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Leseprobe »Autistisch? Kann ich fließend!«: Plötzlich ist nichts mehr »normal«

Um Autismus ranken sich viele Klischees und Missverständnisse. Man denkt an Superhirne oder an Menschen, die nicht mit ihrer Umwelt interagieren. Die Asperger-Autistin Stephanie Meer-Walter wirbt für mehr Verständnis, Toleranz und einen ressourcenorientierten und realistischeren Blick auf Autist:innen. Um das zu ermöglichen, verbindet sie auf einzigartige Weise die wissenschaftliche Perspektive, was in Gehirn, Gefühlswelt und Sinneswahrnehmung von Autist:innen vor sich geht, mit der Innensicht von Betroffenen. Sie erklärt systematisch, wie sich autistisches Sein anfühlt, was die Ursachen dafür sind und wie Autist:innen und Nicht-Autist:innen damit umgehen können. Ein wichtiges Buch, das das autistische Sein nicht mehr als Abgrenzung zum »normalen« Sein definiert, sondern als ein eigenständiges Sein. Nicht besser oder schlechter, nur anders.
In den Tiefen des Gehirns

Die Stunde null

Es gibt ein Davor und ein Danach. Das Davor und das Danach wird durch meine Diagnose als Asperger-Autistin im Alter von 47 Jahren markiert. In dem Moment, als mir die Diagnose mitgeteilt wurde, verlor ich meine Sicherheit und gewann sie gleichzeitig wieder. Es war die Stunde null, in der sich mein »Normal-Sein« verabschiedete und mein »Anders-Sein« die Bühne betrat. Wer oder was bin ich jetzt? Jetzt, wo ich nicht mehr »normal« bin, »anders« bin? Was bedeutet eigentlich Autismus? Was ist das? Was ist das Asperger-Syndrom? Wer war, wer bin ich? Kann ich das selbst bestimmen? Selbstbestimmt, unabhängig, frei? Oder ist es nicht doch vielmehr so, dass mir ein Sein von außen übergestülpt wird?

Die Autismusdiagnose machte, macht immer noch etwas mit mir. Ob es mir passt oder nicht, ich muss mich mit ihr auseinandersetzen. Im Wirrwarr der verschiedenen Autismusbilder muss ich mich selbst orten und gleichzeitig bei jeder Begegnung mit anderen Menschen herausfinden, welche Vorstellung über Autismus sie in sich tragen, um meine innere Schutzarmee in Bereitschaft zu versetzen und die Rechtfertigungstruppen in Position zu bringen. Es sind stets Kämpfe darum, nicht verletzt, herabgesetzt, in der Existenz bedroht zu werden. Na, jetzt übertreibe ich aber! Nein, ich übertreibe nicht, leider. Wer bin ich, ich »unnormaler« Mensch?

Um herauszufinden, wer oder was ich nun bin, wollte ich als »zertifizierte« Autistin zunächst einmal wissen, was Autismus überhaupt ist. »Am besten wird es sein, wenn ich einfach in der ICD nachschaue«, dachte ich mir. ICD steht für International statistical Classification of Diseases and related health problems, auf Deutsch Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme. Die elfte, überarbeitete Auflage ist seit dem 1. Januar 2022 in Deutschland einsetzbar. Die ICD ist das amtliche Diagnosemanual, mit dem Krankheiten und verwandte Gesundheitsprobleme klassifiziert werden. Es versammelt alle Diagnosen, die zum jeweiligen Zeitpunkt gestellt werden können. Dort hoffte ich also, eine Antwort darauf zu erhalten, was Autismus ist. Dem Titel entsprechend musste es sich um eine Krankheit oder ein verwandtes Gesundheitsproblem handeln. Erste Erkenntnis: Ich bin krank.

