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Gleich, gleicher, Mann und Frau

Typisch Frau! Typisch Mann! Mal ehrlich: Das haben wir alle schon einmal gedacht. Und deshalb versuchen Bestsellerautoren mit populärwissenschaftlichen Büchern wie "Warum Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können" gängige Geschlechter­stereotype zu belegen. Ihr Kredo lautet: Männliche Gehirne ticken einfach anders als weibliche.

Völliger Humbug, findet die australische Psychologin und Neurowissenschaftlerin Cordelia Fine. Mit diesem Buch setzt sie ein Statement gegen die Stereotype und ihre viel zitierten neurobiologischen Grundlagen. Das Problem liegt für sie auf der Hand: "Wenn sie einmal die Öffentlichkeit erreicht haben, werden diese Pseudofakten über das männliche und weibliche Gehirn zu Bestandteilen der Kultur."

Tatsächlich aber weisen die Studien, auf die sich diese Bücher stützen, laut Fine eklatante methodische Mängel auf. Befunde werden aus dem Kontext gerissen, vergleichende Hirnscans fehl- oder überinterpretiert, und von Tierstudien wird vorschnell auf Geschlechtervorlieben beim Menschen geschlossen. Dass Frauen angeblich allein auf Grund ihrer Hirnstrukturen anhänglichere, sensiblere und mitfühlendere Wesen sind als Männer, hat mit der wissenschaftlichen Realität folglich wenig zu tun.

Präzise, sprachgewandt und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, rollt die Autorin die Gender-Fallen wieder auf. Und sie zeigt, wie vor allem das soziale Umfeld und dessen Einfluss auf unser im­plizites Denken Geschlechterunterschie­de zum Vorschein bringen. Demnach unterscheiden sich Frauen und Männer zum Beispiel weniger in ihrer Empathiefähigkeit als darin, "wie empathisch sie anderen gegenüber erscheinen wollen".

Altbekannten Erkenntnissen trägt Fine ebenso Rechnung wie dem neuesten Stand der Wissenschaft. Die Fakten würzt sie mit historischen Anekdoten und Alltagsszenen und enttarnt süffisant vielerlei Denkfehler. Zum Beispiel, wenn Wissenschaftler berichten, Meerkatzenweibchen würden länger mit Plastikpfannen spielen als ihre männlichen Artgenossen, und daraus auf eine biologische Vorliebe für Mädchenspielzeug schließen. Prim­a­tenforscher entdecken an den Affen­damen zwar immer neue Fähigkeiten. "Doch gehörte die Kunst der Speisen­zubereitung unter Verwendung von Hitze bislang noch nicht dazu."

Ebenso wenig will die Autorin glauben, dass höhere Testosteronwerte im Fruchtwasser schon bei neugeborenen Jungen zu schlechterem Einfühlungsvermögen führen. Auf dem Weg von den Hormonen zum Verhalten spiele immer auch die soziale Erfahrung eine Rolle. So können einschüchternde Gender-Stereotype ("Frauen sind schlechter in Mathe") das Arbeits­gedächtnis und damit das geistige Leis­tungsvermögen blockieren – und auf diesem Weg schlechtere Leistungen weibli­cher Testkandidaten hervor­rufen.

Mit solchen Beispielen stellt die Autorin klar: So fortschrittlich, wie wir denken, ist unsere Gender-Auffassung keineswegs. Männer und Frauen haben, zumindest auf neurobiologischer Basis, deutlich mehr miteinander gemein, als sie unterscheide: "Neurowissenschaftler, die nur ein einzelnes Exemplar vor sich haben, können nicht angeben, ob es sich um ein männliches oder um ein weibliches Gehirn handelt." Eine gelungene Abrechnung mit verstaubten Vorurteilen.

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  • Quellen
Gehirn&Geist 6/2012

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