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Astrophysik: Was am Hype um Beteigeuze wirklich dran ist

Steht im Sternbild Orion, in unserer kosmischen Nachbarschaft, eine Supernova bevor? Experten halten eher ein anderes Szenario für wahrscheinlich.
Der Riesenstern Beteigeuze im Orion

Es wäre die Mutter aller Himmelsspektakel: Beteigeuze im Sternbild Orion, normalerweise einer der markantesten Sterne des Himmels, würde zur Supernova. Hell wie der Vollmond, würde die Sternexplosion die Nacht merklich aufhellen, tagelang. Für Laien wäre es ein beeindruckendes Naturphänomen, für Astronomen ein Jahrhundertereignis: In gerade einmal 650 Lichtjahren Entfernung wäre die Explosion die nächstgelegene je beobachtete Supernova und die erste in unserer Milchstraße seit mehr als 400 Jahren.

Auslöser der Spekulationen ist eine ungewöhnliche Verdunklung Beteigeuzes, der die linke Schulter des Orions bildet. Normalerweise unter den zehn hellsten Sternen des Himmels, ist er zwischen Oktober und Dezember 2019 auf Platz 21 abgerutscht. Seitdem hat sich der Trend fortgesetzt: Heute erreicht Beteigeuze nur noch 25 Prozent seiner sonst üblichen Leuchtkraft. Es ist der steilste Helligkeitsverlust seit Beginn der systematischen Beobachtungen vor rund 50 Jahren.

Kurz vor der Supernova?

Auf den ersten Blick erscheint ein baldiger Sternentod durchaus plausibel: Beteigeuze befindet sich zweifellos in den letzten Zügen seiner Existenz; früher oder später wird der rote Riesenstern sämtliche Heliumatomkerne in seinem Inneren zu Kohlenstoff verschmolzen haben – und dann wird sein Kern in sich zusammenfallen und eine Supernova vom Typ II auslösen.

Doch passiert dies wirklich schon in naher Zukunft, in ein paar Monaten oder Jahren? Experten halten ein anderes Szenario für deutlich wahrscheinlicher: Beteigeuze könnte noch viele tausend Jahre strahlen, die aktuelle Verdunklung wäre dann nur eine zufällige Überlagerung der Minima mehrerer gewöhnlicher Helligkeitszyklen. Aber ein Restzweifel bleibt – was auch an der Beobachtungsgeschichte des Riesensterns liegt.

Sternbild Orion | Beteigeuze bildet die linke Schulter des Orions (oranger Stern links). Er ist normalerweise deutlich heller – aktuell, im Januar 2020, kommt er nur auf eine Helligkeit von 1,5 mag.

Seit Jahrzehnten untersuchen Astronomen ihn intensiv; man könnte meinen, dass seine Eigenschaften besonders gut verstanden seien. Doch das Gegenteil ist der Fall – und schuld daran ist paradoxerweise seine relative Nähe kombiniert mit seiner enormen Größe. Stünde Beteigeuze an Stelle der Sonne im Zentrum unseres Planetensystems, würde er fast bis an die Bahn des Jupiters reichen.

Am irdischen Himmel erscheint er unter einem Winkel von rund 50 tausendstel Bogensekunden. Damit ist der Stern so groß, dass das Weltraumteleskop Hubble, das Very Large Telescope (VLT) oder das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) ihn als kleine Scheibe erkennen. Am Himmel ist sie allerdings größer als die jährliche Parallaxe – die scheinbare Verschiebung der Position, an der Beteigeuze von entgegengesetzten Punkten der Erdbahn am Firmament steht.