Die Autismus-Spektrum-Störung wird mit dem Code 6A02 bei den neuronalen Entwicklungsstörungen eingeordnet. Ich bin nicht nur krank, schlimmer, meine Entwicklung ist gestört! Ich hatte mich eigentlich bis dahin für völlig normal entwickelt gehalten, nie irgendwelche Zweifel daran gehabt. Neuronal verweist auf meine Nervenzellen. Hilfe! »Neuronale Entwicklungsstörungen sind Verhaltens- und kognitive Störungen, die während der Entwicklungsphase auftreten und mit erheblichen Schwierigkeiten beim Erwerb und der Ausführung bestimmter intellektueller, motorischer, sprachlicher oder sozialer Funktionen verbunden sind«, heißt es dazu in der ICD-11. Erst einmal tief durchatmen. Was habe ich mir unter Funktionen vorzustellen? Was ist eine soziale Funktion? Dieser Bereich interessiert mich am meisten, weil im Sozialen meine Schwierigkeiten am größten sind.

Ich möchte an dieser Stelle kurz auf das Gehirn eingehen, denn das »normale« und das autistische Gehirn scheinen in vielerlei Hinsicht unterschiedlich zu funktionieren. Deshalb ist es gut, eine ungefähre Vorstellung von diesem Organ, das unser Sein bestimmt und – völlig ernüchternd! – durch chemische und physikalische Prozesse gesteuert wird, zu haben. Unser Gehirn ist kein festes Organ, sondern es besteht aus 100 Milliarden voneinander getrennten Neuronen, den Nervenzellen. Sie bilden ein komplexes Nervensystem, das wir uns wie einen dichten Wald vorstellen können. Jedes einzelne Neuron verfügt über 10 000 bis 20 000 Synapsen, über die es mit anderen Neuronen verbunden ist. Die Synapse ist eigentlich ein Spalt zwischen den Neuronen, über den sie mittels Neurotransmitter – chemischen Stoffen, die elektrische Signale zwischen den Neuronen weiterleiten – miteinander kommunizieren können. Auf diese Weise vollzieht sich der ständige Austausch von Informationen in unserem Gehirn.

Das Gehirn selbst ist Teil eines riesigen Nervensystems und dadurch mit jedem Körperteil verbunden. Über unsere Sinne nehmen wir unsere Umwelt wahr. Die Informationen, die wir so erhalten, werden von unseren Neuronen in unserem Gehirn verarbeitet, und diese senden danach Signale aus, um unserem Körper mitzuteilen, wie er reagieren soll. Diese wenigen Sätze geben ganz grob einen Einblick in die Funktionsweise des menschlichen Gehirns. Auf die Kommunikation der Neuronen untereinander werde ich an verschiedenen Stellen zurückkommen, denn vor allem die Neurowissenschaft konnte herausfinden, dass die autistischen Neuronen diese anders handhaben.

Zurück zur ICD. Nach der beängstigenden Feststellung, dass meine Nervenzellen irgendwie »gestört« sind, sprang ich zur Beschreibung der Autismus-Spektrum-Störung, in der Hoffnung, hier die Antworten auf meine Fragen zu finden:

»Die Autismus-Spektrum-Störung ist gekennzeichnet durch anhaltende Defizite in der Fähigkeit, wechselseitige soziale Interaktionen und soziale Kommunikation zu initiieren und aufrechtzuerhalten, sowie durch eine Reihe von eingeschränkten, sich wiederholenden und unflexiblen Verhaltensmustern, Interessen oder Aktivitäten, die für das Alter und den soziokulturellen Kontext der Person eindeutig untypisch oder exzessiv sind. Der Beginn der Störung liegt in der Entwicklungsphase, typischerweise in der frühen Kindheit, aber die Symptome können sich auch erst später vollständig manifestieren, wenn die sozialen Anforderungen die begrenzten Fähigkeiten übersteigen.«

Einmal kurz schlucken. Im nächsten Satz folgt, dass meine Defizite schwerwiegend sind, das muss bedeuten, dass es schlimm um mich steht. Meine Art der sozialen Interaktion und Kommunikation ist wohl auch von minderer Qualität, sozusagen zweite Wahl, B-Ware. Meine Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten sind für mein Alter und den soziokulturellen Kontext untypisch oder gar exzessiv. Meine Defizite führen jedenfalls dazu, dass ich in wichtigen Funktionsbereichen beeinträchtigt bin, also nicht richtig funktioniere. Ich »falle aus dem Rahmen«, werde den sozialen Anforderungen nicht gerecht, weil ich nur begrenzte Fähigkeiten habe. Das ist hart. Das fühlt sich nicht gut an. Aber es steht so in der ICD-11, schwarz auf weiß. Sollten meine Schwierigkeiten mit den Menschen damit zusammenhängen? Hatte ich hier den Schlüssel gefunden?

