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Begrenzbare Würde, grenzenlose Medizin? — Kathrin Brauns Frage nach den Auswirkungen der neuesten biomedizinischen Praktiken auf den Kern des Menschseins

Bereits kurz vor Beginn der jüngsten Debatte über die Grenzen der Gentechnik und Biomedizin hat Kathrin Braun, Privatdozentin am Institut für Politische Wissenschaft an der Universität Hannover, mit „Menschenwürde und Biomedizin“ eine Abhandlung über die entscheidende Frage geschrieben, wie die Menschenrechte durch die neuesten Entwicklungen der Bioethik und Biomedizin unterhöhlt werden.Zur Beantwortung dieser Frage geht die Autorin zunächst dem Problem nach, inwieweit das Geborensein eine notwendige und hinreichende Bedingung für das Innehaben von Menschenrechten ist. Mit Rekurs auf Rousseau und Locke sowie die internationalen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte wird dargelegt, dass die menschliche Geburt bisher sowohl als hinreichende, aber auch als notwendige Bedingung für die Gewährung von Menschenrechten betrachtet wurde. Da die neuesten biomedizinischen Praktiken — wie die verbrauchende Embryonenforschung, die Keimbahnmanipulation oder das Klonen — jedoch diejenigen betreffen, die zur Zeit der Ausführung der Handlung noch nicht existieren, unterlaufen nach Ansicht der Autorin diese Techniken das klassische Konzept der Menschenrechte.Ebenfalls unterlaufen wird das Konzept von philosophischen Positionen, die zwischen Mensch und Person unterscheiden und nur letzteren alle Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Leben, zugestehen. Genau dargelegt werden dabei die Thesen von Utilitaristen wie Michael Tooley und Peter Singer, der Konventionalismus des Tristram Engelhardt jr., die Ansätze von John Harris und Robert Veatch, Ronald Dworkin sowie die Diskursethik von Jürgen Habermas. Die Autorin versucht nachzuweisen, dass nach allen diesen Positionen der Wert eines Menschenlebens relativ und bedingt ist und damit Willkür und Macht notwendig zu konstitutiven Elementen der ethischen Ansätze werden. Im Gegensatz dazu steht die – ebenfalls ausführlich besprochene – christlich-aristotelische Ethik von Robert Spaemann, nach der alle Menschen den Status der Unantastbarkeit bereits als Mitglieder der menschlichen Gattung besitzen, sowie die Konzeption von Hans Jonas, der den kantischen Imperativ material interpretiert. Der philosophische erste Teil des Buches schließt mit der Darlegung der Überzeugung, dass allein mit dem kantischen Instrumentalisierungsverbot und Kants Prämisse, dass die Menschheit einen Zweck an sich darstellt, eine überzeugende Begründung des Schutzes aller geborenen und ungeborenen Menschen möglich ist.Im zweiten Teil des Buches untersucht Braun die 1999 in Kraft getretene Bioethik-Konvention des Europarates sowie die UNESCO-Deklaration über das menschliche Genom und Menschenrechte von 1997. Hier lautet die Fragestellung, ob die Konvention und die Deklaration im Ergebnis zu einer Sicherung und Erweiterung des Menschenrechtsschutzes führen. Weder für die Bioethik-Konvention, die u.a. die verbrauchende Embryonenforschung zulässt und aktuelle Fragen der Biomedizin — wie etwa die Transplantation von Fötalgewebe oder die Patentierung von Genen — nicht regelt, noch für deren Zusatzprotokoll zum Klonen kann dies jedoch positiv beantwortet werden. Gleiches gilt für die UNESCO-Deklaration, die Fragen der Gentechnik in Anwendung auf den Menschen behandelt. Hier ist nach Ansicht der Autorin das Ziel der Erklärung nicht der Schutz der Menschenrechte, sondern die rechtliche und materielle Absicherung der Genforschung am Menschen.Der Vorteil des Buches ist, dass die Probleme der modernen Biomedizin und die wichtigsten Positionen der Bioethik weitaus detaillierter als durch einzelne Artikel dargestellt werden. Dabei macht die Autorin keinen Hehl aus ihrer Überzeugung, wonach die „Lebenswissenschaften“ Bioethik und Biomedizin sich dadurch auszeichnen, dass sie sich mit dem „Leben“ befassen, aber im Gegensatz stehen zu dem individuellen Menschen, seiner Heilung und seinen Rechten. Dass die dargestellten philosophischen Positionen und internationalen Instrumente vor allem daran gemessen werden, inwiefern sie den Schutz aller Menschen auch vor der Geburt begründbar machen, kann also nicht erstaunen. Die Autorin ist sich außerdem bewusst, dass die Prämisse ihrer Argumentation, die Menschheit stelle einen Zweck an sich dar, ein „metaphysisches Element“ ist. Ihre Ansicht kann daher nur den überzeugen, der diese Voraussetzung teilt. Das Problem, dass das Hinterfragen genau dieser Prämisse heute keinesfalls fern liegend erscheint, bleibt damit ungelöst.

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