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Mäders Moralfragen: Ökologische Gewissensbisse

Klimawandel, Artensterben, Plastikmüll – das sind eigentlich unterschiedliche Probleme. Doch für viele Menschen gehören sie zusammen, denn sie gehen auf dieselbe Ursache zurück: unseren Lebensstil.
Brandrodung in Amazonien

Aus Sicht der Erdgeschichte wird der anthropogene Klimawandel vielleicht einmal ein Wimpernschlag gewesen sein. Wenn es uns in diesem Jahrhundert gelingt, die Wirtschaft zu dekarbonisieren, können wir in den nächsten Jahrhunderten wieder das vorindustrielle Klima erreichen. Solche Maßnahmen ergreifen wir in erster Linie, um uns selbst zu schützen, denn die Folgen des Temperatur- und Meeresspiegelanstiegs treffen uns hart. Die Natur kann mit Klimaveränderungen besser umgehen als wir. Beim gegenwärtigen Artensterben, das deutlich schneller verläuft als nach dem verheerenden Meteoriteneinschlag vor 66 Millionen Jahren, der die Dinosaurier auslöschte, ist es andersherum: Wie viel eine Tier- oder Pflanzenart für den Menschen wert ist, lässt sich oft nicht abschätzen – vielleicht kommen wir auch ohne diese Art zurecht. In der Natur wird das Artensterben jedoch Millionen Jahre nachwirken. Denn eine Art, die ausstirbt, ist erst einmal weg, und die Evolution ist langsam.

Beide Themen hängen zwar zusammen, denn der Klimawandel trägt zum Artensterben bei, weil sich Klimazonen schneller verschieben können, als die Tier- oder Pflanzenarten hinterherkommen. Diese Lebewesen können dann ihren Lebensraum verlieren und aussterben. Klima- und Artenschutz können sich auch widersprechen und sollten deshalb gemeinsam diskutiert werden: Wenn man zum Beispiel der Atmosphäre Kohlenstoff entziehen will, indem man großflächig schnell wachsende Pflanzen anbaut und dann unterirdisch einlagert, schafft man zugleich intensiv bewirtschaftete Monokulturen; in denen ist die Artenvielfalt geringer als in den Gärten einer Vorstadt.

Aber in wichtigen Punkten unterscheiden sich die beiden Probleme. Tier- und Pflanzenarten sterben aus, weil wir ihren Lebensraum zerstören. In Deutschland werden laut Umweltbundesamt jeden Tag immer noch 0,6 Quadratkilometer Fläche »verbraucht«. In anderen Regionen der Welt ist der Raubbau – auch durch den Einfluss des globalen Nordens – noch schlimmer. Allein die Umwandlung natürlicher Lebensräume durch den Menschen könnte in den nächsten 50 Jahren hunderte weitere Tierarten bedrohen, berichten zwei US-amerikanische Forscher heute in der Fachzeitschrift »Nature Climate Change«. Sie haben knapp 20 000 Säugetier-, Vogel- und Amphibienarten untersucht und festgestellt, dass die veränderte Landnutzung etwa 1700 von ihnen zusätzlich gefährden wird: Sie dürften in die Rote Liste der bedrohten Arten aufgenommen werden oder innerhalb der Liste in eine höhere Gefährdungskategorie rutschen.

Wer verantwortungsbewusst lebt, engagiert sich politisch

Trotzdem werden in der öffentlichen Debatte Klima- und Artenschutz – zusammen mit dem Umweltschutz – in einen Topf geworfen. So war es auch vergangene Woche im Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt. Dort wurde über die Frage diskutiert: Warum handeln wir nicht, obwohl wir so viel wissen? Das Publikum sollte persönliche Tipps geben, denn es wird längst gehandelt. Heraus kam eine bunte Mischung von Empfehlungen mit ganz unterschiedlichen Effekten: Bus und Bahn nutzen, den ADFC unterstützen, auf Fleisch verzichten, in der solidarischen Landwirtschaft mitarbeiten, Wildpflanzen aussäen, Zahnpasta und Deo selbst herstellen sowie zu einem Ökostromanbieter wechseln. Außerdem: sich politisch engagieren. Gefordert wurde zum Beispiel, Passagiere auf den Treibhausgasausstoß ihres Flugs und die Möglichkeit der Kompensation hinzuweisen und eine CO2-Steuer einzuführen, die die Kosten der Klimaschäden abdeckt.

Für die Teilnehmer der Diskussionsrunde gehört das alles zusammen. Sie sind von einer allgemeinen Sorge um den Planeten und vom Bewusstsein ihrer Verantwortung getrieben. Sie wissen, dass der Klimawandel, das Artensterben und die Umweltverschmutzung letztlich dieselbe Ursache haben: unseren Lebensstil. Als Alternative haben die Teilnehmer das Ideal einer nachhaltigen Lebensweise im Sinn, sie wollen weg vom Raubbau an der Natur. Diese Motive sind mächtig – vermutlich mächtiger als die differenzierte Analyse der Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Themengebieten. Ein wichtiges Gefühl dabei ist das der Ehrfurcht. Wir durchschauen die Natur viel zu wenig, um wissen zu können, was wir tun. Wir können die Folgen unserer Eingriffe nicht abschätzen und sollten daher mit mehr Demut handeln.

Wir wissen nicht, was wir tun

Ein Naturkundemuseum wie das Senckenberg-Museum macht dieses Gefühl greifbar. Dort lernt man die Vielfalt der Natur kennen – vom drei Zentimeter kleinen Erdchamäleon bis zum drei Meter langen Komodowaran. Man sieht die farbenfrohe Gouldamadine, ein Exemplar mit rotem Kopf, violetter Brust, gelbem Bauch und grünen Flügeln. Man lernt, dass der Sägefisch seine Beute mitunter mit seiner Säge erschlägt und dass mehr als 100 Schlangenarten das rot-schwarz-geringelte Muster der giftigen Korallenschlangen nachahmen, um gefährlicher auszusehen, als sie sind.

In einem abgedunkelten Raum hat das Senckenberg-Museum zu seinem 200. Jubiläum eine Vitrine eingerichtet, um die Vielfalt des Planeten konzentriert vor Augen zu führen: Der Glasschrank ist 15 Meter breit und 4 Meter hoch. Unten streifen Wildschwein und Luchs umher, oben wacht ein Geier. Ausgestorbene und noch lebende Arten sind hier Seite an Seite ausgestellt. Da gibt es Urzeitinsekten in Bernstein und die Laotische Riesenkrabbenspinne, die erst vor einigen Jahren entdeckt wurde. Mehr als 1100 Arten sind es, und auch nach einer halben Stunde – wenn man denkt, man habe jetzt jedes Exponat einzeln betrachtet – kann der Blick noch auf den Dumbo-Oktopus fallen, den man bisher übersehen hat. Der Krake mit den Segelohren lebt in 3000 bis 4000 Meter Tiefe. Und da fällt einem wieder ein, dass die Biodiversität in der Tiefsee so groß sein kann wie im tropischen Regenwald. Aber nicht einmal ein Prozent des Meeresbodens ist wissenschaftlich untersucht. Wir wissen also wirklich nicht, welche Auswirkungen unser Tun hat.

Die Moral von der Geschichte: Wir wissen nicht viel über das Zusammenspiel in der Natur, aber wir wissen eins: dass wir es gefährden.

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