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Freistetters Formelwelt: Die Physik von Lichtschwertern

Wenn Licht sich nicht ungehindert ausbreiten kann, sind überraschend viele Dinge möglich. Und es braucht überraschend viel Mathematik, um all das zu beschreiben.
Lichtschwert vor rosa/blauem Hintergrund
Lichtschwerter kennt man eigentlich nur aus Sciencefiction-Filmen. Doch die Physik lässt die Streuung von Licht an Licht tatsächlich zu.

Das unscheinbare Wort »Streuung« beschreibt in der Physik eine erstaunliche Vielzahl an Phänomenen. Ganz allgemein geht es dabei um die Ablenkung eines Objekts durch eine Wechselwirkung mit einem anderen Objekt. Im Speziellen wird damit meistens die Ablenkung von Licht an Teilchen gemeint – aber selbst in diesem Fall hat man es noch mit zahlreichen unterschiedlichen Phänomenen zu tun.

»Warum ist der Himmel blau?«, ist eine klassische Kinderfrage. Die nicht ganz kindgerechte Antwort lautet: »Weil die Rayleigh-Streuung umgekehrt proportional zur vierten Potenz der Wellenlänge ist und blaues Licht wegen seiner im Vergleich zum roten Licht kleineren Wellenlänge viel stärker an den Molekülen der Atmosphäre gestreut wird.« Es geht hier um den Spezialfall von Licht, das an Teilchen gestreut wird, deren Durchmesser klein im Vergleich zur Wellenlänge ist.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Wenn Licht an größeren Teilchen gestreut wird, dann hat man es mit »Mie-Streuung« zu tun, deren Effekt man zum Beispiel beobachten kann, wenn Sonnenlicht durch Nebel oder Staub strahlt. Werden elektromagnetische Wellen an Teilchen wie Elektronen gestreut, spricht man von »Thomson-Streuung« oder »Compton-Streuung«. Es gibt jede Menge Möglichkeiten, wie Licht gestreut werden kann, und dazu zählt auch die Wechselwirkung von Licht mit anderem Licht:

Diese Formel beschreibt den totalen Wirkungsquerschnitt der so genannten »Halpern-Streuung«. Sie ist nach dem österreichischen Physiker Otto Halpern benannt, der das Phänomen 1931 erstmals beschrieben hat. Um es zu verstehen, muss man die klassische Physik hinter sich lassen und sich der Quantenelektrodynamik zuwenden – der Beschreibung des Elektromagnetismus durch quantenmechanische Felder. Licht ist hierbei keine klassische Welle mehr, sondern besteht aus Lichtquanten, den Photonen. Im Rahmen der Quantenfeldtheorie kann sich ein Photon kurzfristig in ein Paar aus Teilchen und Antiteilchen verwandeln, die sich dann aber quasi sofort gegenseitig auslöschen und dabei wieder ein Photon produzieren. Diese »Quantenfluktuationen« passieren zwar ständig, spielen für die klassische Beschreibung von Licht allerdings keine Rolle. Trotzdem gibt es sie, und sie ermöglichen die »Streuung« von Licht an Licht – und damit theoretisch auch Lichtschwerter.

Wo man Licht-Licht-Streuung beobachten kann

Im Rahmen der Halpern-Streuung kann das Teilchen-Antiteilchen-Paar eines Photons mit dem eines anderen Photons wechselwirken. Der in der Formel beschriebene Wirkungsquerschnitt ist indirekt proportional zur achten Potenz der Masse der erzeugten Teilchenpaare. Deswegen findet man in der Formel auch das Symbol me, die Elektronenmasse. Der direkte Nachweis der Halpern-Streuung ist erst 2015 am Teilchenbeschleuniger des Europäischen Kernforschungszentrums CERN gelungen. Man hat dort geladenen Bleiatome beschleunigt und miteinander wechselwirken lassen. Dabei entstehen starke elektromagnetische Felder, und die aus der Anregung dieser Felder entstehenden Photonen können aneinander streuen. Insgesamt konnten 13 Prozesse nachgewiesen werden. Die Auswirkungen der Halpern-Streuung sieht man jedoch auch beim Blick hinaus ins All.

Viele astronomische Prozesse erzeugen Gamma-Strahlung, also hochenergetische Photonen. Bei ihrem Weg durchs Universum können sie mit Photonen des extragalaktischen Hintergrundlichts wechselwirken, eines extrem schwachen, diffusen Lichts, das von all den Sternen und Galaxien seit der Entstehung des Universums stammt. Die hochenergetischen Gamma-Photonen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, am Hintergrundlicht gestreut zu werden, was ihre Energie verringert. Anders gesagt: Wenn es um sehr große Distanzen geht, macht die Halpern-Streuung das Universum undurchsichtig für hochenergetisches Licht.

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