Das führt dazu, dass Experten unsere Distanz zu dem Roten Riesen nur grob abschätzen können: Er könnte statt 650 auch nur 500 oder aber 800 Lichtjahre entfernt sein. Doch praktisch alle wichtigen Parameter des Sterns, etwa seine wahre Größe, seine Leuchtkraft und seine Masse, leiten sich aus der Entfernung ab. Deren Ungenauigkeiten pflanzt sich also entsprechend fort, was gesicherte Aussagen über Beteigeuze sehr schwierig macht. Das gilt auch für den Punkt, den der Stern in seiner Evolution bisher erreicht hat.

100 000 Jahre bis zum großen Knall

Immerhin gibt es Indizien für den aktuellen Entwicklungsstand: Laut umfangreichen Computersimulationen aus dem Jahr 2016 sollte sich Beteigeuze gegenwärtig am Beginn seiner Heliumbrennphase befinden: Wasserstoff, der primäre Brennstoff der Sterne, ist im Kern bereits ausgegangen und wird nur noch in einer Schale um den Kern weiter zu Helium fusioniert. Das Heliumbrennen könnte demnach noch hunderttausende Jahre andauern.

Erst wenn auch das Helium im Kern aufgebraucht ist, kommt Beteigeuze seinem Ende wirklich nah. Das anschließende Kohlenstoffbrennen sollte etwa 1000 Jahre, das darauf folgende Neon- und Sauerstoffbrennen nur ein Jahr dauern, das Siliziumbrennen etwa einen Tag. Die genauen Zeiten hängen unter anderem von der Menge der Brennstoffe und deren Durchmischung ab, die unbekannt sind.

Wenn sich anschließend nur noch Eisen im Kern befindet, geht es steil bergab: Das Metall lässt sich nicht mehr unter Energiegewinn zu noch schwereren Elementen fusionieren, weshalb die Schwerkraft die Oberhand gewinnt: Der Kern des Sterns kollabiert in Sekundenbruchteilen zu einem nur 10 bis 20 Kilometer großen Neutronenstern und sendet dabei Gravitationswellen sowie Unmengen an Neutrinos aus. Die darüberliegenden Schichten verlieren den Boden unter sich und stürzen auf den Neutronenstern, an dessen Oberfläche sie wie an einer undurchdringlichen Wand abprallen und als gewaltige Stoßwelle nach außen strömen – der Beginn der Supernova.

Nathan Smith von der University of Arizona, ein Experte für diese Phase im Leben von Sternen, warnt davor, derartigen Simulationen allzu viel Gewicht einzuräumen: »Solche Modelle helfen, die stellare Entwicklung zu verstehen, aber sie basieren auf vielen ungewissen Eingangsdaten, Parametern und physikalischen Prozessen, die sich als falsch erweisen können. Sie eignen sich daher nicht für Vorhersagen.«

Aus diesem Grund ist er sich nicht sicher, ob Beteigeuze noch viele Jahre am Firmament leuchten wird oder vor dem baldigen Ende steht. Spekulationen, dass eine Supernova bevorsteht, bezeichnet er allerdings als »Wunschdenken«. »Wir wissen einfach noch zu wenig, um sicher sagen zu können, in welcher Brennphase ein Stern wie Beteigeuze ist«, sagt Smith. »Deshalb kann ich auch nicht die Möglichkeit ausschließen, dass Beteigeuze morgen explodiert oder erst in 200 000 Jahren.«

Beteigeuze | Aufsuchkarte von Beteigeuze im Sternbild Orion

Insgesamt sei es jedoch unwahrscheinlich, dass die gegenwärtige Verdunklung ein Anzeichen auf eine baldige Explosion ist – denn es gibt eine andere, weit weniger spektakuläre Erklärung. Das sieht auch Dan Milisavljevic von der Purdue University im US-Bundesstaat Indiana ähnlich: »Normalerweise würde man von Sternen vor einer Explosion eine dramatische Zunahme ihrer Leuchtkraft erwarten – und keine Verdunklung wie derzeit bei Beteigeuze.«

