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Kommentare - - Seite 1087

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  • Fortschritt weniger im konzeptionellen als im technischen Bereich

    23.01.2007, Dr. Rolf Sievers
    Als Chemiker mit starker Ausrichtung auf Kristallstrukturen und deren Ermittlung verfolge ich seit mehr als 15 Jahren die Fortschritte auf dem Gebiete der Strukturvorhersage von kristallinen Festkörperverbindungen. Daher seien einige kurze Bemerkungen zu dem genannten Artikel erlaubt.

    Colin W. Glass stellt das von ihm praktizierte Verfahren zur Strukturermittlung und -vorhersage sehr anschaulich und optimistisch dar, doch versäumt er es, seine Arbeiten in den richtigen historischen Zusammenhang zu stellen.

    In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben Forschergruppen aus der Physik, Chemie, Kristallographie und der angewandten Mathematik Beiträge zu dieser Fragestellung geleistet. So konnten die Gruppen um Richard Catlow in England sowie Christian Schön und Martin Jansen in Deutschland seit Anfang der neunziger Jahre mit Verfahren zur globalen Erkundung der Energielandschaft erfolgreich Festkörper-Strukturen identifizieren, aus Pulverdiffraktogrammen bestimmen, sowie neue stabile und metastabile Strukturen und Strukturtypen für Normal- und für Hochdruck vorhersagen.

    Auch diese Gruppen nutzen unter Anderem ausoptimierte Potenziale und quantenchemische Ab-Initio-Verfahren zur Bestimmung der Energie der Strukturen; Scott Woodley hat bereits seit Ende der neunziger Jahre den von Glass empfohlenen Genetischen Algorithmus erfolgreich verwendet.
    Zahlreiche Arbeitsgruppen in Europa und den USA konnten Strukturen von Molekülkristallen und sogar Zeolithen vorhersagen. Ferner gelingt es ausgereiften kommerziell erhältlichen Computerprogrammen heute oftmals, unter Verwendung globaler Energieoptimierungen selbst unscharfe Pulverdiffraktogramme zu interpretieren und Strukturen daraus abzuleiten.

    Ich finde deshalb, dass Colin W. Glass zu viele “Firsts” für sich in Anspruch nimmt. Das tatsächlich Neue an seiner Vorgehensweise ist der Einsatz eines Ab-Initio-Rechenverfahrens bereits während der globalen Suche an Stelle der sonst üblichen Kombination aus empirischen Potentialen bei der globalen Erkundung und ab initio Verfahren bei der lokalen Optimierung – was weniger einen Fortschritt im konzeptionellen als im technischen Bereich darstellt.

    Stellungnahme der Redaktion

    Antwort des Autors


    Die Ermittlung von Strukturen aus Pulverdiffraktogrammen (seien die nun mehr oder weniger verrauscht) gehört in den Bereich der experimentellen Strukturbestimmung und hat mit meiner Arbeit nichts zu tun.



    Es ist in der Tat so, dass sich bereits seit vielen Jahren diverse Forscher auf dem Gebiet der Ermittlung von Strukturen durch Optimierung betätigt und dabei Erfolge erzielt haben. Dies heißt aber nicht, dass damit das Problem gelöst wäre.



    Die meisten (mit wenigen Ausnahmen, auf die ich - bis auf Woodley - nicht im Detail eingehen werde) haben sich der Methode des Simulated Annealing bedient. Dabei startet man von irgendeinem Punkt, der in unserem Fall einer Struktur entspricht. Inwieweit die Suche den ganzen Suchraum erfasst oder auf das Umfeld des Startpunktes beschränkt bleibt hängt von der Parametrisierung ab. Meines Wissens nach wurden Erfolge nur dann erzielt, wenn ein Startpunkt bekannt war, der sich als hinreichend nahe am Endpunkt herausstellte – von globaler Optimierung kann dabei nicht die Rede sein – oder in Fällen, bei denen die Dimensionalität (bestimmt durch die Anzahl der Atome im Gitter) hinreichend gering war. Im übrigen steigt die Größe des Suchraums exponentiell mit der Anzahl der Dimensionen.



