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Das Ende des Ölzeitalters

Dem jungen Markus Westermann gelingt es, für ein halbes Jahr an einem Softwareprojekt in den USA mitzuarbeiten. Mit ungewöhnlichem Ehrgeiz geht er daran, sich derart zu profilieren, dass er in diesem Land bleiben kann, in dem er seinen Traum verwirklichen will, und nennt sich nun Mark Westman. Beinahe läuft alles perfekt.

Als aber sein Vertrag nicht verlängert wird und er eigentlich wieder heimreisen muss, läuft ihm ein Mann über den Weg, der verspricht, die Menschheit auch für die nächsten tausend Jahre mit Erdöl versorgen zu können. Markus glaubt ihm! Mit einer großen Menge Fremdkapital gründen sie ein sehr hoffnungsvolles Start-Up-Unternehmen, während zur selben Zeit das größte arabische Erdölfeld zusammenzubrechen und mit einem Domino-Effekt die Versorgungssicherheit der Zivilisation in den Abgrund zu reißen droht…

So weit die Rückschau. Andererseits beginnt der Roman damit, dass Markus in der Gegenwart einen dramatischen Unfall erleidet, der ihn für entscheidende Wochen aus dem Gefecht zieht. Obendrein hat er die CIA und eine Milliardenklage am Hals, zuvor hat er sich von seiner Verlobten getrennt, und anscheinend geht alles so unendlich schief, wie man es sich nur denken kann.

Ein genialer Plot, brennende Aktualität, ein rasanter Anfang, und Kapitel für Kapitel eine Spannungssteigerung, so kennt man Eschbach. Kann er das durchhalten?

Der erste Teil des Buchs gewinnt seine Spannung dadurch, dass er gekonnt mit Rückschauen spielt und ein Schreckensszenario aufbaut. Einen Teil des Potenzials verschenkt der Autor, indem er mit zu vielen Nebenhandlungssträngen den roten Faden zerfasern lässt. Der Eschbach-Kenner weiß, dass sie zuletzt zu einem eleganten Gesamtkunstwerk verflochten werden – aber derweil drohen die Hauptperson und ihre Geschichte aus dem Blick zu geraten.

Der zweite Teil des Buchs beschreibt die Handlung von nun an chronologisch – doch der "Day After", das Ende allen billigen Erdöls, ist da irgendwie schon vorbei und die Welt hektisch damit beschäftigt, sich mit den ständig steigenden Treibstoffpreisen zu arrangieren, mit neuen, aus heutiger Sicht erschreckenden politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen. In dieser Situation sucht Markus nach einem Ex-CIA-Agenten und einer Erfindung aus der Vergangenheit, die für die Zukunft wichtig sein könnte.

Eine der Stärken Eschbachs ist seine Sprache, die immer wieder gekämmt ist, bis sie sämtliche Fallen, die das Deutsche seinen Benutzern stellt, umgangen, alle barocken Schnörkel abgeschliffen hat und bewundernswert, beinahe angloamerikanisch klar erscheint, ohne dabei simpel zu wirken. Seine andere Stärke ist, absolut realistisch zu schreiben. Jeder Charakter, auch wenn er einem fernen Kulturkreis entstammt, entgeht glaubwürdig jedem Klischee. Zudem sind alle technischen und wissenschaftlichen Kleinigkeiten verblüffend exakt recherchiert. Wenn ich selbst nicht schon Bohrungen geleitet hätte, wären mir beispielsweise winzige, nicht handlungsrelevante Unstimmigkeiten nicht aufgefallen.

Allerdings kann Eschbach die Wucht hinter seiner Konstruktion nur für das erste Viertel des Buchs durchhalten. Vor allem im zweiten Teil kann er sich dabei oft nicht entscheiden, ob er einen Thriller schreiben will, bei dem das Schicksal der Welt auf der Kippe steht, oder eine wissenschaftliche Abschlussarbeit über die drohenden Konsequenzen der Ausbeutung von Ressourcen. Stattdessen flüchtet er sich gelegentlich in die Beschreibung des trivialen Alltags jener, die tatsächlich seine alltäglichen Leser sein könnten. Glanz und Gloria weichen, es gibt eben keine Superhelden, und selbst fünf Euro oder mehr für einen Liter Benzin werden irgendwann normal. Mit dieser Gewissheit, einigen guten Zufällen zu viel und der Annäherung an die Realität beruhigt sich auch der Rausch an der Erzählung, leider zu früh.

Und das Ende der Welt, wie wir sie kennen? Es mag zu einem anderen Zeitpunkt kommen, weniger forsch, wahrscheinlich deutlich langsamer als beschrieben, und es mag ein Zeitalter voll Unglück und verborgener Helden werden. Eschbachs Version ist durchdacht, erscheint jederzeit möglich und wirkt dadurch beklemmend.

Dieses Buch wäre um ein Drittel gekürzt noch besser gewesen. Aber es ist ein aktueller, empfehlenswerter Wissenschaftsroman vom Schlage Crichton oder Schätzing, den man mit Gewinn lesen kann.

Andreas Eschbach, geboren 1959 in Ulm, verarbeitet in diesem Thriller einen Teil seiner eigenen Erfahrungen: Bevor er 2003 in die Bretagne zog, lebte er 25 Jahre in Stuttgart und war Geschäftsführer einer EDV-Beratungsfirma. Seine schriftstellerische Karriere begann 1995 mit dem inzwischen zum Welterfolg gewordenen Buch "Die Haarteppichknüpfer", in dem er den Leser in packende fremde Welten entführt. Während seine nachfolgenden Bücher – unter anderem "Das Jesus-Video" – noch mit Elementen der Sciencefiction oder Fantasy versetzt waren, darunter auch die Jugendbuchreihe "Das Marsprojekt" (Eschbach hat auch Luftund Raumfahrttechnik studiert), wandte er sich danach hauptsächlich dem Mainstream und damit dem Hier und Jetzt zu.

Während sein Stil immer internationaler wird, werden seine Werke immer erfassbarer. Perfekt konstruierte Handlung, zahlreiche überraschende Wendungen, neue Blickwinkel auf aktuelles Weltgeschehen und interessantes Hintergrundwissen sind verantwortlich dafür, dass seine Bücher in der "Spiegel"-Bestsellerliste immer weiter nach oben klettern. Aber mir persönlich fehlt vor allem an diesem Buch das allerletzte Quäntchen an Verrücktheit. Eschbachs Charaktere verhalten sich zu brav und rational und immer entsprechend ihrer Rolle. Im wahren Leben dagegen sind Menschen gerne mal exaltiert, politisch unkorrekt, reagieren unvorhergesehen oder mäkeln selbst an wirklich guten Büchern.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 2/2008

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