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Im Datengefängnis?

Wie sehr Algorithmen mittlerweile unser Leben steuern, haben wir schon lange nicht mehr im Blick – geschweige denn unter Kontrolle.

Kennen Sie das? Sie haben sich in einem Onlineshop ein Produkt angesehen, und seitdem erscheinen auf Ihrem Bildschirm ständig Werbeanzeigen verwandter Artikel. Sie öffnen einen Stadtplan auf Google Maps – und schon ist darin vermerkt, wo Ihre Freunde wohnen. Immer mehr verlieren wir den Überblick, welche Informationen Facebook, Google & Co. über uns speichern und was die Konzerne mit diesen Daten tun. Immer stärker wird das ungute Gefühl, nicht mehr zu wissen, geschweige denn beeinflussen zu können, wo überall wir unter digitaler Beobachtung stehen.

In diesem Buch zeigt der Journalist und »Spektrum«-Kolumnist Adrian Lobe, dass die Digitalisierung enorme Folgen für die Gesellschaft hat. Hierfür beleuchtet er, auf welchen Feldern derzeit Technologien zur Datensammlung eingesetzt werden, und hinterfragt, wie dies unser Verhalten beeinflusst und Machtverhältnisse verschiebt.

Dem Verbot überlegen

Wie aus dem Werk hervorgeht, halten wir uns beispielsweise genauer an Vorschriften, wenn wir uns beobachtet fühlen. Oft lässt uns die Technik auch gar keine andere Wahl mehr, denn Algorithmen wirken häufig viel effektiver als Verbote. Wer braucht beispielsweise Gesetze zum Alkoholkonsum am Steuer, wenn elektronische Sperren das Autofahren unter Alkoholeinfluss viel wirksamer verhindern? Sie geben das Fahrzeug erst frei, wenn ein eingebauter Atemtest belegt hat, dass der Fahrer nüchtern ist.

Sollte doch jemand gegen geltendes Recht verstoßen, können GPS-, Herzfrequenz- und andere Daten von Verdächtigen deren Alibi entkräften oder untermauern. In diesen Fällen profitiert die Gesellschaft davon, dass smarte Geräte unser Leben immer lückenloser dokumentieren und ihre Daten immer leichter verfügbar sind. Trotzdem bewertet Lobe den zunehmenden Einsatz digitaler Technologien durchweg negativ. Durch sein Buch zieht sich wie ein roter Faden das Bild des Datengefängnisses, das besonders deutlich wird am Beispiel so genannter Fitnesstracker, die ihre Nutzer mit Elektroschocks malträtieren, falls diese ihren Trainingsplan nicht einhalten. Erschreckend ist, in welchem Ausmaß autoritäre Staaten schon heute auf Schritt und Tritt verfolgen können, was ihre Bürger tun, indem sie Überwachungskameras und digitale Gesichtserkennung einsetzen.

Der Autor beschreibt diverse Patente, die derzeit noch in den Schubladen von Amazon, Facebook oder Google schlummern. Damit gewährt er den Blick in eine Zukunft, die noch wesentlich stärker von Daten und Algorithmen gesteuert sein wird, als dies heute der Fall ist. So könnte Facebook künftig als automatische Partnervermittlung agieren, indem es eigentätig feststellt, wer auf der derselben Party war wie wir, und uns diese Personen ungefragt als Kontakte vorschlägt. Im »Smart Home« von Google könnte uns der »Household Policy Manager« umgehend ermahnen, sobald wir eine Zigarette anzünden oder ein Gläschen Schnaps trinken. Und am Wahlsonntag könnten Sprachassistenten wie Alexa uns treffsicher vorschlagen, wo wir unser Kreuzchen machen sollen, denn basierend auf unserem Onlineverhalten kennen die Algorithmen unsere politischen Präferenzen schon lange (und oft besser als wir selbst). Spätestens dies wäre das Ende der Demokratie, wie wir sie kennen.

Bei seinen Analysen beruft sich der Autor häufig auf die Schriften und Vorträge des Philosophen Michel Foucault (1926-1984). Dieser hatte schon vor Jahrzehnten prophezeit, dass sich die zunehmende Verfügbarkeit statistischer Daten negativ auf die Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft auswirken wird. Dementsprechend fokussiert Lobes Buch eher auf die gesellschaftlichen als auf die technischen Aspekte des Themas.

Lobe bewegt sich auf sprachlich hohem Niveau, setzt beispielsweise Fremdworte wie »panoptisch« als bekannt voraus, was die Lektüre stellenweise etwas fordernd macht. Wer damit kein Problem hat, kann sich an vielen eleganten Formulierungen erfreuen, etwa der Alliteration der »defekten digitalen Demokratie«. Angesichts dessen verwundert es nicht, dass der Autor für seine journalistischen Beiträge bereits mehrfach Preise erhalten hat.

Die Lektüre lohnt sich für alle, die sich für die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung interessieren. Allerdings wird gewiss nicht jede(r) zu derart negativen Schlüssen kommen wie Lobe. Schließlich lassen sich die gesammelten Daten oft auch zum Wohl der Allgemeinheit einsetzen – etwa bei der bereits erwähnten Aufklärung von Verbrechen. Außerdem haben wir zumindest hinsichtlich des eigenen Konsumverhaltens die Wahl: Wir können beispielsweise Produkte meiden, deren Nutzung mit dem Speichern persönlicher Informationen einhergeht, oder digitale Dienste wie die GPS-Ortung des Smartphones deaktivieren. Auf diese Weise lässt sich eventuell zumindest das Ausmaß einschränken, in dem Daten verarbeitende Konzerne unsere Entscheidungen beeinflussen. Der Autor geht auf solche Optionen nicht ein – vielleicht weil sie ihm zu selbstverständlich erscheinen.

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