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Schlichting!: Anhänglicher Schmutz

Partikel in der Wohnungsluft lagern sich an bestimmten Stellen von Wänden verstärkt an und verursachen dort dunkle Flecke. Dahinter steckt ein Thermophorese genannter Effekt, bei dem Temperaturunterschiede den Staub zu kälteren Oberflächen befördern.
Eine ehemals weiße Wand zeigt starke Ablagerungen von schwarzem Staub
Verschonte Ecken: Die Strömung, die Schmutzpartikel an der Wand deponiert, reicht nicht bis in die äußersten Winkel. Auch kleine Vertiefungen bei rau aufgetragenen Stellen im ergrauten Putz sind hell geblieben. Das Foto zeigt einen Extremfall nach starker Rußentwicklung im Zimmer. Es zeichnen sich sogar die Mörtelfugen im Mauerwerk ab, die als Wärmebrücken zwischen den Ziegeln fungieren.

Es scheint paradox: Moderne Heizungen werden sauberer, Reinigungsverfahren gründlicher, und trotzdem lassen sich ausgerechnet in neueren Wohnungen häufig Verschmutzungen an Wänden und Gegenständen beobachten. Sie machen sich als intensiver dunkler Belag bemerkbar und treten vor allem im Winter während der Heizperiode in Erscheinung.

Dabei handelt es sich allerdings in den seltensten Fällen allein um Ruß durch offene Kamine, übermäßiges Rauchen oder Kerzen. Oft sind diese nicht einmal beteiligt. Vielmehr stehen hinter dem meist nach dem englischen Begriff Fogging bezeichneten Phänomen diverse Ursachen. Quantitative Modelle, mit deren Hilfe man den unschönen Niederschlag gezielt vermindern oder beseitigen könnte, scheint es zwar noch nicht zu geben. Aber in seinen wesentlichen Aspekten lässt sich der Vorgang physikalisch beschreiben.

Klar ist, dass die oft schwarzen oder grauen Beläge in den betroffenen Räumen durch dort driftende Staubteilchen zu Stande kommen. Da von diesen in der Luft direkt nichts zu sehen ist, müssen sie winzig sein und von Strömungen allmählich an die entsprechenden Orte transportiert werden.

Kleine Teilchen halten sich nämlich sehr lange in der Luft auf. Sie unterliegen dort wie alle anderen Objekte vor allem zwei widerstreitenden Kräften: ihrem Gewicht und dem Luftwiderstand. Die Gewichtskraft wird durch die Masse bestimmt. Sie nimmt mit dem Radius schneller ab als die Luftwiderstandskraft. Diese dominiert daher irgendwann das Geschehen. Mikroskopische, kaum wahrnehmbare Partikel sind deshalb bereits relativ kleinen Luftbewegungen ausgeliefert und wandern mit diesen unablässig umher, statt einfach herabzufallen.

Eine wesentliche Ursache für solche Strömungen in der Wohnung sind Temperaturdifferenzen. Sie entstehen durch Wärmequellen wie Heizkörper oder Lampen gegenüber vergleichsweise kalten Wänden oder Fenstern. Die Dichte der Luft nimmt mit sinkender Temperatur zu. Solche Unterschiede rufen weiträumige Bewegungen hervor, die umherdriftende Staubteilchen mitreißen. Man spricht auch von Thermodiffusion oder Thermophorese. Von der Warte der Moleküle aus gesehen kann man die Drift von warm nach kalt so beschreiben, dass die Luftmoleküle von der heißeren Seite aus kräftiger auf die Staubteilchen einprasseln und ihnen im Mittel mehr Bewegungsenergie übertragen.

Wo der Dreck kleben bleibt

Die Ströme, die auf die kalten Wände auftreffen, geben einen Teil ihrer Wärme an das Hindernis ab. Derart abgekühlt bewegen sie sich anschließend zurück und kommen im Zuge einer globalen Strömung schließlich wieder in der Ausgangsregion an. Demgegenüber ereilt die mittransportierten Staubteilchen ein anderes Schicksal. Weil deren Masse wesentlich größer ist als die der Luftmoleküle, prallen sie aus Trägheit mit stärkerer Wucht auf die Wände und bleiben dort zum Gutteil kleben. Beim Anhaften spielen Kohäsions- und Adhäsionskräfte und damit chemische sowie elektrostatische Wechselwirkungen eine entscheidende Rolle – die Schmutzteilchen ziehen sich gegenseitig an und werden ihrerseits vom Wandmaterial angezogen.