Ich ahnte, dass es so ist. Aber ich war trotzdem schockiert. Ich war doch Lehrerin, Schulleiterin, Fachberaterin, Fachmoderatorin – wie war das denn möglich, wenn ich so schwerwiegende Defizite hatte? Nachdem ich zuerst ablehnend darauf reagierte, musste ich mir eingestehen, dass ich schon große Probleme im privaten wie im beruflichen Bereich hatte und habe, die stets sehr ähnlich gelagert sind. Ich wusste noch nicht, worin sie genau bestehen, aber ich fühlte, dass da etwas dran war. Trotzdem: Irgendetwas in mir rebellierte. Wer legt die Anforderungen fest, wer steckt den Rahmen für den sozialen Kontext? Wer beurteilt, ob sie überhaupt sinnvoll sind? Wer sagt mir, dass meine Funktionsweise – welch ein schreckliches Bild, das mein Menschsein auf mein Funktionieren reduziert – nicht richtig ist, dass sie unnormal ist? Das macht mich stutzig und hinterlässt ein mulmiges Gefühl.

Meine Störung, meine »schwerwiegenden« Defizite werden als offensichtlich, als beobachtbar charakterisiert, aber es gibt keine anderen Diagnosekriterien, keine Bluttests oder anderen Tests, die Autismus nachweisen können. Ab wann wird das beobachtete Verhalten als auffällig eingeordnet? Diese Interpretation hängt vom Beobachter/von der Beobachterin und vom Diagnostiker/von der Diagnostikerin ab: Wie schätzen sie mein Verhalten ein? Welche Vorstellungen haben sie von »normal« und »unnormal«? Und wie ist ihre eigene soziokulturelle Prägung? Sind sie in der Lage, diese zu reflektieren und zu hinterfragen? Wird er/sie mich richtig interpretieren (können), wo meine Wahrnehmung doch eine ganz andere ist und ich gerade in der sozialen Interaktion und Kommunikation Defizite aufweise? Ich bin davon abhängig, ob mir mein Gegenüber glaubt, ob er/sie versucht, mich zu verstehen.

Diese Abhängigkeit von der Beurteilung und Einschätzung anderer werde ich nicht mehr los. Es bleibt eine zutiefst subjektive Einschätzung nach vermeintlich objektiven Kriterien, die von der ganzen Person des Diagnostikers/der Diagnostikerin, von seinem/ ihrem Lebensweg und seinen/ihren Erfahrungen abhängig ist. Es ist wichtig, sich das klarzumachen. Gleichwohl sind die Beurteilungen nicht beliebig. Das macht es so schwierig und deshalb ist die Auseinandersetzung mit Autismus nicht einfach und in fünf Minuten abzuhandeln.

Der Spektrums-Ansatz

Die ICD-11 lehnt sich in ihren Diagnosekriterien der Autismus- Spektrum-Störung an den Diagnostischen und statistischen Leitfaden psychischer Störungen (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, kurz DSM – herausgegeben von der amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft) an. In den USA erfolgt die Diagnostik nach dem DSM. ICD und DSM sind die zwei anerkannten Klassifikationssysteme psychischer Störungen. Die 2013 herausgegebene fünfte Auflage führte die Autismus-Spektrum-Störung erstmals als Diagnose ein. Zuvor wurde Autismus kategorial in die Subtypen frühkindlicher Autismus (nach dem Kinder- und Jugendpsychiater Leo Kanner), Asperger-Syndrom (nach dem Kinder- und Jugendpsychiater Hans Asperger) und Atypischer Autismus unterteilt. Die Diagnose des Asperger-Syndroms wurde vergeben, wenn keine Sprachentwicklungsstörung vorlag.