    Scott Woodley hat zwar ebenfalls einen Evolutionären Algorithmus implementiert. Die Umsetzung ist jedoch grundverschieden von dem Verfahren, das ich zusammen mit Artem R. Organov entwickelt habe. Die Bezeichnung „Evolutionärer Algorithmus“ gibt ja nur den konzeptionellen Rahmen vor, in dem man sich bei der Implementierung bewegt. Als Analogie böte sich etwa das Konzept der Demokratie an – wie sehr sich Demokratien in Funktionsweise und Erfolg unterscheiden hängt ebenfalls von der 'Implementierung' ab.



    Im Unterschied zu Woodley und viele anderen müssen wir bei unserer Methode weder die Form der Einheitszelle (was experimentelle Daten voraussetzt) noch einen guten Startpunkt (der oft nicht verfügbar ist) vorgeben. Trotzdem können wir selbst für vergleichsweise hochdimensionale Fälle eine fast hundertprozentige Erfolgsquote vorweisen, wovon andere Methoden weit entfernt sind. Dabei erreichen wir das Optimum in sehr wenigen Schritten, wodurch wir uns die um viele Größenordnungen teureren Ab-initio-Berechnungen leisten können. Dies wiederum ermöglicht es uns, Systeme zu untersuchen, für die es keine zuverlässigen Potentiale gibt.



    Details, die das wirklich Neue der Methode belegen, finden sich in dem Paper "Glass C.W., Oganov A.R., Hansen N. (2006). USPEX - evolutionary crystal structure prediction. Comp. Phys. Comm. 175, 713-720".

  • "Fortschritt" als Semantik

    23.01.2007, Dr.Wolfgang Vogt, Köln
    "Illusion als Fehldeutung objektiv gegebener Sinneseindrücke" setzt Objektivität unserer Sinnes-Inputs voraus.Diese Inputs sind die einzige Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit unserer Umwelt und können keine Erkenntnis der menschenunabhängigen Wirklichkeit beanspruchen. Unser ICH ist der Zusammenfluss aller Informationen zur Selbstreflexion. Grundsätzlich werden alle Sinneseindrücke mental verarbeitet, analysiert zu Eindrücken (Metarepräsentationen) bis zu Willensbildungen, in die unbewusste Steuerungen leitend einfließen, bis zu Handlungen. Die Welt "da draußen" können wir außerhalb unseres Bewusstseins nicht erkennen. Auch Meditation ist innerpsychisches Geschehen. Die "Enttarnung" der evolutionär nützlichen Weltzugänge als "konstruierte Illusion" zu bezeichnen, kann schwerlich so stehen bleiben, da sich diese Zugänge in der "nicht illusionierten Welt" für die Weiterentwicklung offensichtlich bewährt haben. Das Eintreten in andere, ich-fremde Perspektiven ist Zeichen individueller Reifung. Wie alles Erkennen mentales Konstrukt ist, so ist auch die Vorstellung von Fortschritt ein solches, ohne dass man ihn als Illusion, d.h. Fehldeutung beschreiben sollte. In "The Great Chain of Being" lässt uns LOVEJOY erahnen, welche Weiterentwicklung unsere mentalen Aktivitäten in den Jahrhunderttausenden durch Vermehrung synaptischer Verschaltungen erlebt haben - denn physiko-chemisch unterscheiden sich unsere neuronalen Funktionen keineswegs von denen einfachster Lebewesen. Diese Entwicklung ist Fortschritt, keine Illusion. Mit KEN WILBER kann man statt von "Höherentwicklung" von hierarchischer Zunahme von Komplexität reden. Keineswegs geht die "Fortschrittsrhetorik ins Leere", wenn der selbstorganisierende Lebensprozess Komplexitätszunahme aufweist. Das Beispiel des Mäusegenoms trifft nicht, da die Zunahme sich auf die Vielfalt synaptischer Verschaltungen bezieht, die erst die Fülle mentaler Leistungen ermöglicht. "Höherentwicklung" und "Fortschritt" dürfen nicht als semantische Tricks missbraucht werden, um Inhalte der Evolution zu desavouieren. Die weiteren Ausführungen von Herrn Voland bzgl. der vergleichenden mentalen Aktivitäten folgen letztlich dem Prinzip des "Fressens und Gefressenwerdens", ein Bestreben des Lebens eher zu überleben. Die Verfeinerung der Mittel bis hin zur zart aufscheinenden aber noch nicht welterhaltend wirksamen Humanitas signalisiert eine Entwicklung zur geistigen Bewältigung unseres Lebens, mag man sie Fortschritt nennen oder sonstwie. Eine Bewusstseinserweiterung auf breiter Basis als alleinige Chance zur Erhaltung allen Lebens auf dieser Erde würde ich als Fortschritt bezeichnen und denke keineswegs, dass sie der Evolution fremd wäre.
  • Logischer Fehler bei Ariane Entwicklungskosten

