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Ein Sternatlas? Ein Kunstwerk!

Der Niederländer Wil Tirion, 67, ist heute der bedeutendste Himmelskartograf und sogar ein Asteroid ist ihm zu Ehren benannt: (4648) Tirion = 1931 UE. Die Anfänge dieser Karriere liegen – wie so oft – eher im Dunst des Zufälligen: Als Grafiker tätig, erhielt der seit seiner Kindheit astronomiebegeisterte Wil Tirion im Jahre 1977 den Auftrag, für die von Colin Ronan herausgegebene "Encyclopedia of Astronomy" fünf großformatige Karten des gesamten Firmaments zu erstellen, die Sterne bis 6,5 mag zeigen. Diese Himmelskarten waren von derart erstaunlicher Qualität und Ästhetik, dass die British Astronomical Association (BAA) sie später als eigenständiges Kartenset veröffentlichte.

Neben seiner regulären Arbeit als Grafiker entstand in den Folgejahren der berühmte "Sky Atlas 2000.0", der bis heute zu den Standardwerken unter den Himmelsatlanten zählt und Sterne bis 8 mag zeigt. Durch den Erfolg dieses Werks beflügelt, war das Erstellen von Sternkarten seither nicht mehr nur Hobby des Niederländers.

Nun liegt ein neues Kartenwerk von Wil Tirion vor, das er zusammen mit James Mullaney erarbeitete, der mit mehr als 500 Artikeln und sieben Büchern zu den besonders produktiven Amateurastronomie-Autoren zählt. Auf 30 doppelseitigen Karten präsentiert der spiralgebundene "The Cambridge Double Star Atlas" den kompletten Sternhimmel. Freilich zeigt der Himmelsatlas sämtliche Objekttypen, hebt aber Doppel- und Mehrfachsternsysteme besonders hervor. Schon beim ersten Durchblättern zeigt sich: Das neueste Werk von Tirion ist einer der vollständigsten und ausgereiftesten Himmelsatlanten mit großem Schönheitswert.

Was zeigen die 30 Himmelskarten des Double Star Atlas? Mit seinem einheitlichen Kartenmaßstab von 5,8 Millimetern pro Grad liegt der Double Star Atlas zwischen den beiden Werken "Sky Atlas" (7,5 Millimeter pro Grad) und dem "Cambridge Star Atlas" (vier Millimeter pro Grad). Die Grenzgröße der insgesamt 25 000 gezeigten Sterne ist 7,5 mag. Als Besonderheit dieses Kartenwerks sticht ins Auge: Die Sterne sind in Schritten von je 0,5 mag gedruckt! Damit hat der Beobachter ein Werkzeug zur Hand, das dem visuellen Eindruck am Sternhimmel sehr nahe kommt.

Die 900 dargestellten Deep-Sky-Objekte wurden subjektiv ausgesucht, und Vorlieben der Autoren für bestimmte Kataloge sind nicht erkennbar. Die 2400 in den Karten abgebildeten Doppel- und Mehrfachsternsysteme sind grafisch geschickt hervorgehoben, ohne das Kartenbild zu dominieren.Beide Autoren wählten Sternsysteme mit Grenzgrößen von 7,5 mag für den hellsten und 10,5 mag für den zweithellsten Stern aus, die sich mit Teleskopen mit Öffnungen von 2 bis 14 Zoll trennen lassen. Wil Tirion ist nach wie vor aktiver Amateurastronom, weshalb er in den Karten durchweg Farben verwendete, die nicht nur die dargestellten Objekttypen auf den ersten Blick erkennen lassen, sondern sich besonders gut für die nächtliche Arbeit unter rotem Licht eignen.

Eher auf Anfänger zielen allgemein gehaltene Beobachtungshinweise von James Mullaney, die dem Kartenteil vorangestellt sind. In einer Liste von 133 Doppel- und Mehrfachsternsystemen präsentiert Mullaney persönliche Favoriten. Viele sind dabei, die auch weniger erfahrenen Beobachtern dieser Objekttypen direkte Erfolgserlebnisse bescheren. Neben physikalischen Daten finden sich Beschreibungen einzelner Objekte. Diese sind bei der visuellen Erkundung hilfreich und zeigen anschaulich, was der Sternfreund beim Blick durchs Okular erwarten kann.

Auch wenn die Autoren es in ihrer Einleitung schreiben, der "erste" Doppelsternatlas ist es nicht, den sie vorlegen. Allerdings ist es der erste gedruckte, wenn man an das im Internet frei erhältliche Doppelstern-Kartenwerk des Japaners Toshimi Taki denkt. Für Beobachter von Doppel- und Mehrfachsternen, die den Taki nutzen, ist dieser Himmelsatlas dennoch ein Muss, zumal der gut gegliederte und übersichtliche Doppelsternkatalog aller 2400 aufgeführten Objekte im Anhang auf neueren Daten als der Taki-Atlas basiert. Weil "der neue Tirion" aber sämtliche Himmelsobjekte in besonders anschaulicher Weise zeigt, kann er jedem Sterngucker empfohlen werden. Durch sein handliches Format, das etwas größer ist als DIN A4, eignet er sich auch sehr gut für Urlaubsreisen, bei denen ein Fernglas im Gepäck ist.

Der "Cambridge Double Star Atlas" ist ein großer Wurf, in den alle Erfahrungen früherer Kartenwerke aus der Feder Wil Tirions eingeflossen zu sein scheinen: Für alle Himmelsbeobachter mit kleinen bis mittleren Teleskopen ist er von hohem Gebrauchswert – und gleichsam ist dieser Sternatlas ein Kunstwerk von hohem ästhetischen Reiz.

Ach ja, einen Kritikpunkt gibt es doch: Fast ist dieses wunderschöne Kartenwerk zu schade für die nächtliche Feldarbeit. Wenn man sich eines beim Verlag wünschen möchte, so ist dies eine laminierte Version wie sie zum Beispiel für den "Star Atlas" vorliegt, damit diesem Schmuckstück selbst viele taureiche Nächte nichts anhaben können.

Wer übrigens mehr über den sympathischen Himmelskartografen Wil Tirion erfahren möchte, der schaut auf seiner sehr persönlichen Website vorbei, und erfährt, wie viel Handarbeit und Mühe das Erstellen eines solchen Himmelsatlas selbst im Zeitalter der Computer bedeutet: www.wil-tirion.com.

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  • Quellen
Sterne und Weltraum 1/2011

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