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Springers Einwürfe: Oppenheimers gespaltene Geschichte

Ein Kinofilm zeichnet Oppenheimers Aufstieg im Atombombenprojekt der USA nach. Noch interessanter ist jedoch sein Fall in Ungnade, kommentiert Michael Springer.
Atombombentest
Die Spaltung von Atomen vermag ungeheure Energiemengen zu entfesseln, doch besonders spannend ist erst der Weg dorthin.

Es währte 70 Jahre, bis die US-Regierung den »Vater der Atombombe« explizit von dem Verdacht reinwusch, er habe sein Land verraten. Für die postume Absolution, die Energieministerin Jennifer Granholm im Dezember 2022 aussprach, könnte ein Film den Ausschlag gegeben haben.

Das Biopic »Oppenheimer« hält sich eng an eine monumentale, 2006 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Biografie. Die Buchautoren Kai Bird und Martin J. Sherwin hatten sich immer wieder vergeblich um die Rehabilitierung des Quantenphysikers bemüht, der einst als kriegsentscheidender Nationalheld gefeiert und kurz darauf als Gefährder der nationalen Sicherheit geächtet worden war.

Erst als 2022 die Dreharbeiten in der Wüste von New Mexico in vollem Gange waren und es sich abzeichnete, dass der entstehende Blockbuster auf eine peinliche Kritik an den Umständen von Oppenheimers Fall hinauslaufen würde, bequemte man sich dazu, das Unrecht offiziell einzugestehen.

Der britische Filmregisseur Christopher Nolan hat mit »Interstellar« bewiesen, dass er wissenschaftlichen Stoff in packende Bilder zu übersetzen versteht. Mit »Oppenheimer« riskiert er viel mehr. Er zeigt Kopfarbeiter mit Krawatte, Zigarette oder Pfeife, die an altmodischen Kreidetafeln diskutieren. So sahen die Revolutionäre der Quantenphysik aus.

Verschwenderische Erzählung einer modernen Tragödie

Die Protagonisten der neuen Wissenschaft, verkörpert durch eine internationale Riege prominenter Darsteller, werden geradezu verschwenderisch im Sekundentakt herbeizitiert: Bohr und Heisenberg, Einstein und Gödel, Szilard und Rabi, Teller und Lawrence, Fermi und Feynman.

Obendrein mutet uns Nolan eine nichtlineare Erzählweise zu, die nur durch die jugendliche oder ältliche Maske des Hauptdarstellers Auskunft über die Zeit gibt, in der wir uns gerade befinden.

Damit ist die Bühne einer modernen Tragödie bereitet. Im Weltkrieg kämpfen USA und Sowjetunion Seite an Seite, und die meisten Intellektuellen, ob in Princeton oder Hollywood, denken irgendwie links. Kommunisten zu kennen und als Freunde zu haben ist nichts Besonderes. Als »Oppie« anlässlich seiner Bestellung zum Leiter des Atombombenprojekts einen Fragebogen ausfüllen muss, schreibt er hinein: Ich bin oder war Mitglied jeder kommunistischen Tarnorganisation, die es in den USA gibt. Ein aufmüpfiger Scherz.

Trotzdem bescheinigt man ihm seine Unbedenklichkeit, denn er ist die ideale Besetzung für den Job: charismatisch, unter Physikern anerkannt und beliebt, ein Organisator. Als die erste atomare Testbombe in der Wüste detoniert, kennt Oppenheimers Euphorie keine Grenzen. Man trägt ihn buchstäblich auf Schultern wie einen Popstar.

Oppenheimers Fall

Ein normaler Blockbuster wäre damit an seinem Happy End. Doch Nolan nötigt dem Zuschauer, der nun schon fast zwei Stunden unter Leinwandphysikern ausgeharrt hat, eine weitere Stunde auf. Jetzt kommt Oppenheimers Fall.

Der Vater der Atombombe ist erschüttert von den Bildern aus Hiroschima und Nagasaki – die wir nicht sehen müssen; es genügt der Widerschein auf seinem Gesicht. Er schlägt zusammen mit Einstein und anderen Physikern internationale Abrüstungsverhandlungen vor. Doch der politische Wind hat sich gedreht. Nazideutschland hat schon Wochen vor den Atombombenabwürfen auf Japan kapituliert. Sie signalisieren vielmehr dem neuen Gegner, der Sowjetunion, die Potenz der USA.

Als die UdSSR alsbald atomar gleichzieht, konstruieren die US-Physiker eine noch viel mächtigere Superwaffe, die Wasserstoffbombe. Oppenheimer opponiert, viele Theoretiker mit ihm. Sie wollen Abrüstung statt Rüstungswettlauf. Das wird Oppenheimer als Verrat ausgelegt. Er darf populärwissenschaftliche Vorträge halten und pazifistische Artikel schreiben, aber für das politisch-militärische Establishment, dessen Held er einst war, ist er gestorben. Dieser Aspekt der Geschichte ist der eigentlich spannende Teil: nicht die Spaltung von Atomen, sondern der ganzen Welt. Sie endet nicht mit der Rehabilitierung Oppenheimers, und das verschafft Nolans Film eine Relevanz, die über Blockbuster-Effekte hinausgeht.

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