    23.01.2007, Peter H. Groepper
    In dem interessanten Aufsatz ist dem Autor ein logischer Fehler unterlaufen, wenn er anlässlich des Absturzes der ersten Ariane 5 - Rakete schreibt: "Mit ihr verpufften gut 6 Milliarden Euro an Entwicklungskosten". Das liest sich so, als seien diese 6 Milliarden Euro komplett verloren. Tatsächlich verloren, was die Entwicklung der Rakete betrifft, waren dagegen "nur" die weiteren Flugphasen und damit die - ohne diesen Fehler - vielleicht erfolgreiche Qualifikation der an diesen Phasen beteiligten Komponenten (zu diesem frühen Versagenszeitpunkt allerdings die überwiegende Mehrzahl aller Komponenten). Verloren war darüberhinaus auch die wertvolle wissenschaftliche Nutzlast "Cluster".
  • Fort-Schreiten in eine andere Zukunft

    23.01.2007, Andreas Schwald, München
    Der Begriff „Fortschritt“ ist ambivalent – Fort-Schreiten von einem als unangenehm oder verbesserungswürdig empfundenen Zustand in eine (hoffentlich bessere, ungewisse) Zukunft, verbunden mit Abschied und Aufbruch.
    Die Bibel beginnt mit der Darstellung des Paradieses und endet mit der Beschreibung des himmlischen Jerusalems. Die derzeitige Befindlichkeit des Landes Irak (wo der Garten Eden vermutet wird) oder der Stadt Jerusalem ist weder paradiesisch noch himmlisch.
    Die „gute alte Zeit“ ist keine Illusion, sondern eine Selektion, die unangenehme Dinge ausblendet. Die „neue Gesellschaft“ ist ein Wunsch oder ein Plan, der sich als Illusion erweisen kann. Die Bemühungen zu ihrer Verwirklichung haben meistens einige der beabsichtigten und viele ungeplante Auswirkungen.
    Fortschritt ist keine Illusion. Die Neuerungen in der Technik und die Änderungen im sozialen Leben sind sehr real; sie werden verschieden bewertet. Karl Popper hat das Streben nach Wahrheit als die Beseitigung von Irrtümern umschrieben. Ein Arzt kann Leiden mildern und Leben verlängern, nicht den Tod besiegen. Das Zusammenleben von immer mehr Menschen in einer zunehmend komplexeren Welt führt jeden Tag zu neuen Aufgaben und Problemen, für die tragbare Lösungen zu finden sind.
    Fortschritt als Verbesserung der Lebensumstände ist immer gefordert, die Möglichkeit des katastrophalen Scheiterns stets präsent. Die Diktaturen des 20. Jahrhunderts mit ihren Fortschrittsideologien zeigen dies in erschreckender Deutlichkeit.
  • Voraussage als Erkenntnismaßstab

