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Brief an die Leser


Verehrte Leserin,

sehr geehrter Leser,



news, das journalistische Ingrediens schlechthin, fordert die Redaktion auch von unseren Autoren. Eine aktuelle Nachricht soll schon Kern jedes Artikels in einer Zeitschrift sein, die der Öffentlichkeit allmonatlich wissenschaftliche Befunde und Erkenntnisse vermittelt.

Mitunter aber hält ein Forscher im Strom der Neuigkeiten und im Sog des Unbekannten inne, um sich selbst – und seine Leser – des Sinnes und der Orientierung beim urmenschlichen Unterfangen Naturerkundung zu versichern. „Welchen Wert hat die Grundlagenforschung?“ fragte etwa Leon M. Lederman, unter anderem Entdecker des bottom-Quarks, und gab (in der Ausgabe Januar 1985) die Antwort: „Am größten ist der kulturelle Nutzen.“ Speziell in der Physik könnten wir „eine Synthese experimenteller Forschungsarbeit der letzten 3000 Jahre“ miterleben.

Solch einladendes Nachdenken leistet nun für die Chemie ein Beitrag (Seite 68), der einen nicht minder weiten Bogen spannt – vom tragikomischen Labor-Mißgeschick über den Anspruch, die chemische Synthese als kreativen Akt wie das Schreiben von Lyrik „oder den Aufbau der Demokratie in Rußland“ zu begreifen, über Plan und Zufall in der Entwicklungsarbeit sowie über Brauchbarkeit oder Schönheit der Ergebnisse bis hin zu einer Fundamentalkritik an der eigenen Disziplin: Der Vorsatz, bei der Umwandlung von Molekülen sogar besser sein zu wollen als die Natur, sei „von provokativer Arroganz“. Roald Hoffmann, der Verfasser, war 1949 als Zwölfjähriger aus Polen in die Vereinigten Staaten gekommen. Nach seiner Promotion untersuchte er zusammen mit Robert Burns Woodward an der Harvard-Universität den ungewöhnlichen Verlauf einer Reaktion, die Woodward bei der (dann 1971 gelungenen) künstlichen Herstellung von Vitamin B12 nutzen zu können hoffte. Ihre auf Symmetriebetrachtungen basierende Theorie lieferte einen Satz von inzwischen nach ihnen benannten einfachen Regeln, die erklären, warum sich bestimmte ringförmige Verbindungen aus scheinbar geeigneten Ausgangssubstanzen nicht bilden, während andere es sehr wohl tun; umgekehrt sagen die Regeln die geometrische Anordnung der Atome in den Reaktionsprodukten für die beiden Fälle voraus, daß ein ringförmiges Molekül entweder durch Zufuhr von Wärme (also thermisch) oder von Licht (photochemisch) aufgebrochen wird.

Woodward hatte den Chemie-Nobelpreis 1965 bekommen. Hoffmann erhielt ihn gemeinsam mit dem Japaner Kenichi Fukui im Jahre 1981.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1993, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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