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Rutsch-Rätsel: Zäher Film macht Eis glatt

Der Wasserfilm, der mutmaßlich Schlittschuhe auf Eis gleiten lässt, existiert wirklich. Aber er ist laut neuen Experimenten wohl ganz anders als gedacht.
Zwei Schlittschuhe - mutmaßlich mit einer Person darin - auf einer geringfügig zerkratzten Eisoberfläche.

Mit einer neuen Technik will eine Arbeitsgruppe nun das Rätsel gelöst haben, warum Eis so glatt ist. Wie ein Team um Lydéric Bocquet von der Sorbonne Université berichtet, fand es bei den Messungen einen Film vor, der mit wenigen hundert Nanometern weit dünner ist, als theoretische Modelle vorhersagen. Außerdem ist die Grenzschicht zäh wie Öl und zeigt eine bisher bei Wasser noch nicht beobachtete Eigenschaft namens Scherentzähung. Wie die Arbeitsgruppe in »Physical Review X« berichtet, maß sie die Eigenschaften der Grenzfläche zwischen Eis und Wasser mit einem Stimmgabel-Rasterkraftmikroskop, an dem eine millimetergroße Glaskugel über eine Eisoberfläche streicht. Über die veränderten Schwingungseigenschaften, so die Arbeitsgruppe, lassen sich Aussagen ableiten, zum Beispiel, wie dick die entstehende Wasserschicht ist und welche Eigenschaften sie hat. Demnach ist sie am Gefrierpunkt lediglich etwa 400 Nanometer dick, bei -15 Grad Celsius sogar nur etwas über 100 Nanometer; außerdem ist sie je nach Bedingungen über 30-fach zäher als unterkühltes Wasser.

Warum Eis rutschig ist, darüber streiten Fachleute bis heute. Als beste Erklärung gilt ein Wasserfilm, der sich bildet, wenn Eis durch Reibung und Druck schmilzt. Doch dessen Existenz haben verschiedene Forschungsteams immer wieder in Frage gestellt – nicht zuletzt, weil flüssiges Wasser ein denkbar schlechtes Schmiermittel ist, wie man leicht selbst überprüfen kann. Bocquet und seine Kollegen interpretieren die ungewöhnlichen Eigenschaften des von ihnen gemessenen Wasserfilms als Indiz dafür, dass der Film nicht komplett geschmolzen, sondern eine Mischung aus Wasser und Eiskristallen ist. Ein wichtiger Hinweis darauf, dass es sich tatsächlich um eine komplexe Flüssigkeit handelt, in der zwei verschiedene Phasen gemeinsam existieren, ist die Scherentzähung: Je schneller sich der Ball übers Eis bewegte, desto weniger zäh wurde der Film. Damit ist die Grenzschicht ein nichtnewtonsches Fluid – wie eine Mischung aus Wasser und Stärke, die durch Krafteinwirkung zäher wird, nur eben umgekehrt.

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