    23.01.2007, MMag. Manfred Gotthalmseder
    Es ist wohl eher die krankhafte Situation universitären Wissensgewinns, mit dem Übergewicht an Zitaten, die den Eindruck machen kann, die Basis aller Erkenntnis wäre bloß Common Sense.
    Im Ursprung dient unser Gehirn nur einer einzigen Sache, nämlich der Voraussicht. Jede geplante Handlung basiert auf einer vorgestellten Zukunft. Und tatsächlich sind wir in Hinsicht auf unsere Fähigkeit, Zukunft abzuschätzen und planend zu handeln, heute wesentlich weiter als einst. Man denke nur, welche komplexen Pläne heute technisch umgesetzt werden können. Auch die nötige Organisation ist eine Erkenntnisleistung.

    Da die noch nicht reale aber bereits vorgestellte Zukunft unser Verhalten bestimmt, und dieses wiederum auf die Zukunft wirkt, kann man auch sagen, dass unsere Freiheit mit unserer Vorstellungsfähigkeit wächst. Wir können uns zahlreichere Möglichkeiten erdenken mit Anforderungen umzugehen als je zuvor. Wenn wir heute schon wissen, dass uns in den kommenden Jahrzehnten ein Klimawandel droht, dann ist das nur dem Fortschritt, also unserer ständig wachsenden Voraussicht zu verdanken.
  • Was ist "objektiv"?

    22.01.2007, Dr. Ekkard Brewig, Overath
    Wenn Eckart Voland die Aufgabe der "Fortschrittsillusion" so genau und überzeugend als naturnotwendig für die Population Mensch beschreiben kann, dann gibt es eine Messlatte - nämlich das Überleben in den gesellschaftlichen Bezügen. Das Wort "Illusion" gewinnt damit eine völlig andere, wissenschaftlich-objektive Qualität im Sinne eines Überlebensfaktors. Es entspricht also nicht mehr dem subjektiven, gar pathologischen Vorstellungsgebilde, welches wir gemeinhin damit verbinden.
  • Mir kam da eine weitere Idee ...

    22.01.2007, Daniel Schiller, Köln
    Im Artikel wird angesprochen, dass das Federkleid vieler "normaler" Vögel im UV-Bereich intensivere Farben hat und somit durch die Artgenossen besser gesehen werden kann, während in unserem sichtbaren Spektrum diese Vögel alle gleich unauffällig und getarnt aussehen. Gleichzeitig sehen viele Säugetiere im UV-Bereich nicht. Das könnte meines Erachtens nach noch auf einen anderen evolutionären Zusammenhang hindeuten. In den wahrnehmbaren Spektralbereichen der meisten Säugetiere (und somit auch der Feinde) ist das Äußere der Vögel unauffällig und sie können sich gut tarnen. Gleichzeitig sind sie im UV-Bereich farblich auffällig. Somit können sie von Artgenossen einfacher wahrgenommen werden als von Fressfeinden. Ein Teil der innerartlichen "Kommunikation" hat sich anscheinend in den verdeckten UV-Bereich verschoben.
  • Feststehende Begriffe

    22.01.2007, Heinrich van Martens
    Der Begriff "Fortschritt" ist definiert als eine Verbesserung gegenüber bestimmten Umständen. Das bedeutet, dass evolutionärer Fortschritt die Verbesserung eines bestimmten Wesens hinsichtlich einer seiner Eigenschaften meint. Also ist "Fortschritt" kein menschliches Ermessen, sondern resultiert lediglich nur aus der Eigenschaft der Menschen, verschiedene Sachen zu vergleichen. Daher würde ich nicht unbedingt sagen, dass "Fortschritt" ein rein menschliches Ermessen ist, sondern vielmehr hauptsächlich eine objektive Feststellung.
  • Evolution des Bewusstseins

