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Tierbilder als Kunstwerke

Tim Flach ist ein vielfach preisgekrönter britischer Fotograf; im deutschen Sprachraum ist er durch seine Bildbände "Equus" (2008) und "Hunde" (2010) bekannt geworden. In seinem neuen Werk bildet er nicht nur eine Tierart ab, sondern alles, was nicht menschlich ist; der Originaltitel "More than Human" trifft die Sache, während entgegen dem deutschen Titel nicht nur Nahaufnahmen zu finden sind.

Die beeindruckendsten Fotos sind die Detailaufnahmen der Menschenaffen. Es rührt den Betrachter unmittelbar an, wie die Schimpansenmutter ihrem Kind die Hand küsst, der alte Affe die gleichen Fingernägel zeigt wie ein alter Gärtner nach einem arbeitsreichen Tag oder der Weißschulterkapuzineraffe so sorgfältig mit seinen Fingern arbeitet, als würde er gerade seine E-Mails auf dem Smartphone checken. Gleiches gilt für den selbstzufriedenen Panda auf dem Titelbild, den schwarzen Panter, der sich genüsslich die Pfote leckt, und den nachdenklichen Löwen, der im vollen Bewusstsein seiner Macht sogar ein freundliches Lächeln für den Betrachter aufbringt.

Die Aufnahmen von den Flughunden, die mit dem Kopf nach unten hängend zu ruhen pflegen, hat Tim Flach einfach umgedreht – sozusagen auf die Füße gestellt. Und auf einmal glaubt man Herrn und Frau Flughund beim Ehekrach zu sehen, einen galanten Herrn, der einer Dame sein Geleit anbietet, und ein Mädchen, das schüchtern den Blick abwendet.

Natürlich interpretiert der Betrachter diese menschlichen Seelenregungen in die Tiere hinein. Genau das macht Tim Flach in der Einleitung zum Thema: Es sei wichtig und kontrovers, wie der Anthropozentrismus "unsere Wahrnehmung der Welt und ihrer Bewohner formt, verzerrt und in Frage stellt …" und: "Obwohl mir klar ist, dass man bei der Konstruktion solcher Bilder nicht neutral bleiben kann, hoffe ich doch, dass die Arbeiten neutral präsentiert werden."

Andere Bilder wollen nicht zum Anthropozentrismus passen. Die Meerwalnuss, eine Qualle, die durch die Eroberung des Schwarzen Meers auf Kosten der ansässigen Fischpopulationen von sich reden machte, fasziniert durch ihren farbenprächtig-durchsichtigen Körper, die japanische Kompassqualle durch ihre anmutig tanzenden, bis zu drei Meter langen Tentakel und der Flughund durch seine ausgebreiteten, durchscheinenden Flughäute. Der weiße Pudel, der so künstlich geschoren ist wie die bizarr geformten Sträucher des englischen Gartens Leven’s Hall im Hintergrund, und der Afghane mit dem langen, glatten, gescheitelten Haupthaar sehen aus, als wären sie einem Reklamebild entsprungen. Wirklich ganz nah sind die ausdrucksvollen, von Fell umgebenen Augen – die sich als die Augenflecken des Nachtfalters Gynanisa maja entpuppen.

Ein roter Faden lässt sich in dem Buch nicht wirklich finden. Tim Flach will uns dazu anregen, über das Verhältnis des Menschen zu "den anderen Arten" nachzudenken. Das misslingt, weil der Betrachter so mit den Bildern und den atemberaubenden Details beschäftigt ist, dass er sich nicht zusätzlich noch philosophische und ethische Gedanken macht. Da helfen auch die erklärenden Texte nicht viel. Ja, die gestochen scharfen Aufnahmen der tanzenden, zur leichteren Verarbeitung federlos gezüchteten Hühnern und der auf Steakausbeute optimierten Muskelprotzbullen schockieren. Vielleicht ist es ja übertrieben, wenn wir die Tiere, die wir essen, obendrein noch niedlich finden wollen. Aber ich halte nichts davon, dass Tim Flachs Koautor Lewis Blackwell in dem zugehörigen Text implizit die Gentechnik verharmlost.

Der erste Eindruck ist in der Tat fantastisch. Erst bei näherer Betrachtung fallen vermeidbare Schwächen auf. So verschwinden manchmal wichtige Teile eines doppelseitigen Bilds im Falz, was den künstlerischen Eindruck stark beeinträchtigt. Manche Übergänge von einem Thema zum nächsten sind sehr abrupt, und neben den erstklassigen Bildern fallen etliche "nur" gute merklich ab. Am Ende stellt sich das Preis-Leistungs-Verhältnis dann doch als unbefriedigend heraus.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 12/2012

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