In der Öffentlichkeit wird mit dem Asperger-Autismus eine normale oder überdurchschnittliche Intelligenz verbunden, während der frühkindliche oder Kanner-Autismus mit Intelligenzminderung gleichgesetzt wird. Beides stimmt so nicht. Für mich sind diese Unterscheidungen nur dann wichtig, wenn es um Unterstützungsangebote und Hilfen geht, denn es werden jeweils unterschiedliche Bedarfe sein. Entscheidend bleibt die gemeinsame Kernsymptomatik. In empirischen Studien sowie in der Praxis hatte sich herausgestellt, dass sich die Subkategorien des Kanner- und Asperger-Autismus nicht eindeutig voneinander abgrenzen ließen, was nicht überrascht, denn legt man die Beschreibungen Kanners und Aspergers übereinander, so ergeben sich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.

Deshalb haben sich DSM-5 und ICD-11 entschieden, die unterschiedlichen Ausprägungen des Autismus nicht mehr kategorial zu unterscheiden, sondern durch den Ansatz des Spektrums dimensional, um die verschiedenen Ausprägungen besser abbilden zu können: Beide Diagnosemanuale lassen erstmals auch Zusatzdiagnosen zu, z.B. Autismus und AD(H)S.

Wie mit der Heterogenität des Autismus umzugehen ist, ist noch nicht entschieden. So berechtigt der Ansatz des Spektrums auch ist, bringt er eben doch auch Schwierigkeiten mit sich. Die Autismusexpertin Inge Kamp-Becker und der Autismusexperte Sven Bölte kritisieren, dass der »Phänotyp« Autismus durch die vor der Einführung der Autismus-Spektrum-Störung häufig vergebene Diagnose des Atypischen Autismus immer heterogener geworden sei. Ob dies durch die neuen Diagnosekriterien umgekehrt werden könne, sei noch nicht absehbar.

Für einen radikalen Wechsel in der Autismusforschung wirbt der bekannte Autismusforscher Laurent Mottron, der eine Rückbesinnung auf den autistischen »Prototypen« fordert. Dieser entspricht seinen Vorstellungen nach in etwa den Kindern, die Leo Kanner beschrieben hat, also dem ehemals frühkindlichen Autismus. Mottron hält die aktuellen Kriterien des DSM-5 für Forschungszwecke als zu weit gefasst, weil sie Autist*innen, deren Symptome quasi unsichtbar seien, bis hin zu autistischen Menschen, die komplett von ihrem Umfeld abhängig seien und nicht selbstständig leben könnten, vereine. Das habe auch Einfluss auf die Erforschung des Autismus, die sich infolgedessen an Autist*innen, die immer weniger die »typischen« autistischen Symptome zeigten, richten würde. Er ist überzeugt, dass dies ein Fortschreiten des Verstehens von Autismus behindere.

Die Autismusforscherin Monica Biscaldi-Schäfer und die Autismusforscher Andreas Riedel und Ludger Tebartz van Elst hingegen betonen, dass es wichtig sei, »leichtere Varianten des Autismus« besser zu erkennen und ihre Bedeutung für sich daraus entwickelnde psychische Störungen zu verstehen. Erst durch das Verständnis dieser Zusammenhänge könne eine Therapie entsprechend angepasst werden. Mir scheint, dass das Autismus-Spektrum nicht die letzte Annäherung an das »Phänomen« Autismus bleiben wird.

»Faktencheck«

Nach der intensiven Lektüre der Diagnosemanuale war ich nicht in der Lage, Autismus zu erklären oder mein autistisches Sein zu beschreiben. Ein vages Gefühl, eine Ahnung – immerhin – hatte sich eingestellt. Aber reicht das als Wissen aus? Nein, nicht mal ansatzweise. Es sind Diagnosekriterien in medizinischer Fachsprache, mit denen ich ohne weitere Erklärungen nicht weiterkomme, die mehr verunsichern als für Klarheit sorgen. Also arbeitete ich mich durch die zahlreich vorhandene Fachliteratur.

Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung. So oder so ähnlich fangen viele Beschreibungen des Autismus-Spektrums an. Es wird von einer Prävalenz von insgesamt 0,9 bis 1,1 Prozent ausgegangen, das Geschlechterverhältnis wird mit zwei bis drei Autisten auf eine Autistin angegeben. Die Prävalenz ist schwierig anzugeben, weil die Studien dazu zum Teil eine große Streuung der Zahlen aufweisen. Sie sind nicht miteinander vergleichbar aufgrund unterschiedlicher Methoden und auch Diagnosekriterien. In den letzten Jahren ist eine deutliche Zunahme der Prävalenz zu beobachten. Die Gründe dafür werden unterschiedlich interpretiert. Verwiesen wird auf erweiterte Diagnosekriterien, verbesserte Diagnostik-Instrumente, besseres Wissen, optimierte Früherkennung auf der einen Seite, aber auch auf erhöhte gesellschaftliche Aufmerksamkeit, gesteigertes mediales Interesse, größere Akzeptanz der Autismusdiagnose im Vergleich zu anderen psychischen Störungen.

Für die Entstehung des Autismus gibt es nicht die eine Ursache. Gesichert ist derzeit, dass er genetisch bedingt und damit erblich ist, so wie schon seine Entdecker Kanner und auch Asperger vermutet hatten. Autismus kann Teil eines übergeordneten Syndroms sein und wird dann als syndromaler oder sekundärer Autismus bezeichnet. Etwa 10 bis 15 Prozent der diagnostizierten autistischen Syndrome sind dem syndromalen Autismus zuzuschreiben. Die anderen diagnostizierten autistischen Syndrome entspringen dem idiopathischen oder primären Autismus. Dazu gehöre ich. Auch hier wird von genetischen Ursachen ausgegangen, allerdings kann kein einzelnes Gen ausgemacht werden, es sind vielmehr mehrere Genvarianten im Spiel. Die miteinander interagierenden »Risiko- oder Anfälligkeitsgene« sind im Zusammenspiel mit Umwelteinflüssen ursächlich für Autismus – so der momentane Erkenntnisstand. Ich vermute Autismus bei meinen Vorfahren – es gibt zumindest Hinweise darauf. Auch das Alter der Eltern bei der Geburt kann die neuronale Entwicklung beeinflussen:

Die Wahrscheinlichkeit für ein autistisches Kind ist bei einer Mutter ab 40 Jahren und bei einem Vater ab 50 Jahren jeweils um das Zehnfache erhöht. Ein überraschender Umweltfaktor, der jedoch noch nicht weiter untersucht worden ist, scheint die Zuwanderungsgeschichte von Eltern zu sein. Bei Kindern, deren Eltern zugewandert sind und die im Zuwanderungsland geboren werden, ist die Wahrscheinlichkeit, autistisch zu sein, größer. Auch bei einem schlechten sozioökonomischen Status der Eltern scheint die Wahrscheinlichkeit von Autismus erhöht zu sein. Weitere Umweltfaktoren sind somatische Vorerkrankungen der Eltern (z.B. Allergien, Typ-I-Diabetes oder andere Autoimmunerkrankungen), vor allem der Mutter, und besonders psychiatrische sowie neurologische Vorerkrankungen (z.B. fokale Epilepsie, Depression), wiederum vor allem der Mutter. Darüber hinaus spielen mit Schwangerschaft assoziierte Risikofaktoren eine Rolle, wie beispielsweise Röteln-Infektionen oder die Einnahme von Medikamenten wie Antidepressiva, SSRI (Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer) oder Valproinsäure/Valproate.

Die im Zuge der Corona-Impfungen wieder aufgekommene Behauptung, Impfungen verursachten Autismus, ist klar widerlegt, trotzdem hält sie sich hartnäckig. Ebenso wie jene der Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder des Alkoholkonsums der Mutter während der Schwangerschaft, die genauso wenig verantwortlich für Autismus sind. Diese und andere Fehlinformationen tauchen immer wieder auf, auch in Filmen, Serien, Büchern, Artikeln oder Talkshows etc.

Wenn mich nach meiner Diagnose meine Umgebung fragte, was denn nun Asperger-Autismus bedeuten würde, ratterte ich anfänglich die zuvor genannten Fakten herunter. Und ich wunderte mich anschließend, warum mich immer noch keiner so richtig verstand. Ich hatte doch alle Eckdaten aufgezählt, hatten sie mir etwa nicht zugehört? Doch, hatten sie. Aber die Merkmale allein bleiben an der Oberfläche, bleiben sozusagen klinisch steril. Die anderen konnten mich gar nicht verstehen. Ich verstand mich ja auch noch nicht.

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