    22.01.2007, Anna Reeves, London
    Wenn man von so falschen Annahmen ausgeht wie der Autor dieses Artikels, dann muss man natürlich auch zu so falschen Schlüssen kommen.
    Die biologische Evolution ist mit dem Hervorbringen von bewusstseinsfähigen Wesen zu Ende gegangen bzw. ist jetzt nicht mehr wichtig, und was nun begonnen hat, ist eine Evolution des Bewusstseins. Der Autor wird doch kaum abstreiten, dass er intelligenter ist als z.B. ein Neandertaler oder ein Affe. Aber nicht nur in Bezug auf pure Intelligenz haben wir uns weiterentwickelt, sondern auch in moralischer, emotionaler und spiritueller Hinsicht, und diese Entwicklung geht weiter.

    Der Autor begeht auch den Fehler, zu versuchen, die Biologie dort anzuwenden, wo sie nicht angebracht ist. Psychologie ist eine höhere Stufe der Emergenz als Biologie. Man kann sie nicht auf die Biologie reduzieren. Die Methoden und Ergebnisse einer niedrigeren Ebene sind nicht auf die einer höheren anwendbar.

    Ich würde dem Autor raten, das Buch von Ken Wilber, "Halbzeit der Evolution - Der Mensch auf dem Weg vom animalischen zum kosmischen Bewusstsein" zu lesen und dann den Artikel nicht zu veröffentlichen.
  • Viele Fortschritte,viele Rückschritte

    22.01.2007, Rüdiger Söhnen, Dresden
    Mir kommt der Artikel widersprüchlich vor. Wenn es keinen Fortschritt geben soll, weil wir uns an bessere Zustände so schnell gewöhnen, dass wir sie für selbstverständlich halten und noch Besseres haben wollen, wie im Märchen vom "Fischer un syner fru", dann gibt es vielleicht einen evolutionär begründeten Wahrnehmungsfehler, aber doch eine Abfolge von Zuständen, die wir als Verbesserung empfinden, wenn wir uns die Abfolge vergegenwärtigen. Will sagen, innerhalb der Geschichte der Menschen gibt es innerhalb bestimmter Zeitabschnitte auf Teilgebieten Fortschritte. Was die Erde angeht, auf der wir nur eine Spezies unter anderen sind, könnte man über Fortschritt nur reden, wenn sich klären ließe, aus wessen Perspektive wir die Naturgeschichte betrachten wollen: aus der Sicht der Ausgestorbenen, aus der Sicht der maximalen Artenvielfalt oder aus der Sicht der Menschen? Und hier sehen die Amazonasindianer und die chinesischen Bauern die Sache sicherich anders als die Vorstände der global players.
  • Fortschritt ist keine qualitative Aussage

    22.01.2007, Dietzsch, Teltow
    Sicher kennt die Natur kein "besser", sie richtet sich nicht nach menschlichen Kategorien. Eigentlich kommt Fortschritt von Fortschreiten und ist mithin ein zeitlich bzw. räumlich bezogener Begriff ohne qualitative Aussage – insofern also genau das, was der Autor meint, und eben nicht die gemeinhin darunter verstandene "Höher-Entwicklung". Jede Veränderung, die dem Menschen (individuell oder gesellschaftlich) als Verbesserung erscheint, empfindet dieser als eine solche Höherentwicklung. In unserem Kopf wird die Welt nun mal immer interessenorientiert bewertet - der Drang nach Verbesserung der Lebensbedingungen ist zur Arterhaltung essenziell und folglich die Basis für die Einteilung in "gute" und "schlechte" Veränderungen der Umwelt. Das ist nicht "naiv", sondern einfach pragmatisch. Insofern sind die Aussagen des Artikels ganz klar: Die Natur erzeugt keine Höherentwicklung, der Mensch schon.
  • Fortschritt = Rückschritt?