Meist bilden die auftreffenden Partikel einen schmierigen Belag, der nur schwer zu beseitigen ist. Das lässt sich ebenfalls auf deren Beschaffenheit zurückzuführen. Denn solcher »Schwarzstaub« tritt insbesondere in Räumen auf, die stark mit Feinstaub belastet sind. Dieser besteht aus Teilchen, die weniger als zehn Mikrometer messen.

Hinter zahlreichen alltäglichen Dingen versteckt sich verblüffende Physik. Seit vielen Jahren spürt H. Joachim Schlichting diesen Phänomenen nach und erklärt sie in seiner Kolumne. Schlichting ist Professor für Physik-Didaktik und arbeitete bis zur Emeritierung an der Universität Münster. Alle seine Beiträge finden sich auf dieser Seite.

Derartige Partikel können bei ganz unterschiedlichen Aktivitäten entstehen, vom Kochen über das Abbrennen von Kerzen oder Duftlampen bis zum Betrieb von Elektronikgeräten. Sie werden aber auch spontan freigesetzt: Schwarzstaub besteht oft aus schwerflüchtigen organischen Verbindungen, die beispielsweise als Weichmacher in Kunststoffprodukten enthalten sind und in zahlreichen weiteren Materialien wie Verpackungen, Kosmetika, Lacken oder Klebstoffen vorkommen, die als »lösemittelfrei« deklariert werden. Das heißt, sie enthalten keine chemischen Substanzen mit einem Siedepunkt von unter 200 Grad Celsius, die viel leichter verdampfen.

Deswegen verströmen die Gegenstände zwar keinen unangenehmen Geruch, dafür entweichen die schwerflüchtigen Verbindungen über längere Zeiträume im Verlauf von Monaten. Fabrikneues Mobiliar oder eine Renovierung mit vermeintlich unbedenklichen Farben schützen also nicht vor dem schmutzigen Phänomen, sondern können es im Gegenteil erst hervorrufen.

Schaut man sich die dunklen Stellen an den Wänden genauer an, so sind in vielen Fällen die innersten Eckbereiche hell geblieben. Das lässt sich darauf zurückführen, dass sich an solchen Stellen großer Richtungsänderungen die Grenzschicht zwischen der strömenden Luft und der Wand ablöst – in der Ecke entsteht ein verwirbelter Bereich. Das reduziert die Stärke der Wechselwirkung zwischen der mit Feinstaub belasteten Luft und der Wand. Folglich werden die tiefsten Ecken weniger verschmutzt und bleiben heller als die benachbarten Flächen.

»Jede Oberfläche hat Lust auf Staub«Joseph Brodsky

Da große Temperaturunterschiede die Thermophorese begünstigen, sind die Verunreinigungen oft umso intensiver, je kälter die Wände an den betroffenen Stellen sind. Auf diese Weise werden manchmal sogar verborgene Wärmebrücken sichtbar.

Wären die Ablagerungen nicht so dunkel, würde man sie wohl als weniger störend empfinden. Die Schwärze muss keine Eigenfarbe der verschiedenen Substanzen sein, die in den Partikeln zusammenkommen. Vielmehr verweist sie auf die Art der Entstehung des Staubs: Mikroskopische Teilchen vereinigen sich zu schwammartigen Gebilden mit vielen Hohlräumen. Dort wird auftreffendes Licht durch zahlreiche Reflexionen weitgehend absorbiert und in thermische Energie umgewandelt. Es kommt daher nur wenig sichtbare Strahlung zurück.

Schwarzstaub ist ein alltägliches Phänomen und wird meist erst dann als Problem wahrgenommen, wenn er etwa durch Weichmacher klebrig wird oder in Form von Flecken sichtbar in Erscheinung tritt. Zu Letzterem tragen Temperaturunterschiede durch übermäßiges Heizen einerseits und schlecht isolierte Zimmer andererseits bei. Da beim Fogging jedoch viele Faktoren zusammenwirken, lässt sich schwer vorhersagen, ob und wo die Flecken auftreten werden. Sind sie aber erst einmal da, geben sie zumindest Hinweise darauf, worauf man bei der nächsten Renovierung achten sollte.

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