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Konstruierte Wirklichkeit

Was haben Zaubertricks im Zirkus mit neurowissenschaftlicher Forschung zu tun? Nicht viel, werden die meisten intuitiv vermuten. Doch dem widersprechen die renommierten Neurowissenschaftler Stephen Macknik und Susana Martinez-Conde entschieden. Zusammen mit der Wissenschaftsjourna­listin Sandra Blakeslee möchten sie zeigen, dass Zaubertricks nur deshalb funktionieren, weil unsere Sinneswahrnehmungen eine Konstruktion und keine objektive Abbildung der Wirklichkeit darstellen.

Um vor den Augen des Publikums beispielsweise Gegenstände verschwinden zu lassen, machen sich Zauberkünstler illusionäre Wahrnehmungen von Bewegung zu Nutze. Durch solche Bewegungsillusionen glauben wir klar zu sehen, wie der Zauberer eine Münze von der einen Hand zur anderen wirft, obwohl er sie längst heimlich versteckt hat – und wir sind erstaunt, wenn sich die Münze auf einmal nicht mehr in der Hand des Zauberkünstlers befindet.

Die Autoren stellen die These auf, dass Neurowissenschaftler von solchen Tricks über die Arbeitsweise des Gehirns lernen könnten. Den Beweis dieser These bleiben sie jedoch schuldig: Sie beschreiben keinen einzigen Fall, in dem die Untersuchung eines Zaubertricks zu einer neuen wissenschaftlichen ­Erkenntnis geführt hätte. Stattdessen bemühen sie stets hinlänglich bekannte psychologische Theorien, um die Wirkungsweise von Zauberkunststücken zu erklären.

Weil die Autoren anhand von Zaubertricks das Gehirn als Konstrukteur unserer Wirklichkeit entlarven, erweist sich das Buch dennoch als sehr lesenswert. Sein besonderer Vorzug: Es ist nicht nur für Freunde der Zauberei geeignet, sondern für alle, die auf unterhaltsame ­Weise etwas über das Gehirn lernen möchten.

Die Autoren zeigen, dass wir uns zum einen bei der Wahrnehmung, zum anderen oft auch beim Erinnern und Begründen unserer eigenen Handlungen täuschen, weil wir versuchen, ein kohärentes und stimmiges Welt- und Selbstbild aufrechtzuerhalten. Illusionen treten also nicht nur im Rahmen von Zaubertricks auf. Sie sind so alltäglich, dass sie große Teile unserer Identität bestimmen. Das ist zwar nicht besonders neu und dürfte neurowissenschaftlich vorgebildete Leser nicht überraschen, doch so anschaulich, verständlich und alltagsnah wie im vorliegenden Band wurde es selten dargestellt.

Die Anschaulichkeit hat allerdings ihren Preis: Wer sich vor allem für neurowissenschaftliche Zusammenhänge und weniger für Zaubertricks interessiert, dürfte die vielen ausführlichen Schilderungen von Zauberern und Zauberwettbewerben mit der Zeit etwas langatmig finden. Alle anderen werden an diesem Buch ihre Freude haben.

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  • Quellen
Gehirn & Geist 12/2011

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