    22.01.2007, Carlo Gradl, Prag
    Man muss kein Wisenschaftler sein, um den angeblichen "Fortschritt" unserer Leistungsgesellschaften als Illusion zu entlarven. Vor noch nicht allzu langer Zeit haben wir alle unser Brot selber backen müssen, heute gilt gerade dies wieder als schick, obwohl teurer.
    Autos sollten am besten mit Wasser fahren, da wir festgestellt haben, dass dieses - vor nicht allzu langer Zeit als Wunder des Fortschritts gepriesene - Transportmittel uns und unsere Umwelt zerstört.
    Vor auch nicht allzu langer Zeit war jedes Kleidungsstück handgemacht und jedes Stück ein Unikat, was damals nichts bedeutet hat, heute aber, nach all den Jahren der Stückzahlsteigerung durch Fortschritt, auch wieder schick ist.
    Auch Sport war damals nicht notwendig, weil jeder sich genügend bewegt hat. Heute muss man sich dazu zwingen, wenn man gesund bleiben will, obwohl der Fortschritt uns doch all die Annehmlichkeiten eines bequemen Lebens ohne einen Handgriff zu viel ermöglicht, etc...
    Also ein eindeutiges Ja zum Artikel. Fortschritt ist wohl eher die Ausreizung des jeweils technisch Machbaren in jeder Epoche. Ob er "gut" oder "schlecht" ist, hängt nur von der Bedeutung ab, welche ihm die Individuen geben.
  • Was heißt archimedischer Punkt?

    22.01.2007, Thomas Bauer, Unterölsbach
    Der Artikle von Herrn Prof.Dr.Voland ist sehr interessant. Ich frage mich aber, was heißt einen archimedischen Punkt zur Objektivierung finden? Der Fortschirttsgedanke ist also ein psychologischer Akt und sei in der objektiven Natur nicht zu finden? Mich stört, dass der Mensch als etwas von der Natur unabhängiges gesehen wird. Wie das auch schon bei den anderen Entlarvungen, wie der Illusion des Geistes usw. gesehen wird. Es scheint ja so zu sein, dass wir Menschen einen Fortschrittsgedsanken haben. Wieso ist das dann eine Illusion? Wir Menschen gehöen doch mit in die und zur Natur. Die Evolution hat den Menschen so geformt wir wir jetzt sind. Wenn es soetwas wie Fortschritt nur in unserer Osyche gibt, muss es doch nicht heißen, dass es eine Illusion ist. Unsere Psyche ist ebenso ein Produkt, eine Entwicklung der Natur. Ist etwas in unserer Psyche, gehört es ebenso zur Natur. Natürlich haben wir Menschen Eigenschften, die vielen Dingen überlegen sind, dass muss aber nicht heißen, dass diese Eigenschaften Illusionen sind.
    Ich finde, dass immer alles, was angeblich keine Entsprechung in der Natur findet, als Illusion hinzustellen, ist nicht richtig. Der Mensch ist Teil der Natur, der in der Lage ist, darüber zu reflektieren, dass macht den Menschen zum Menschen. Wir sollten uns nicht über die Natur erheben, aber wir sollten auch nicht zu bescheiden sein.
  • Ausführung in realer Umgebung

    22.01.2007, Prof. Dr. Albert Endres, Sindelfingen
    Der Artikel fällt in die Kategorie: Die Welt ist zwar komplex und voller Probleme, aber (hurra!) ich habe das Allheilmittel gefunden. Seit über 30 Jahren ist dieses Phänomen in der Informatik bekannt.

