeinitiativen entstanden, die durch die Rechtsform "Verein" die Möglichkeit haben, Spenden und öffentliche Mittel zu sammeln. Ein ostdeutsches Spezifikum sind Sozialhilfevereine, die kulturelle Angebote für arbeitslose Jugendliche und für Erwachsene anbieten. Entstanden sind sie aus dem Zusammenbruch der staatlich organisierten Kulturhäuser, in denen sich die DDR-Clübchen treffen konnten. Durch den politischen Systemwechsel hat sich eine "Umnutzung der Gebäude" ergeben. Die Geschichte spiegelt sich auch in der Gewichtung innerhalb der Vereinslandschaft wider: Während im Westen Sportvereine dominieren, machen im Osten vor allem Sozialhilfe- oder kulturelle Vereine den Hauptanteil an Vereinen aus.

Die ostdeutschen Vereinsfrauen sind in Führungspositionen stark vertreten. "Das ist diametral anders als in Westdeutschland, denn die Führungspositionen dort sind vor allem von alten Männern besetzt", betont Weinberg. Eine Studie des Instituts bestätigt, dass der Frauenanteil in der Führungsriege der Vereine der Region Borken und Gronau nur ein Drittel beträgt. "Frauen in Vorstandsfunktionen sind erheblich unterrepräsentiert", bedauert Jütting. Unter den Vereinsaktivisten im Osten befinden sich erstaunlich wenig Arbeitslose. Dies überrascht angesichts der strukturell bedingten Massenarbeitslosigkeit, doch das mag, so vermutet Weinberg, daran liegen, dass vor allem Männer die Vorstellung hätten, nur Erwerbsarbeit lohne sich.

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