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Robert Oppenheimer: Im Schatten der Atombombe

Bevor Robert Oppenheimer zum »Vater der Atombombe« wurde, verfasste er einen visionären Aufsatz. Darin beschrieb er als Erster detailliert die Entstehung Schwarzer Löcher.
Albert Einstein und Robert Oppenheimer
Robert Oppenheimer (rechts) wandte die von Albert Einstein (links) entwickelten Grundsätze der allgemeinen Relativitätstheorie an, um herauszuarbeiten, dass aus massereichen Sternen etwas entstehen kann, was wir heute als Schwarzes Loch kennen.

Robert Oppenheimer ist heute vor allem als wissenschaftlicher Leiter des Manhattan-Projekts der USA während des Zweiten Weltkriegs bekannt, des Programms zum Bau der ersten Atombombe. Ein Film von Regisseur Christopher Nolan, der gerade in den Kinos läuft, thematisiert Oppenheimers Lebensgeschichte und das moralische Dilemma, in dem der Physiker während der Entwicklung dieser mächtigen Waffe steckte. Doch nur wenige Jahre zuvor hatte Oppenheimer über völlig andere »Massenvernichtungsobjekte« nachgedacht: Schwarze Löcher – auch wenn es noch Jahrzehnte dauern sollte, bis die extrem kompakten Körper diesen Namen bekamen.

»Die Arbeit war wegweisend und visionär«, sagt Feryal Özel, Astrophysikerin am Georgia Institute of Technology, über Oppenheimers Forschung an Schwarzen Löchern und Neutronensternen, den superdichten Überbleibseln erloschener massereicher Sterne. »Oppenheimer hat auch in diesem Bereich einen bleibenden Einfluss.« Özel ist Gründungsmitglied der Event Horizon Telescope Collaboration, die 2019 das allererste Bild eines Schwarzen Lochs veröffentlicht hat – 80 Jahre nachdem Oppenheimer einen Artikel mitverfasst hatte, in dem die Existenz solcher Objekte postuliert wurde.

Özel ist nicht die einzige moderne Physikerin in leitender Funktion, die Oppenheimers Arbeit über Schwarze Löcher bewundert. »Die Vorhersagen sind absolut wasserdicht, es gibt keine Schwachstellen«, urteilt Kip Thorne, emeritierter Professor für Physik am California Institute of Technology. Thorne erhielt 2017 den Nobelpreis für Physik für seine Arbeit mit dem Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO), das 2015 die Gravitationswellen von zwei kollidierenden Schwarzen Löchern detektierte. »Die Arbeit ging weit über alles hinaus, was irgendjemand sonst zuvor getan hatte«, bewertet Thorne Oppenheimers Abhandlung über Schwarze Löcher, die nur fünf Seiten lang ist. »Es ist erstaunlich, was darin alles enthalten ist.«

Vom Krieg überschattet

Oppenheimers kurzer Ausflug in die Astrophysik begann 1938 mit einem Aufsatz über Neutronensterne. 1939 setzte Oppenheimer ihn mit einer weiteren Arbeit fort, in der er die Grundsätze von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie berücksichtigte. Am 1. September 1939 veröffentlichte er den Artikel über Schwarze Löcher, der damals jedoch kaum beachtet wurde, da an jenem Tag Deutschland in Polen einmarschierte und der Zweite Weltkrieg begann. Oppenheimer schrieb anschließend nie wieder über dieses Thema.

Selbst wenn sie nicht vom Krieg überschattet worden wären, wären seine Erkenntnisse »zu dieser Zeit nicht als besonders bedeutend angesehen worden«, sagt Cathryn Carson, Wissenschaftshistorikerin an der University of California, Berkeley.

Oppenheimer schrieb jeden Forschungsaufsatz mit einem anderen Mitglied seiner sorgfältig gepflegten Gefolgschaft aus Doktoranden und Postdocs. Diese Schützlinge erleichterten es ihm, zwischen verschiedenen Themen zu wechseln. Oppenheimers dritte astrophysikalische Veröffentlichung, die er zusammen mit seinem Schüler Hartland Snyder verfasste, beschäftigt sich mit den Auswirkungen der allgemeinen Relativitätstheorie auf die massereichsten Sterne des Universums. Obwohl die Physiker einige Annahmen treffen mussten, um die Frage zu vereinfachen, stellten sie fest, dass ein hinreichend großer Stern am Ende seiner Lebenszeit durch den Schweredruck kollabieren würde – und zwar innerhalb einer endlichen Zeitspanne. Damit postulierten sie die Existenz der Objekte, die wir heute als Schwarze Löcher kennen.

»Irgendwann sollte also das entstehen, was wir heute als Singularität bezeichnen: ein Punkt unendlicher Dichte, an dem in gewissem Sinn die Raumzeit selbst zerreißt und dessen äußere Grenze vom Ereignishorizont markiert wird«, fasst David Kaiser, Physiker und Wissenschaftshistoriker am Massachusetts Institute of Technology, zusammen. »Das steht alles in dieser Veröffentlichung – nicht in modernem Vokabular, aber die Mathematik ist für uns heute absolut nachvollziehbar.«

Einstein lag falsch

In den Jahrzehnten seit Oppenheimers und Snyders bahnbrechendem Aufsatz über Schwarze Löcher haben Wissenschaftler wiederholt gezeigt, dass dieselben Prinzipien auch ohne die vereinfachenden Annahmen gelten. Thorne sagt, die Arbeit sei besonders verblüffend, wenn man die damaligen Aussagen eines noch viel berühmteren Physikers heranzieht – desjenigen, der die allgemeine Relativitätstheorie überhaupt erst entwickelt hat. »Albert Einstein veröffentlichte fast zeitgleich einen Aufsatz, in dem er argumentierte, dass ein Stern oder ein beliebiges Objekt eben nicht auf die Größe dessen schrumpfen kann, was wir heute als Gravitationsradius oder eben als die Größe eines Schwarzen Lochs bezeichnen«, resümiert Thorne. »Einstein lag damit völlig falsch.«

Doch trotz des frühen Werks von Oppenheimer und Snyder wurde das Thema jahrzehntelang kaum beachtet, geschweige denn weiterverfolgt. Damit sei es heute ein ernüchterndes Beispiel dafür, wie brillante Erkenntnisse übersehen werden können, sagt Manuel Ortega-Rodríguez, ein theoretischer Physiker an der Universität von Costa Rica. »Ich finde es wirklich sehr interessant, faszinierend und beängstigend, dass eine solche Idee 25 Jahre lang existierte und niemand sie zur Kenntnis genommen hat«, meint er. »Das zeigt, dass auch heute eine ebenso revolutionäre Idee in irgendeiner Schublade schlummern könnte – von der Wissenschaftsgemeinschaft missachtet und ignoriert.«

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