    Damals hatte Tony Hoare, ein Engländer, die Idee, dass man nur Zusicherungen zu schreiben braucht, die ein Programm erfüllen muss, dann kann man mechanisch beweisen, ob es korrekt ist oder nicht. Leider stimmt dies nur, wenn man den Korrektheitsbegriff entsprechend einschränkt. Man sagt einfach, dass ein Programm immer dann korrekt ist, wenn zwei formale Beschreibungen desselben konsistent sind. Damals erfolgte der Nachweis dieser Konsistenz durch die Reduktion logischer Formeln, heute benutzt man dafür auch eine Art von Simulation (Model Checking genannt).

    Die Unterscheidung zwischen Programm und Entwurf besteht oft nur darin, dass der Entwurf in einer anderen formalen Sprache ausgedrückt wird als das Programm selbst. Bezüglich eines nicht formal, also nicht exakt beschriebenen Entwurfs lassen sich nämlich keine formalen Prüfungen anstellen.

    Es ist immer ein Leichtes, schwache Aussagen zu finden, also Bedingungen, die nur eine bestimmte Eigenschaft des Systems beschreiben, bzw. prüfen. Dies kann durchaus nützlich sein. Leider kann man nicht durch rein mathematische Verfahren oder Überlegungen feststellen, ob es nicht noch strengere Bedingungen gibt, die eigentlich auch gelten. Vor allem aber sagen weder Beweise noch Simulation etwas darüber aus, ob beide Beschreibungen auch der Realität entsprechen, sei es der physikalischen oder der geschäftlichen Realität. Hier hilft nur die Ausführung in der realen Umgebung, also das Testen.

    Prof. Dr. Albert Endres, Sindelfingen
  • Zwar nicht neu, aber gut dargestellt

    22.01.2007, Dr. Holger Kurz, Hamburg
    Mir gefällt dieser Artikel sehr gut. Fortschritt ist hier treffend als Motivation für Menschen erklärt. In der Natur ist Evolution immer heterobathmisch, das heißt, einzelne Aspekte des Individuums entwickeln sich zu einer konkurrenzfähigeren Stufe, andere bleiben auf einer weniger komplexen Stufe. Der Autor verweist ganz richtig darauf, dass ein Mensch nicht weniger komplex ist als eine Maus, nur anders. Eine "primitive" Pflanze am Grunde der heutigen Stammbäume wie die Magnolie hätte im evolutorischen Rennen nicht bis heute überlebt, wenn sie nicht mit Isochinolin-Alkaloiden eine höchst komplexe chemische Abwehr erfunden hätte. "Primitive" Organismen gibt es also heute gar nicht mehr: Sie sind bereits ausgestorben. Jeder bis in die Neuzeit überlebende Organismus hat in bestimmten Bereichen etwas entwickelt, das ihm ein Überleben bis heute ermöglicht hat. Da ihm nicht unbegrenzt Energie zur Verfügung steht, musste er in anderen Bereichen auf einer früheren Stufe stehen bleiben.
    Insgesamt betrachtet, ergibt sich eine mosaikartige Komplexitätszunahme über Jahrmillionen.

    Wenn der Autor aber zu der Schlussfolgerung kommt: "Evolution ist vielleicht Komplexitätszunahme, aber Komplexitätszunahme ist nicht Fortschritt und Fortschritt keine biologische Kategorie", so stellt sich natürlich die Frage nach der Definition von Fortschritt. Das Wort selbst impliziert im biologisch-evolutorischen Zusammenhang wohl nur die Veränderung der Organismen im Wettrennen der Evolution. Mit dem menschlichen Begriff Fortschritt ist dann wohl die Interpretation dieses Wettrennens als Verbesserung für den Einzelnen gemeint. Biologisch betrachtet findet sich die Gesamtheit der Organismen nach einer Zeitspanne auf einem höheren Komplexitätsniveau, ohne dass jedoch Individuen Vorteile im Sinne eines "besseren", das heißt konkurrenzärmeren Lebens erfahren haben.

    Der Autor hat meines Erachtens Recht, dass Fortschritt im Sinne einer Verbesserung des Lebens nur ein Konstrukt unseres Gehirns ist.
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