Rätselhafte Sternatmosphäre

Die Experten halten es für sehr viel plausibler, dass die Ursachen der gegenwärtigen Verdunklung nicht im Kern, sondern in der extrem ausgedehnten Atmosphäre des Sterns liegen. Diese unterscheidet sich deutlich von der eines sonnenähnlichen Sterns: Die schätzungsweise 20 Sonnenmassen von Beteigeuze verteilen sich auf ein Volumen, das mindestens dem Milliardenfachen des Sonnenvolumens entspricht. Insbesondere in den äußeren Bereichen des Sterns ist die Materie also stark verdünnt. Die Form des Sterns ist daher nicht mehr kugelrund, sondern unregelmäßig und instabil – was natürlich auch die Leuchtkraft beeinflusst.

Hochauflösende Teleskopbilder zeigen zum Beispiel zeitlich variable »Hot Spots«: Regionen mit erhöhter Leuchtkraft, die offenbar auf aufsteigende Gasmassen zurückgehen. Die Flecken machen einen signifikanten Teil der sichtbaren Sternoberfläche aus, und mit ihrer Anzahl schwankt die Helligkeit des Sterns.

Dazu gesellen sich noch andere, langfristige Helligkeitszyklen. So haben Astrophysiker in den Messdaten der vergangenen Jahrzehnte eine dominante Periode mit einer Dauer von 400 bis 430 Tagen identifiziert, die von weniger ausgeprägten, kürzeren Perioden von 100 bis 300 Tagen Dauer überlagert wird. Ein weiterer markanter Helligkeitszyklus dauert fünfeinhalb bis sieben Jahre. Die Ursachen dieser Schwankungen sind ungeklärt, es scheint sich um andere Mechanismen zu handeln als die von anderen bekannten Riesensternen, die regelmäßig ihren Durchmesser verändern und deshalb immer wieder unterschiedlich hell erscheinen.

Doch unabhängig davon, woher die Zyklen kommen – nach Einschätzung von Fachleuten können sie die gegenwärtige Schwächephase erklären. »In den letzten vier Jahren hat Beteigeuzes scheinbare Helligkeit langsam abgenommen, in Übereinstimmung mit seinem 5,5- bis 7,0-Jahres-Zyklus«, sagt Guinan. Zusätzlich dazu gebe es Indizien, dass er momentan auch das Minimum seiner 400- bis 430-Tages-Periode durchläuft, wobei letztere zudem tiefer auszufallen scheint als normalerweise.

Beteigeuzes derzeitige Schwäche wäre in diesem Fall also bloß ein Zufall, der nichts mit einer bevorstehenden Supernova zu tun hat. Stimmt dies, dann sollte sich Orions lädierte Schulter über die nächsten Monate wieder erholen und der Stern seine gewohnte Helligkeit wiedererlangen. Erst wenn das nicht geschehe, bestehe Grund zur Aufregung, findet Guinan. Sonst explodiert Beteigeuze vermutlich lange nach anderen Roten Riesen in der Milchstraße – denn der Stern im Orion ist längst nicht der einzige Gigant am Rand zum Kollaps.

Eine Absage erteilen Fachleute auch der Theorie, ein jüngst aufgespürtes Gravitationswellensignal stamme von Beteigeuze und läute dessen Niedergang ein. Zwar hat das Observatorium LIGO Hinweise auf ein Raumzeitbeben aus der groben Himmelsrichtung von Beteigeuze aufgespürt. Dieses könnte aber einerseits auf eine zufällige Störung im Detektor zurückgehen. Andererseits liegt der Rote Riese etwas außerhalb der Regionen, aus denen das Signal gekommen sein könnte. Zu guter Letzt würde man im Fall einer bevorstehenden Supernova große Mengen Neutrinos erwarten, die etwa der Südpoldetektor IceCube auffangen würde. Da diese bisher ausgeblieben sind, gehören auch sämtliche Vermutungen zu Gravitationswellen von Beteigeuze in den Bereich des Wunschdenkens.

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